die wahrheit: Grinsen für das Stimmvieh

Haben Sie schon mal eine Weihnachtskarte von Ihrer Kanzlerin bekommen?

Haben Sie schon mal eine Weihnachtskarte von Ihrer Kanzlerin bekommen? Ich habe von meinem Premierminister Bertie Ahern jedes Jahr mindestens zwei, manchmal sogar drei Karten zum Fest bekommen, bis er 2008 zurücktreten musste - nicht wegen der inflationären Weihnachtskarten, sondern weil gegen ihn ein Verfahren wegen Korruption eingeleitet worden war. Als ob das ein Rücktrittsgrund wäre. Bestechlichkeit gehört zur Berufsbeschreibung irischer Politiker.

Seit seinem Abgang gab es keine Post mehr von ihm, was zu verschmerzen ist. Wer stellt sich schon eine Weihnachtskarte mit dem Foto eines Politikers mit Tannenbaum auf den Kaminsims? Da wäre die Weihnachtsstimmung dahin. Das hat sich auch der parteilose Abgeordnete John Halligan gedacht. Er wählte als Motiv für seine Weihnachtspost eine Szene aus "E. T. - der Außerirdische". Diese Karte würde auf dem Kaminsims Aufmerksamkeit erregen, hoffte Halligan.

Irlands Abgeordnete und Senatoren verprassten zum vergangenen Weihnachtsfest rund 10.000 Euro für individuelle Weihnachtskarten, mit denen sie dem Stimmvieh ein frohes Fest wünschten. Insgesamt wurden 220.000 Karten an die Steuerzahler auf deren Kosten verschickt.

Neben Korruption zeichnet sich die politische Elite Irlands durch Eitelkeit aus. Als Barack Obama auf mehrstündigem Staatsbesuch in Irland weilte, purzelten die Politiker bei dem Versuch übereinander, sich mit dem US-Präsidenten fotografieren zu lassen. Danach ließen sie sich auf Staatskosten jede Menge Abzüge für Freunde und Verwandte machen. Die Öffentlichkeit bekam keins der Bilder zu Gesicht. Sie seien lediglich für den Privatgebrauch, erklärte Premierminister Enda Kenny. Ist er fotografiert worden, wie er dem US-Präsidenten die Stiefel leckt?

Kenny gibt jeden Monat weit mehr für Fotos aus als seine Vorgänger. Das ist verständlich, denn die Zeit drängt. Kennys Partei Fine Gael hat bei den wenigen Malen, in denen sie an die Macht kam, noch nie mehr als eine Legislaturperiode im Amt überstanden. So hat man maximal fünf Jahre Zeit, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Und man will doch ein paar Fotos der Erinnerung an die schöne Zeit haben. Das findet Landwirtschaftsminister Simon Coveney auch. Seit seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr hat er 30.000 Euro Steuergelder für Fotos ausgegeben. Bei den Nationalen Pflugmeisterschaften mussten die Fotografen ihn drei Tage lang knipsen. Es sei das wichtigste Ereignis im bäuerlichen Kalender, verteidigte sich Coveney. Aber warum war nur Coveney auf den Fotos zu sehen? Coveney mit Gummistiefeln, Coveney mit Kochmütze, Coveney mit Obst, Coveney mit Gemüse.

Wäre Irland nicht eine gute Alternative für Christian Wulff? Die Insel, auf der in der Politik Eitelkeit und Vorteilsnahme im Amt blühen, müsste ihm wie das Schlaraffenland vorkommen. Und das Gehalt kann sich ebenfalls sehen lassen: Der irische Premierminister ist der bestbezahlte Politiker Europas.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.