Die Wahrheit: Blind durch die Bleiwüste

Momentan mache ich mir etwas Sorgen um den Blindtext. Früher war es üblich, Zeitungs- und Buchtexte für Layout-Umbauten mit dem immer gleichen ...

Momentan mache ich mir etwas Sorgen um den Blindtext. Früher war es üblich, Zeitungs- und Buchtexte für Layout-Umbauten mit dem immer gleichen ausgedachten Latein zu füllen, dem sogenannten „Lorem Ipsum“, den es bereits seit dem 16. Jahrhundert gibt und der quasi den ersten dadaistischen Text darstellt, denn er hat – bis auf ein paar kleine Auszüge aus Ciceros „Über die Ziele menschlichen Handelns“ – keinen Sinn.

Was schade ist, denn das häufige Überfliegen von „Lorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit. Aenean commodo ligula eget dolor. Aenean massa. Cum sociis natoque penatibus et magnis dis parturient montes, nascetur ridiculus mus. Donec quam felis, ultricies nec, pellentesque eu, pretium quis, sem. Nulla consequat massa quis enim. Donec pede justo, fringilla vel, aliquet nec, vulputate eget, arcu“-Bleiwüsten hat zumindest bei mir den Effekt, dass ich die ersten Sätze auswendig kann, und schon öfter auf Partys mit angeblich aus meiner humanistischen Bildung stammenden Latein-Phrasen angeben konnte, allerdings nur, wenn keine anderen Journalisten zugegen waren, was ja ehrlich gesagt auch nicht so oft vorkommt.

„Lorem ipsum dolor sit amet“ hat mir sogar schon mal das Popöchen gerettet, denn wenn es beispielsweise zu beruflichen Disputen irgendeiner Art mit griesgrämigen Vorgesetzten kam, kann man es bedeutungsvoll zitieren und danach eine Intention nach Wunsch hineinlegen: „Nun ja. Wie schon Cäsar sagte: Lorem ipsum dolor sit amet. Man sollte sich nie unter Preis verkaufen.“ Oder „Wie heißt es bei Plato: Donec quam felis. Zu spät kommen ist besser als wegbleiben“.

Als ich aber neulich aus reinem Zeitvertreib im Netz nach einem der elektronischen Lesegeräte guckte und erwartete, auch dort meinen „Lorem Ipsum“-Blindtext auf dem Display zu finden, musste ich schlucken: Fünf verschiedene Textauszüge aus echten Büchern waren in der Anzeige für das Gerät sichtbar, und zwar Joy Fielding mit „Herzstoß“, Ingo Siedler mit „Der kleine Drache Kokosnuss“, Rebecca Gablé mit „Der dunkle Thron“, Sebastian Fitzek mit „Der Augenjäger“ und Stieg Larsson mit „Verblendung“. Verschwörung! Wer hat diese armselige Crosspromotion nur redaktionell betreut? Wer hat dort den Fantasy-, Romantik- und Krimi-Mist reingeschmuggelt? Wer will, dass Kindle-Kunden mit ihrem Latein bald am Ende sind?! Da könnte man ja gleich Ausschnitte aus „Nachtschwester Ingeborg“ oder einem „Lady Romanze“-Groschenheftchen nehmen!

Dass sich noch keine Deutschlehrerinitiative zu „Rettet-den-Blindtext!.de“-Foren zusammengeschlossen hat, ist ein Wunder. Wahrscheinlich haben die zu viel mit den Bewertungsplattformen zu tun. Ich werde also beim nächsten Hackertreffen auf das Problem aufmerksam machen müssen.

Und, humanistisches Gymnasium my ass, wenn die Anzeigen für digitale Mobillesegeräte demnächst von Heinz-Erhardt-, Wolfgang-Herrndorf- und Nadia-Budde-Texten („Eins, zwei, drei, Tier“) wimmeln, dann lache ich mir ins Fäustchen.

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