Parallelgesellschaften: Schlägerei vor dem Phoenicia bleibt straflos

Kritik an der Voreingenommenheit bei polizeilichen Ermittlungen gegen Mhallami-Clan. Im Phoenicia-Verfahren ist kein Tatverdacht gegen die beiden Angeklagten nachweisbar.

Bald 50 Verhandlungstage hat der Prozess gedauert, der im Dezember 2010 begann - es geht um eine Massenschlägerei vor der Gaststätte Phoenicia im Oktober 2007. Vor allem aber geht es um die Großfamilie der Miris, zu der die beiden Angeklagten gehören. Die Staatsanwaltschaft ließ die Phoenicia-Anklage gestern fallen mit der Begründung, es gebe keinen Zeugen, der die beiden Brüder als Täter identifiziert hat. Auch die Opfer, darunter der damals schwer verletzte Betreiber der Gaststätte, erinnerten sich vor Gericht nicht mehr. Verwunderlich sei, so die Staatsanwältin, dass die Polizei offenbar "nur in dieser Richtung ermittelt" habe. In dem Verfahren war der Eindruck entstanden, dass polizeiliche Sonderermittler mit rechtsstaatlich zweifelhaften Methoden vorgehen, wenn es gegen Miris geht.

Immerhin zwei Jahre und vier Monate Haft beantragte die Staatsanwältin am Ende ihres Plädoyers gegen den Hauptangeklagten S. Ihm wurden zu Beginn des Verfahrens zehn weitere Delikte vorgeworfen - Beleidigung, Nötigung, gefährliche Körperverletzung, BTM-Delikte. Der mehrfach einschlägig vorbestrafte 31-jährige Mann war im Alter von 17 Jahren wegen krimineller Delikte von der Schule geflogen.

Die harmloseren Delikte des aktuellen Verfahrens hat er durch seinen Verteidiger einräumen lassen. So hat er einen Türsteher des Stubu beleidigt und als die Polizei kam, einem Beamten ins Gesicht geschleudert: "Zieh deine Uniform aus, du Hurensohn, dann zeige ich dir, wer stärker ist."

Türsteher in der Neustadt soll er angebrüllt haben: "Hurensöhne. Wer will mich aufhalten? Das wird euer letzter Tag an der Tür." Eine Sachbearbeiterin des Stadtamtes beleidigte er als "Nazi, Schlampe, Hure". Im August 2010 geriet er an einen sportlichdurchtrainierten Sicherheitsmann des Stadtamtes, der ihn mit einem Faustschlag zu Boden streckte. Daraufhin soll er gedroht haben: "Wir kommen mit vielen wieder. Ihr werdet alle sterben." Einen Tag darauf geriet er auf einer Wache in Rage darüber, dass gegen den Wachmann nicht ermittelt würde und erklärte, in Schwanewede sei einer von einem Miri ermordet worden und der, der das getan habe, lebe nun im Libanon. Der mitangeklagte Bruder war in dieser Situation dabei und fügte hinzu, man wisse, in welchem Fitness-Club der Wachmann trainiere. Die Polizei interpretierte das als Drohung.

Es gab aber auch andere Anklagepunkte, die in dem Verfahren fallen gelassen werden mussten. Die Polizei hatte den Angeklagten als dunkel gekleideten Täter ermittelt, der einen schwarzen Angestellten einer Diskothek verprügelt habe sollte. Aus den Video-Überwachungsfilmen des Stubu war aber zu erkennen, dass der Angeklagte S. just zur Tatzeit das Stubu in heller Kleidung und geruhsam schlendernd verlassen hatte, um etwas zu essen, und ein paar Minuten später wiederkam.

Als gewichtigster Anklagepunkt blieb so die Körperverletzung gegen einen senegalesischen Postfahrer. Völlig grundlos war der Angeklagte - der offiziell von Sozialhilfe lebt, da aber in einem BMW Cabrio unterwegs war - den dunkelhäutigen Mann beleidigt und brutal geschlagen hat. Während einer Vernehmungspause des Postfahrers kam es auf dem Flur zu einer Szene, die die Richterin als Versuch von Freunden des Angeklagten wertete, den Zeugen einzuschüchtern. Die Kripo geht davon aus, dass Zeugen in solchen Verfahren nicht nur eingeschüchtert, sondern auch "gekauft" werden.

Was der Grund für die Massenschlägerei vor dem Phoenicia war, konnte das Gericht nicht ermitteln. Angeblich wurde eine Schülerin im Schulzentrum Grenzstraße "angemacht", junge Männer rivalisierender Clan-Zugehörigkeit gerieten darüber in Streit - und das eskalierte bis zum Abend, als in der Gaststätte Rache geübt werden sollte. KAWE

Das Urteil wird am 30. 12. um 13 Uhr (Landgericht R. 218) verkündet

Kommentar von KLAUS WOLSCHNER zum Phoenicia-Prozess

Parallelgesellschaften

Bei uns ist das so, wir streiten uns mal heftig, aber dann vertragen wir uns auch wieder. Das sind eben andere Sitten. So hat der Angeklagte aus dem "Miri-Komplex" dem Gericht erklären wollen, warum er dagegen ist, dass die deutsche Justiz ihre Maßstäbe von Gleichheit, Recht und Gesetz auf die in Bremen lebenden Miris anwendet. Im Falle der massiven Schlägerei in der Gaststätte Phoenicia hat das Landgericht tatsächlich nicht feststellen können, wer da zugeschlagen hat - die Opfer mochten sich überhaupt nicht mehr an die - ihnen persönlich bekannten - Täter erinnern.

Nicht nur die Justiz, auch die Polizei tut sich schwer mit dieser ganz anderen Welt. Offenbar, so erklärte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer, haben die Ermittler ein Bild von Intensivtätern, die für alles gut sind, fest im Blick - zu fest. In einem der angeklagten Fälle war der polizeilich ermittelte "Täter" zur Tatzeit auf den Bildern der Überwachungskamera des Stubu zu sehen - und damit weit weg vom Tatort.

Ganz offenherzig hat der Angeklagte einmal auf einer Polizeiwache Einblick in sein Weltbild gegeben, als er den - von der deutschen Justiz bisher nicht gesühnten - Mord in Schwanewede stolz für die Miris verbuchte und verkündete, der Mörder lebe im Libanon. Die Botschaft war klar: So kann es im Extremfall denen gehen, die sich von Recht und Gesetz geschützt fühlen.

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