Suppenküche in Pankow: Etwas Warmes

Bis zu 500 Menschen stehen täglich im Pankower Franziskanerkloster für einen Teller Suppe an. Sie kommen auch um einfach zu reden.

Futter für die Seele: ein Teller Suppe, ein freundliches Gespräch. Bild: dpa

Es ist noch vor elf am Vormittag, doch Peter Peetz, zweiter Koch in der Suppenküche des Pankower Franziskanerklosters, hat sein Tagwerk fast vollbracht. Seit halb sieben Uhr steht der 45-Jährige in der Küche; gut vier Stunden später empfängt den Küchenbesucher auf der Türschwelle der kräftige Geruch von Linseneintopf und Kohlsuppe: 100 Kilogramm Kartoffeln, einige Wannen Kohl und Gemüse und 30 Kilo Schweinefleisch hat Peetz zusammen mit seinem Küchenteam und den ehrenamtlichen HelferInnen zubereitet. Während das Ergebnis dieser Fleißarbeit in zwei riesigen Töpfen vor sich hin blubbert, macht Peetz sich an den Nachtisch: In einer großen blauen Plastikwanne schwimmen dünne Gurkenscheiben in viel Kräutersoße. "Gibt keinen Pudding heute", sagt er knapp. "Was soll man machen, wenn gerade Gurkenschwemme ist?"

Das meiste Gemüse und Fleisch, das von Dienstag bis Sonntag in den Töpfen landet, kommt als Spende aus den umliegenden Supermärkten. Da muss Peetz schauen, was sich machen lässt aus dem Überraschungspaket, das mithilfe eines kleinen Lastenaufzugs in seiner Küche landet. Damit es am Ende doch immer wieder ein vernünftiger Eintopf wird, muss die Küche manchmal Grundzutaten wie Kartoffeln dazukaufen: "Die Leute sollen ja auch satt werden", sagt Bruder Florian, "da kann man nicht immer warten, was gerade kommt."

Bruder Florian ist Franziskanermönch, er leitet die Geschicke der Suppenküche seit 2007. Von seinem Büro aus koordiniert er die beiden fest angestellten Köche und 35 bis 40 ehrenamtliche HelferInnen. Zudem sorgt er als Hausökonom des Klosters dafür, dass die Zahlen stimmen: Zukäufe von Lebensmitteln und die Gehälter für die festen MitarbeiterInnen finanziert die Suppenküche mit Spenden. Das Finanzierungsmodell klinge ein wenig wacklig, funktioniere aber gut, versichert der Bruder: "Wir haben einen festen Stamm von Spendern: Privatpersonen, Betriebe, Vereine."

Die Anfänge des Projekts an der Wollankstraße waren bescheiden. Damals verteilte Schwester Monika, Franziskanerin und Gründerin der Suppenküche, mit einer Handvoll HelferInnen Suppe und Klappstullen an eine überschaubare Anzahl von Gästen. Inzwischen hat sich die Küche der Franziskanerbrüder einen Namen gemacht, und zwar nicht nur unter denen, die hier um Suppe anstehen. Im Jahr 2004 wurden die Küchengebäude aufwendig ökologisch saniert und erweitert. In einem hellen Glaskasten befindet sich nun die Essensausgabe. Zur Neueröffnung schaute sogar der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vorbei.

Montags ist die Küche geschlossen. An den übrigen Tagen reihen sich im Schnitt 300 Gäste vor der Essensausgabe auf. Und wenn zum Monatsende hin Sozialhilfe oder Rente knapp werden, kämen oft deutlich mehr, sagt Bruder Florian. Fast 500 Leute habe er einmal gezählt. Am Monatsanfang seien es meist nur noch 200. "Manche können sich dann ein Essen leisten, einige investieren wohl auch lieber in Alkohol." Er hebt ein bisschen hilflos die Schultern.

Halb zwölf Uhr: Draußen vor dem Glaskasten werden die Gäste zahlreicher. Nach und nach füllen sich die schmalen Bierbänke, die für die Wartenden bereitstehen, es wird geredet und geraucht. Er sei immer hier, ruft einer, egal ob Anfang oder Ende des Monats. Seinen Namen will er nicht nennen, dazu hat er jetzt auch gar keine Zeit: Der kleine, kräftige Mann mit Schirmmütze und speckiger Lederjacke spielt, so scheint es, ganz gern den Aufpasser. "Einer muss ja", sagt er und läuft breitbeinig vor den Tischen auf und ab.

Viel zu tun hat er nicht, die anderen Gäste lassen ihn gewähren und widmen sich ihrem Kaffee. Oder ihrem Gegenüber. Stefans Augen strahlen, leise unterhält er sich mit der jungen schwarzhaarigen Frau, die sich an seinen Tisch gesetzt hat. "Manchmal hat man Glück und lernt hier nette Leute kennen", sagt er in ihre Richtung. Sie lacht unsicher: "Haben wir uns kennengelernt?" Vielleicht. Jedenfalls sind sie sich wohl hier begegnet.

Es ist dieser soziale Aspekt, der Bruder Florian sehr wichtig ist: "Es geht in einer Suppenküche nicht nur um die materielle Leistung, sondern vor allem auch um die menschliche Begegnung, dass jemand hier Wertschätzung erfährt." Manche Gäste, sagt der Mönch, blieben auch gar nicht bis zum Mittagessen. "Diesen Leuten geht es um die Möglichkeit, mal drei Stunden vormittags mit anderen zusammenzusein oder Freunde zu treffen."

Ab halb zehn ist der Saal geöffnet, dann gibt es Kaffee, Brote, manchmal auch Kuchen, je nach Spendenlage. Vor allem aber ist es warm hier: Die späte Herbstsonne, die durch die großen Fenster scheint, hat mittags noch Kraft; die Nächte hingegen sind schon empfindlich kalt. Vor allem wenn man draußen unterwegs ist. Christoph H. findet es "Mist", dass Leute auf einer Pappe schlafen oder im Müll wühlen, deshalb ist er hier. Eigentlich ist er für die Finanzen in einem Immobilienunternehmen zuständig, aber in seiner Freizeit engagiert er sich bei Round Table Deutschland: Der Club, laut eigenem Bekunden politisch und konfessionell neutral, ist eine Vereinigung junger Männer, die sich ehrenamtlich betätigen. Und nebenbei etwas für das eigene gute Gewissen tun wollen.

An diesem Tag ist es ein Einsatz im Pankower Franziskanerkloster: Christoph H. trägt eine weiße Schürze und ein T-Shirt des Küchenteams über dem teuren Hemd und wartet darauf, dass er Suppenschüsseln füllen darf. Die Küche lebt auch von Leuten wie ihm oder seinem Nachbarn in der Essensausgabe, dem Unternehmer Sven K., ebenfalls Round-Table-Mitglied und an diesem Samstag eingeteilt für den Gurkensalat-Nachtisch.

Es ist Viertel vor eins, Bruder Florian ordnet die Reihen, die sich vor Christoph, Sven und den dampfenden Kesseln gebildet haben: "Jeder kommt dran!" Dann bittet er um Ruhe: Es wird gebetet. Manche der Gäste senken die Köpfe, als Bruder Florian anfängt zu sprechen, andere hören einfach nur kurz auf, mit dem Nebenmann zu reden. Eine ältere Dame mit Hut auf der verrutschten Lockenfrisur arbeitet sich mit dem Bleistift beharrlich weiter durch den Immobilienteil einer Zeitung. Dann ist Bruder Florian fertig, hier und da hört man ein vereinzeltes "Amen".

Voll ist es an diesem Tag. Fast 400 Gäste seien gekommen, schätzt Bruder Florian. Gegessen wird im Schichtsystem: Etwa 130 Leute haben im Saal Platz, der Rest wartet auf der Außentreppe. Diszipliniert schiebt sich die bunte Schlange an den Töpfen vorbei: Junge, Alte, hier und da ein Kind. Karin kommt extra aus Schöneberg, die Tochter im Schlepptau, den Enkel an der Hand - das Geld ist knapp, sagt sie. "Was soll man machen?!"

Nach 30 Minuten ist der größte Ansturm bewältigt. Christoph deckt einen Topf zu: "Jetzt gibts nur noch Kohl." Das Linsengericht war heute der Favorit, doch wer jetzt noch Hunger hat, verschmäht auch die Kohlsuppe nicht.

Während gegessen wird, kümmert sich Marianne G. um das schmutzige Geschirr. Das dritte Jahr schon arbeitet sie als eine von vier 1,50-Euro-Kräften in der Suppenküche, davor war sie Kioskbesitzerin "direkt an der Friedrichstraße". Als das irgendwann nicht mehr so gut lief, hat ihr das Arbeitsamt den Küchenjob bei den Franziskanern vermittelt. 30 Stunden in der Woche arbeitet sie den beiden Köchen zu: Schmiert Stullen, schnippelt Gemüse, macht den Abwasch. Die Arbeit in der warmen Großküche sei anstrengend, findet die 62-Jährige aus Prenzlauer Berg - und dann der Küchengeruch, der nicht aus den Kleidern herauswolle und in den Haaren klebe. Den Spaß an der Küchenarbeit habe sie trotzdem nicht verloren, am Wochenende koche sie immer für ihre Enkelkinder. "Nur nicht unbedingt Suppe", fügt sie lächelnd an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.