Bürgerkrieg in Syrien: Netz-Aktivisten helfen bei Evakuierung
Die Aktivisten von „Avaaz“ bringen technische Ausrüstung in die Länder der arabischen Revolution. Über ihre Schmuggelrouten wurde die Journalistin Edith Bouvier befreit.
PARIS afp | Als "Klick-Aktivisten" wurden die Mitstreiter der Gruppe Avaaz einst geschmäht, die nur vom Sessel aus Online-Petitionen in die Welt schicken würden. Inzwischen sind die Aktionen der Nichtregierungsorganisation direkter geworden - und viel riskanter: Bei der Evakuierung von zwei westlichen Journalisten, die in der Protesthochburg Homs in Syrien eingeschlossen waren, spielte Avaaz sogar eine Schlüsselrolle.
Fast zufällig rutschte die durch ihre Internet-Kampagnen bekanntgewordene Nichtregierungsorganisation in die dramatische Rettungsaktion in Homs hinein. Aktivisten von Avaaz hatten nach Beginn der Revolutionen in den arabischen Ländern begonnen, High-Tech-Ausrüstungen wie Satelliten-Telefone, Kameras und andere Ausrüstungsmittel in die Länder zu schaffen, um den Demonstranten vor Ort zu ermöglichen, ihre Videoaufnahmen online weltweit zu verbreiten.
Da Journalisten oft an der Berichterstattung gehindert wurden, habe Avaaz in den arabischen Ländern für einen wichtigen Informationsfluss gesorgt, sagt Mitbegründer Ricken Patel. Der 35-jährige Kanadier, der früher etwa für den Think Tank International Crisis Group (ICG) arbeitete, koordiniert von New York aus die Aktivitäten von Avaaz. In Syrien, wo die Repression des Regimes von Baschar al-Assad besonders gewalttätig ist, bauten Aktivisten ein regelrechtes Schmuggel-Netzwerk für ihre High-Tech-Ausrüstungen auf.
„Im Laufe des Konflikts wurde das Schmuggel-Netzwerk auch für andere Dinge extrem wichtig“, erzählt Patel. Zunächst wurden ausländische Journalisten heimlich ins Land gebracht, ingesamt 34 Reporter. Dann brachten die etwa 200 lokalen Avaaz-Aktivisten auch zunehmend medizinische Hilfe wie Blutkonserven und Krankenhaus-Ausrüstungen im Wert von insgesamt 1,5 Millionen Euro nach Syrien.
Schmuggelrouten für die Journalisten
Die Schmuggel-Routen von Avaaz wurde nun auch genutzt, um die verwundeten westlichen Journalisten aus Homs herauszubringen, obwohl die Stadt unter dem Dauerfeuer der syrischen Armee stand. Zwei Journalisten, die US-Reporterin Marie Colvin und der französische Fotograf Remi Ochlik, wurden dort getötet.
Die Evakuierung ihrer verwundeten Kollegen geriet zu einer dramatischen Aktion: Während der britische Fotograf Paul Conroy und der spanische Reporter Javier Espinosa schon vor Tagen in den Libanon gebracht werden konnten, mussten zwei ihrer Kollegen wegen des Armee-Feuers wieder umkehren.
Die Französin Edith Bouvier hatte am Mittwoch vergangener Woche in Homs eine schwere Beinverletzung erlitten. Seither harrten die Figaro-Reporterin und der französische Fotograf William Daniels in der von der syrischen Armee umzingelten Stadt aus. Bouvier konnte nicht laufen und wurde mit Hilfe der aus Deserteuren gebildeten Freien Syrischen Armee (FSA) in den Libanon gebracht.
„In puncto Tätigkeitsfeld und Ausmaß ist der Einsatz in Syrien umfassender als alle anderen ähnlichen Aktivitäten, die wir zuvor unternommen haben“, konstatiert Patel. Seine 2007 als Internet-Organisation gegründete Gruppe, die sich ausschließlich über private Spenden finanziert, zählt nach eigenen Angaben inzwischen weltweit 13 Millionen Mitglieder. Die Aktionen von Avaaz - der Name bedeutet auf Persisch und in mehreren anderen Sprachen „Stimme“ - reichen von Anti-Korruptions-Kampagnen in Indien über Aufrufe zur Lebensmittelsicherheit bis hin zur Forderung nach Schließung von Guantanamo.
In Syrien will Avaaz weiterhin direkt vor Ort aktiv bleiben und medizinische Hilfe sowie Medienausrüstung ins Land schmuggeln. Der Welt müssten die "Gräuel" gezeigt werden, die in dem Land ständig begangen werden, sagt Patel. Dafür sind die syrischen Aktivisten von Avaaz sogar bereit, ihr Leben zu geben: Bei der Versorgung und Evakuierung der westlichen Journalisten starben 20 Menschen, die mit Avaaz zusammenarbeiteten.
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