Genossen machen die taz: „Wir sind immer auf Anerkennung aus“
Woran merkt ein Mensch, dass sein Leben gelingt? Der Soziologe Hartmut Rosa sagt: an Resonanz-Erfahrungen. Und leitet daraus auch politische Forderungen ab.
taz: Herr Rosa, Sie haben das ultimative Kriterium für ein gutes Leben gefunden?
Hartmut Rosa: Ultimativ wäre vielleicht anmaßend. Aber ich glaube, dass Resonanz ein sehr wichtiges Kriterium ist. Man bekommt damit einen ganz guten Kompass in die Hand, ob man ein gelingendes Leben führt.
Was bedeutet denn Resonanz?
Ich meine damit, dass einem Menschen die Welt als antwortend, atmend, tragend, wohlwollend oder sogar gütig erscheint. Eine Beziehung zwischen zwei Personen zum Beispiel ist dann eine Resonanzbeziehung, wenn sie sich in der Tiefe berühren und sich wechselseitig antworten.
Wie sind Sie auf dieses Kriterium gekommen?
Über die Beschäftigung mit der These, dass wir in unserer Lebensführung immer auf Anerkennung aus sind, also dass wir für unsere Leistungen wertgeschätzt und als Mensch geliebt werden wollen. Die vertritt unter anderem mein Doktorvater Axel Honneth. Ich sage: Ja, das stimmt, aber das ist nicht alles. Resonanzerfahrungen schließen diese Anerkennungserfahrungen ein, aber auch noch weitere, die wir für wichtig und wertvoll halten.
Nämlich?
Ich sehe in der modernen Kultur noch drei Bereiche. Erstens: Ästhetische Erfahrungen. Die Kunst ist seit dem 18. Jahrhundert ein ganz großes Resonanzfeld geworden. Wenn Menschen zum Beispiel Musik hören und ganz darin aufgehen, machen sie tiefe Glückserfahrungen. Zweitens: die Natur. Am Ozean zu stehen und die Wellen heranrollen zu hören – da machen viele die Erfahrung, dass sie nicht nur instrumentell oder kausal mit der Welt verbunden sind, sondern dass zwischen den Wellen draußen und dem eigenen Inneren eine Beziehung besteht. Und zum Dritten die Religion. Sie gibt die Möglichkeit, das menschliche Rufen in die Welt nicht als nutzlos zu erfahren. Die Idee des Gebets ist ja, dass man sich an einen Gott wendet, der einem antwortet und das Gefühl gibt, getragen zu sein.
33, lebt als Journalist in Leipzig und ist seit 2007 taz-Genosse.
Sie haben sich zuvor mit Beschleunigungsprozessen beschäftigt. Was hat Resonanz mit Beschleunigung zu tun?
Sehr viel. Die Beschleunigung unseres Lebens führt dazu, dass uns die Dinge und andere Menschen tendenziell fremd werden. Wir interagieren mit ihnen nur noch instrumentell. Es fehlt die Zeit dafür, dass man sich Dinge zu eigen macht und dass man sich von ihnen berühren lässt. Diese Entfremdung ist genau das Gegenteil von Resonanzerfahrungen, sie ist das Verstummen der Welt. Wer entfremdet ist von der Welt, der erfährt sie als kalt, feindlich oder zumindest gleichgültig.
Eine stumme, gleichgültige Welt – das erinnert an eine Krankheit, an der in letzter Zeit gehäuft Menschen erkranken und die die Öffentlichkeit stark beschäftigt: Depression. Sehen Sie das auch so?
Ja, absolut. Die Depression ist der Zustand tiefster Entfremdung, des ultimativen Schweigens. Die Dinge bedeuten einem nichts mehr, die Verbindungsschnur zur Familie, zur Arbeit, zu den Hobbys reißt. Die Weltoberflächen werden kalt und hart.
Jahrgang 1965, ist Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bei Suhrkamp erschien 2005 „Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ und aktuell „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung: Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik“.
Welchen praktischen Nutzen hat nun Ihre Resonanz-These?
Ich hoffe, dass damit sowohl die Gesellschaft als auch der Einzelne einen neuen Maßstab gewinnt, um Handlungsoptionen zu beurteilen. Meine Diagnose ist, dass wir quantitative Steigerungsraten als Ersatz für Qualitätsprüfungen genommen haben. Man denkt, es war ein gutes Jahr, weil man ein bisschen mehr verdient, seinen Freundeskreis erweitert hat, seine Optionen vermehrt hat. Wir müssen aber weg davon, solche Zuwächse per se als etwas Gutes zu betrachten.
Und stattdessen fragen: Spüre ich Resonanz, schwinge ich mit?
Oder auch: Wo in meinem Leben habe ich Kontexte, die ich als entfremdet oder entfremdend wahrnehme? Und was brauche ich, um Resonanzräume zu sichern oder zu vergrößern?
Leiten Sie auch politische Forderungen aus Ihrer These ab? Brauchen wir ein Ministerium für Resonanzförderung?
Ein Resonanzministerium sehe ich eher nicht. Aber ich finde, dass Resonanz eine Richtschnur für alle möglichen politischen Debatten werden sollte. Ob man über die richtige Bildungspolitik, die richtige Familienpolitik oder die richtige Arbeitspolitik nachdenkt, stets ist es sinnvoll zu schauen, wie man Resonanzräume vergrößern und Entfremdungserfahrungen vermindern kann.
Eine Querschnittsaufgabe für alle Ressorts also?
Ja, ich stelle mir das ähnlich vor wie bei Gender Mainstreaming. Da war die Idee auch, dass man Frauenpolitik nicht als Extra-Ressort macht, sondern als Gesichtspunkt, der alle Bereiche durchzieht.
Sind Sie mit Ihrer Resonanz-These eigentlich noch Soziologe, der Gesellschaft beschreibt, oder schon Philosoph, der sagt, was sein sollte?
Ich sehe meine Position als die eines Sozialphilosophen. Wenn ich gesellschaftliche Schieflagen und Pathologien analysiere, ist das Normative ja nicht weit. Wenn ich Vorträge über Beschleunigung halte, fragen die Leute am Ende immer: Ja, aber was sollen wir denn jetzt tun, wie kommen wir da raus?
Und: Erfahren Sie Resonanz auf Ihren Lösungsvorschlag?
Wenn ich darüber spreche, wird es meistens mucksmäuschenstill im Raum.
Spüren Sie bei dem Thema auch innerlich Resonanz? Hat es auch mit Ihnen persönlich zu tun?
Das Thema, wann sich Menschen getragen und wann sie sich in die Welt hineingeworfen fühlen, beschäftigt mich schon sehr lange. Als Schüler habe ich mal einen Roman angefangen zu schreiben, der hieß „Und die Erde singt doch“. Es war ein Heavy-Metal- und Internatsroman, aber im Grunde ging es um die Frage der Weltbeziehung. Die Jugendlichen in meinem Roman haben genau die Frage behandelt, die ich jetzt als Resonanzfrage beschreibe. Das Singen der Welt, das ist für mich bis heute der Inbegriff der Resonanz.
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de.
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