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Lärm-AuflagenAnschlag auf die Insel

Noch ein Veranstaltungsort steht auf der Kippe: Jetzt soll die Treptower Insel der Jugend für die Anwohner zu laut sein.

Viel lauter soll's nicht mehr werden: Ausflügler an der Treptower Insel. Bild: dpa

Es gab eine Zeit, als die Schlesische Straße noch eine unter vielen war – mit zwei Kneipen vielleicht, aber noch keinem Lido, keinem Club der Visionäre und keiner Arena. Auf der Insel der Jugend im Treptower Park jedoch veranstaltete ein Klub schon Mitte der Achtziger Punk-Wave-Diskoabende, und direkt nach der Wende lockten Techno- und Gruftie-Nächte, Familiennachmittage bei Kaffee und Kuchen und Konzerte von Bands wie Guided By Voices, Tocotronic und den Lassie Singers auf den weiten Weg in das Gebäude mit dem altmodischen Fachwerkturm, das bis zuletzt ein wenig nach DDR roch. Auch als es für den Klub kein Geld mehr gab, als 2010 nach zwei Jahren Pause der heutige Betreiber „Kulturalarm“ übernahm und über 120.000 Euro investierte, blieb die Insel der Jugend mit Festivals und Konzerten eine Art Leuchtturm für das in Sachen Nachtleben und Szene strukturschwache Treptow.

Damit könnte jetzt Schluss sein. Eine Tafel am Haus unterrichtet die Besucher, dass es in diesem Sommer keine Open-Air-Konzerte, kein Theater und auch kein Kino geben wird. Nach den Vorgaben des Umweltamts von Treptow-Köpenick dürfen tagsüber nur noch 55 Dezibel erreicht werden, das entspricht laut Betreiber André Szatowski einem Küchenradio in einem Meter Entfernung. Nachts sind 70 erlaubt – immer noch weit unter Konzertlautstärke. Szatowski fürchtet, dass ohne die nun zu lauten und daher zu streichenden Großveranstaltungen am Ende des Jahres 40.000 bis 50.000 Euro Einnahmen fehlen werden. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir den Winter überstehen“, sagt er mit Wut in der Stimme. „Wo sollen sie jetzt hin, die allein erziehenden Mütter, die schwullesbischen Paare? Vielleicht zum Schlagernachmittag in die Eierschale Zenner nebenan?“

Kultur macht Krach

Szatowski kann nicht verstehen, dass das Umweltamt des Bezirks nach einem Vierteljahrhundert Insel der Jugend nun plötzlich merkt, dass Krach entsteht, wo Kultur gemacht wird. Er habe stets Verhandlungsbereitschaft signalisiert, sagt er. Auch mit dem benachbarten Mädchenwohnheim des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) pflege man ein entspanntes Verhältnis. Er kann sich nicht vorstellen, was das Bezirksamt behauptet: dass es deren Beschwerden waren, die die Behörde zu solch absurden Auflagen veranlasst haben. Auch Anita Potschka vom Mädchenwohnheim bestätigt, man sei immer gut mit der Insel ausgekommen.

„Beschwerdeführer sind die Anwohner auf Stralau“, stimmt Potschka ihrem Nachbarn Szatkowski zu. In die Townhouses auf der Halbinselzieht immer mehr eine Klientel wie jene, die schon vor zehn Jahren für das Clubsterben in Prenzlauer Berg verantwortlich war: Leute, die einerseits die Nähe zur Szene suchen und andererseits ihre Ruhe wollen. Immobilienfirmen wie die Wi-Unternehmensgruppe werben auf Stralau für Bauprojekte mit garantiertem Spreeblick, goldenen Armaturen, Lobby, Concierge, Services, Fitness- und Wellnessbereich.

Warum sich die Verwaltung den Bedürfnissen ausgerechnet jener Anwohner beugt, die sich derlei leisten können – dazu konnte bis zum Redaktionsschluss im Bezirksamt niemand Auskunft geben. Die eine Hälfte, darunter der Bezirksstadtrat für Bauen, Stadtentwicklung und Umwelt, Rainer Hölmer, sowie der Ansprechpartner für Gaststättenlärm, Wolfgang Fischer, verweigerten jede Stellungnahme. Die andere Hälfte, darunter der Bezirksstadtrat der Abteilung Jugend, Gernot Klemm, war außer Haus.

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8 Kommentare

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  • J
    Jochen

    Ich finde: Wenn Ruhe, dann außerhalb von Berlin. Dafür steht die Stadt. Das ist der Wandel der Zeit - Freizeitkultur in Berlin. Sonst ist der Wandel der Zeit nur der Wandel des Einkommens.

  • B
    BerlinER

    Also ich bin gebürtiger Friedrichshainer und wohne auch seit Jahren auf Stralau IN EINER SOZIALWOHUNG! Ich habe weder goldene Wasserhähne und auch kein überdurchschnittliches Jahreseinkommen. Aber ich gehe für mein Geld hart arbeiten und habe ein gottverdammtes Recht auf Ruhe. Gegen gelegentlichen Lärm sagt ja auch niemand etwas.

    Auch ich war jahrelang in der Berliner Technoszene zu Hause und hatte anfangs kein Problem mit den Illegalen Parties aber leider ist das im Sommer bei Gutem Wetter ein Dauerzustand geworden. Und wenn man Montag morgens um 1 Uhr dort vorbeigeht und um Ruhe bittet weil man arbeiten muss und die Kinder schlafen wollen, dann noch eine rotzfreche Antwort bekommt und verhöhnt wird.

     

    Ich kann mich gegen den Lärm von allen Seiten nicht anders dagegen wehren als das Gespäch zu suchen und wenn das nichts fruchtet Anzeigen wegen Lärmbelästigung zu erstatten.

     

    Nächstes Mal wird nicht mehr geredet, sondern direkt der Stecker der PA gezogen und abgeschnitten.

     

    Schnauze voll von euch Vögeln

  • P
    Peter

    Einige wenige Zugezogene ? Auf Stralau leben auch ca. 600 Alteinwohner; zum großen Teil schon seit DDR Zeiten. Denen geht das Techno Gewummer genau so auf die Nerven und die Gesundheit wie den Neuzuzüglern. Ansonsten strotzt der Artikel nur so von Schubladendenken a' la "Goldene Wasserhähne".

  • D
    daniel

    Das mit der Insel ist bitter. Hier habe ich Ende der Achtziger einen Teil meiner Jugend verlebt.

     

    Das Geraune über die Zugezogenen jedoch ist billig und unangemessen, zumal hier ja Belege offenbar völlig fehlen und wild rumvermutet wird. Im Tagesspiegel ist tatsächlich die Rede davon, daß es eine Beschwerde des Kinderheims gab, die ihnen nun leid tut.

     

    Der Stralauer wiederum, den ich kenne, der sich regelmäßig über Lärm beschwert, lebt in eines Sozialwohnung und seit den fünfziger Jahren hier, paßt also gar nicht ins Klischee.

     

    Ein Problem in Stralau ist, daß der Schall von allen Seiten über das Wasser auf die Halbinsel trifft, gleichzeitig die Zahl von Ausnahmegenehmigungen für kommerzielle Veranstaltungen (Treptower Hafenfest, Festivals im Plänterwald, Festival im Treptower Park etc., alle mehrtägig) in den letzten Jahren massiv zugenommen hat und die beiden angrenzenden Bezirke Lichtenberg und Treptow (Stralau selbst gehört zu Friedrichshain) diese Ausnahmegenehmigungen nicht koordinieren.

     

    Was der Bezirk besser machen könnte: mehr auf die Beschwerden eingehen, nicht weniger. Aktiv nach Kompromissen suchen. Denn das Recht haben die Beschwerdeführer sowieso auf ihrer Seite. Wenn man ihre Beschwerden nicht ernstnimmt, werden sie wohl leider klagen. Durch Konfrontation oder Doof-Finden werden Konflikte nicht gelöst.

  • TR
    Thomas R.

    Im Gegensatz zu den Feierwilligen, die an Sonntagen und bevorzugt in Abend- und Nachtstunden zur Insel gehen, um dort mal richtig bei lauter Techno- und Electromusik abzufeiern und anschließend zu Hause ruhig auszuschlafen, können sich die Anwohner Stralaus dem Dauerlärm nicht entziehen. Wozu gibt es es Lärmschutzgesetze? Die Insel wirbt nach außen als

    familienfreundlicher Veranstaltungsort mit

    Biergarten, Bootsverleih und kulturen Veranstaltungen und beschallt Familien gleichzeitig mit lauten und teilweise ungenehmigten Open-Air-Veranstaltungen. Im Gegensatz zur Insel fallen die von der Insel viel zitierten "Lärmveranstalter" wie

    der Zenner, die wilde Renate und das Sysypos niemals durch Lärm auf. Wahrscheinlich weil sie es schaffen, Rücksichtsnahme und Veranstaltungsspass miteinander in Einklang zu bringen.

  • H
    Horst

    Das Problem liegt in der Arroganz einiger weniger Zugezogener. Nicht Sie haben Sich dem Umfeld anzupassen, in das Sie gezogen sind, sondern alles um Sie herum hat Sich Ihnen anzupassen.

     

    Das sind halt echte Asoziale.

  • A
    alcibiades

    Man fasst es nicht. Wann begreifen diese Leute endlich, dass sie in Kleinstädten und Dörfern, zB im wunderschönen Sachsen-Anhalt, viel besser aufgeheoben wären?

    Wenn eine Grossstadt nur noch die Interessen dieser Wellnessfanatiker beachtet, dann werden die Herrschaften künftig halt ohne Kultur auskommen müssen.

  • T
    Titel

    Sehr geschickter Titel für den Artikel... gerade zu Prozessbeginn in Oslo