Flensburger Museum am Abgrund: Vom Aussterben bedroht

Das Flensburger Naturwissenschaftliche Museum hat schon heute nur einen Angestellten - den Leiter Werner Barkemeyer. Der soll jetzt sparen, um das Haus zu retten - und Sponsoren auftreiben, natürlich.

Vielfalt in Gefahr: "Wir bieten einen interessanten Genpool", sagt Museumsleiter Werner Barkemeyer. Bild: Frank Keil

FLENSBURG taz | Für sein Leben gern wäre Walter Saxen von Beruf Naturforscher geworden. So richtig, mit Anstellung, um mit dem Sammeln und Erforschen von Pflanzen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch der 1893 nahe Rendsburg Geborene hat einen Vater, der ein Lebensmittelgeschäft führt, das sein Sohn übernehmen wird. So bleibt Walter Saxen nur der Sonntag zum Wandern, Pflücken und Bestimmen. Am 10. April 1955 etwa, bei Fresenhagen in Südtondern, erweckt ein Exemplar der Peltigera praetextata sein Interesse, der Schuppen-Hundsflechte, die in frühen Zeiten als Mittel gegen Tollwut eingesetzt wurde – daher ’Hundsflechte‘ –, in Kombination mit schwarzem Pfeffer und lauwarmer Milch.

Werner Barkemeyer hält ein Papiertütchen hoch, auf dem Saxen damals seine Angaben notierte. Kurz zeigt der Leiter des Flensburger Naturwissenschaftlichen Museums die bräunliche, heute stark gefährdete Flechte vor, packt das Tütchen wieder zu den anderen Flechten in den Karton, einem von Hunderten.

„Wir können anhand unserer guten und umfangreichen Sammlung sehr genau sehen: Welche Flechten gab es damals und welche gibt es heute – und welche Flechten sind verschwunden, wie die langen Bartflechten, weil sich etwa die Luftbedingungen verschlechtert haben, denn Flechten sind da sehr empfindlich“, erklärt Barkemeyer.

Sehr hübsch liegt das Museum auf dem Museumsberg, mit einem weiten Blick über die Förde. Nächstes Jahr wird es seinen hundertsten Geburtstag feiern. Es gründet auf der Sammlung des Lehrers Hans Philippsen, eines leidenschaftlichen Geologen. Mehrmals siedelte es um, musste schließlich Ende der 1990er Jahre aus der Innenstadt weichen, als die Stadtbücherei mehr Platz benötigte.

Werner Barkemeyer führt das Haus allein, mit viel Geschick und ehrenamtlichen Helfern. Doch im vergangenen Herbst wollte der Rat der Stadt auch bei der Kultur sparen – und das Naturkundemuseum sollte gleich ganz geschlossen werden. Nicht nur unter den Flensburger Bürgern war die Empörung groß. Wissenschaftler und Museumsleute aus Schleswig-Holstein und bald aus ganz Deutschland und aus dem benachbarten Dänemark sowieso stellten sich auf die Hinterbeine, um energisch gegen die drohende Abwicklung des nur vordergründig kleinen Museums zu protestieren – und Naturkundler sind eigentlich sehr leise, fast scheue Wesen.

Im Dezember gab es Entwarnung: Die Ratsversammlung ruderte zurück, das Haus soll nun organisatorisch in die bestehenden Museen integriert werden. Was das genau heißt, ,integrieren‘, ist noch offen. Klar ist: Es soll gespart werden. Durch gemeinsame Ausstellungen mit benachbarten Museen. Zudem soll Barkemeyer Geld von Sponsoren, Stiftungen, Lottogemeinschaften einwerben. „Das, was alle machen“, sagt Barkemeyer. Er ist durchaus optimistisch, weiß aber auch, wie umkämpft dieser Markt heute ist: „Die Ansprüche der Geldgeber werden nicht geringer“, sagt er. „Daraufhin schreiben die, die das Geld wollen, immer professionellere Anträge, so schaukelt sich das hoch und das Geld wird ja meistens nicht mehr, das zu verteilen ist.“

Und sein Haus ist ja wichtig. Dort warten keineswegs nur leblose Steine, ausgestopfte Vögel und aufgespießte Insekten, auf die man verzichten könnte, in Zeiten knapper Kassen und wo es alles im Internet nachzulesen gibt. Der Goldene Scheckenfalter zum Beispiel: Eine Schmetterlingsart, die im Flensburger Umland heute ausgestorben ist. Sie soll wieder angesiedelt werden, dafür gibt die Stiftung Naturschutz in Kiel EU-Geld aus. „Der Scheckenfalter ist ein guter Indikator für den Zustand der Umwelt“, sagt Barkemeyer: „Geht es dem Scheckenfalter gut, geht es auch anderen Tieren und Pflanzen gut.“ Will man den Scheckenfalter halten, muss der Mensch für eine entsprechende Biotopverbesserung sorgen; muss etwa auf den Einsatz von Kunstdünger verzichten. Und damit aus den Falterpopulationen, wie es sie in Dänemark, in Polen oder Brandenburg noch gibt, genetisch Verwandte der einst hier ansässigen Falter ausgewählt werden können, griff man auf in Flensburg archivierte Scheckenfalterexponate zurück und analysierte deren genetischen Code.

„Häuser, wie wir eines sind, bieten mit ihren über die Jahrzehnte aufgebauten Naturarchiven gewissermaßen einen interessanten Genpool“, fasst der Museumsleiter zusammen. Dabei verliert Barkemeyer über den Blick ins Elektronenmikroskop nicht den Blick für die Alltagsmenschen vor der Museumstür: „Wir leben und profitieren aber auch von den Touristen, die zu uns kommen, weil sie am Strand eigenartige Steine oder auf der Tischdecke seltsame Insekten entdeckt haben.“ Und die nun wissen wollen, was es damit auf sich hat.

„Früher wollte man zeigen, was man alles hatte“, sagt Barkemeyer. „Die Vitrinen waren voll bis zum Stehkragen.“ Heute dagegen setzt er auf Übersichtlichkeit; auf kleine Schaukästen, in denen sich wenige Objekte finden, die dann vernünftig erklärt werden. Barkemeyer weist auf einen etwas ausgeblichenen Fischotter: „Das ist eine Flensburgensie, wobei ihr konservatorischer Zustand den Naturkundler nur begrenzt begeistert.“ Das Tier wurde im Winter 1962 nahe des Flensburger Kraftwerkes erschlagen. „Damals war man wohl stolz auf so eine Tat; sah den Otter als lästigen Fischräuber an.“ Barkemeyer wirft dem Tier einen langen Blick zu. „Heute geben wir viel Geld aus, um die Tiere wieder anzusiedeln. Auch das zu erzählen, ist unsere Aufgabe.“

Im der Förde zugewandten Raum finden sich das Schweinswalmodell, die Quallen und Seevögel. In Richtung Stadt wird das Leben der Silberfische und der Hausmäuse erklärt: „Tiere, wo der Besucher sagt: ,Ah, kenn’ ich; hab ich in meiner Wohnung auch‘.“

Das alles pflegt und hegt Werner Barkemeyer. Er schiebt Forschungsprojekte an, schreibt Finanzierungsanträge, besucht Tagungen, hält Kontakt zu anderen Museen und leiert Kooperationen an. Er betreut Kindergeburtstage, begleitet Schulklassen und gibt Lehrern Tipps. Er organisiert Führungen oder macht sie gleich selber, nachts zum Beispiel, wegen der Fledermäuse. Dafür hat er eine 32,5 Stunden-Stelle. „Sagen wir mal so“, sagt er: „Ich werde für 32,5 Stunden bezahlt.“

Apropos Stunden und Bezahlung: Aus der Politik gab es neulich schon mal eine kluge Idee: Man solle doch mal darüber nachdenken, ob man, wenn der Herr Barkemeyer irgendwann in Rente gehe, nicht wieder einen ehrenamtlichen Museumsleiter einsetzen könne.

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