Häusliche Gewalt: Hürden verhindern Hilfe

Fast 1.000 Frauen werden jährlich im Land Bremen von ihren Männern misshandelt. Die meisten schrecken aber vorm Gang zu den Beratungsstellen zurück.

Häusliche Gewalt - und das traute Heim ist nur allein Glück. Bild: dpa

Zwar hält Bremen ein vielfältiges Hilfesystem für Opfer häuslicher Gewalt vor. Allerdings hat es ausgerechnet gravierende Lücken bei der Beratung von Migrantinnen, ist unterfinanziert - und unnötige Beratungsbarrieren führen dazu, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Opfer die Angebote wahrnimmt. Zu diesen Schlüssen gelangt die ressortübergreifende Bremer Arbeitsgruppe zum Thema häuslicher Gewalt in ihrem fünften Bericht.

Am morgigen Dienstag berät der Senat übers Dossier, das unter Federführung der Landes-Frauenbeauftragten erstellt wurde. Es ist zugleich eine Bilanz zum zehnjährigen Bestehen der Arbeitsgruppe - und enthält etliche der Informationen, die vergangenen Donnerstag vom Bürgerschafts-Plenum angefordert wurden.

Die Zahl der Taten, die von der Polizei als "häusliche Gewalt" eingestuft werden, blieb in den letzten Jahren in etwa gleich hoch. 984 Delikte wurden 2010 in Bremen und Bremerhaven registriert. 2009 waren es 1.096, 2008 noch 960 Fälle, bei denen zumeist ein Mann seine Frau geschlagen, bedroht oder genötigt hat. Sich Hilfe zu holen, davor haben viele Frauen Angst oder empfinden Scham. Bundesweit kommen nur 11 von 100 Frauen bei den Hilfeeinrichtungen an. Das ist auch in Bremen trotz eines breiten Beratungsangebots nicht anders. Als Grund für die mangelnde Nachfrage macht der Bericht Beratungsbarrieren aus - die sich abbauen ließen. Allerdings nicht ohne Geld wenigstens umzuverteilen.

Zum Beispiel: Der Verein "Neue Wege". Einen "schlechten Witz", nennt Bärbel Reimann von der Frauenbeauftragten den Etat, mit dem er seine Opfer-Beratungen bestreiten muss: Gerade einmal 15.000 Euro stehen ihm pro Jahr zur Verfügung. Dabei ist Konsens, dass es gerade an solchen unabhängigen, ambulanten Hilfeeinrichtungen in Bremen mangelt. Hier macht meistens das Amt für Soziale Dienste (AFSD) die erste Beratung. Doch es nimmt erst Kontakt auf, wenn zuvor die Polizei gerufen wurde. Hat eine Frau nicht selbstständig per Gericht den Schutz vor ihrem Mann erwirkt, "wird seitens des AFSD nicht die unmittelbare Notwendigkeit für eine Kontaktaufnahme gesehen" heißt es im Bericht.

Beratungsangebote des Amtes erreichten dabei vor allem ärmere Milieus. Wohlhabendere Frauen seien hingegen "nicht im Blick". Vor allem aber fällt dem Amt gleichzeitig auch eine Kontrollfunktion zu. Dies sieht auch Frauensenatorin Anja Stahmann (Grüne) als Problem. In der Bürgerschaft hatte sie am Donnerstag gesagt, es müsse Beratungsangebote geben, "wo Frauen keine Angst haben, dass ihnen die Kinder weggenommen werden". Der Bericht schlägt eine zentrale, niedrigschwellige Interventionsstelle wie in anderen Bundesländern vor. "Hier ist für die Stadt Bremen eine Lücke zu schließen", heißt es.

"Kaum angemessene Beratungsangebote" gibt es in Bremen für Migrantinnen. Dabei tritt Gewalt in der Partnerschaft oder Familie bei ihnen im Verhältnis besonders häufig auf: Etwa die Hälfte der Frauen in den Frauenhäusern sind Migrantinnen. Ähnlich steht es bei Wohnungsverweisen. Zwischen Juni 2010 und Mai 2011 hat die Polizei Bremen in 95 Fällen einen Mann zum Schutz der Frau aus der Wohnung geschickt, 64 Mal davon hatten einer oder beide Partner einen Migrationshintergrund.

Eine Sprechstunde in verschiedenen Sprachen aber bietet den Betroffenen in Bremen allein die Fachstelle "Migration und Integration" der Arbeiterwohlfahrt (AWO). "Es kann nicht sein, dass Frauen mit Migrationshintergrund bei häuslicher Gewalt nur in der Integrationsberatung angemessene Hilfe finden", sagte Cevahir Cansever, die bei der AWO die Sprechstunde anbietet. "Mir ist wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, alle Migrantinnen würden von ihren Männern geschlagen oder zwangsverheiratet", so Cansever. "Konflikte entstehen, wenn Frauen sich wehren. Das ist auch ein Zeichen von Integration."

Die Probleme, die Cansever anspricht, führt auch der Bericht auf: Frauen mit Migrationshintergrund treffen bei ungeschulten Beraterinnen oft auf Vorurteile. Etwa, dass Gewalt in islamischen Familien "kulturüblich" sei. Damit dieser klischeebelastete Blick abnimmt, müsse es transkulturelle Schulungen für Mitarbeiterinnen der Beratungsstellen geben, so Cansever.

Denn nicht nur die fremde Sprache stellt eine Hürde da, die viele Migrantinnen verunsichert. Der Bericht zitiert eine Studie, nach der MigrantInnen die Familie sehr hoch bewerten. Zusammen mit der oft schwierigen ökonomischen Situation führe dies dazu, dass Migrantinnen häusliche Gewalt länger ertragen. Ihnen besser zu helfen soll ein Schwerpunkt der Arbeitsgruppe in den nächsten zwei Jahren sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.