Ausstellung Vogelkunst: Die Selbstauflösung der Poesie

Vögel seien die Krone der Schöpfung, fand Georg Jappe. Deshalb hat er ihre Namen zu Gedichten gemacht und ihre Sprache mit der unsrigen vermischt.

Optische Poesie: Keilschrift, 1984. Bild: Foto: Georg Jappe; VG Bild-Kunst, Bonn

HAMBURG taz | Georg Jappe war schon eigenwillig. Er war nämlich der Ansicht, dass Vögel die Krönung der Evolution seien. Dass vorher und nachher nichts Vergleichbares mehr gekommen sei. Denn weder zuvor noch danach habe es eine derart differenzierte Flug- und Gesangsausbildung, soviel Weitblick und Teamgeist gegeben. Und erst die Zivilisation: Schmarotzer und Aasfresser fördere die, durch offene Müllkippen zum Beispiel. Biotop-Spezialisten wie Uhu und Eisvogel dagegen stürben aus.

Letztere sind Befunde, die jeder Ornithologe bestätigen würde. Dass Vögel ganz allgemein überlegen seien, würden Ornithologen allerdings nur hinter verschlossenen Türen vertreten, um keinen Ärger mit den Säugetier-Lobbyisten zu bekommen.

Aber Ornithologen sind ja auch keine „Ornithopoeten“ wie Georg Jappe, der 2007 starb und dem die Hamburger Kunsthalle derzeit eine Ausstellung widmet. Seine Lebensgefährtin Lili Fischer, mit der Jappe vor Jahren eine Stiftung gründete, hat die beiden exquisiten Räume gestaltet und einen Großteil der Werke der Kunsthalle vermacht.

Und wenn Künstler Künstler kuratieren, ist klar, dass die Ausstellung selbst zum Kunstwerk wird. So eine Schau soll schließlich die Handschrift der Gestalter tragen und selbst Ästhetikum und ungelöstes Rätsel sein. Folgerichtig findet man im Hauptraum etliche winzigst beschriftete Blätter, Landkarten, Vogel-Kalligraphien und ein paar an die Wand gepinselte Möwen. Ein bisschen sieht es wie das mumifizierte Arbeitszimmer des Künstlers aus.

„Ornithopoesie“: Das klingt poetisch, federleicht, ein bisschen romantisch, und man freut sich darauf, sich vogelgleich hinwegtragen und -träumen zu lassen… und kracht jäh auf dem Boden der Realität auf. Denn schon nach wenigen Minuten in der Kunsthalle ist klar, dass das hier nicht Traum, sondern harte Arbeit wird und dass man eher in einer archäologischen als in einer ornithologischen Ausstellung gelandet ist.

In der Tat sehen sie ein bisschen aus wie Keilschrift-Tafeln, die säuberlich beschrifteten Blätter, die nach Entzifferung rufen und sie zugleich verweigern. Man wird nacheinander neugierig, eifrig und wütend, will erzwingen, dass die Buchstaben etwas preisgeben – und hat es endlich geschafft: „Rebhuhn“ steht da. Unweit davon „Storch“. Oder so ähnlich. Und vielleicht ist man in diesem Moment in die Falle des Wiedererkennen- und Entziffern-Müssens gegangen.

Aber zwanghaft oder nicht, man hat verstanden: Dies hier sind Georg Jappes berühmte Vogeltagebücher. Akribische Listen, die er, der auch freier Kunstkritiker, später Professor für Kunsttheorie war, in Köln, Hamburg, auf Grönland, Spitzbergen und im Teufelsmoor fertigte. Er hat wirklich jeden Vogel notiert, den er sah. Und er war stolz und zufrieden, wenn er einen erkannte. Beunruhigt, wenn er ihn im Folgejahr nicht mehr vorfand, weil die Umwelt zu unfreundlich geworden war.

Bei Sonne, Regen und Schneegestöber ist Jappe gereist, ist mit dem Boot bis zu den äußeren Hebriden gefahren und hat notiert und aufgenommen, was das Zeug hielt. Denn Vogellaute – das waren für ihn Vokabeln einer ganz realen Sprache, der menschlichen gleichwertig; vermutlich wünschte er dringend, sie zu verstehen.

Aber er schaffte es nicht und hat sich zum Ausgleich die alten germanischen Mythen angesehen, in denen die Vögel noch sprachen. Hat in Lexika die mittelhochdeutsche Etymologie deutscher Vogelnamen nachgeschlagen und als minimalistisches Gedicht aufgeschrieben. Die alten Germanen, fand Jappe, wussten noch, dass wir von vielen Sprachen umgeben sind, und er suchte es nachzuspielen auf seinen Bändern, wo sich Menschen- und Vogelsprache abwechseln.

Dann wieder hat er aus Vogelnamen Vogelsilhouetten gebildet – Ornithopoesie eben. Die konnte sich aber auch ganz konkret an die Realität andocken: Dann nämlich, wenn er von Vögeln besiedelte Landschaften fotografierte. Vögel waren für ihn nicht nur Bewohner, sondern auch Insignium, vielleicht gar Alleinstellungsmerkmal bestimmter Regionen; Jappe nannte Vögel das „Gedächtnis der Landschaft“.

Ein Vogelname, sagte er, rufe in ihm eine bestimmte Landschaft wach. Dass es dabei ums subjektive Erleben und nicht um wissenschaftliche Forschungen ging, verstand sich von selbst. Und vielleicht ist seine Kunst – deckt man die vordergründig pragmatisch kartierende Schicht ab – deshalb so emotional. Denn so, wie Jappe Menschen- und Vogelsprache mischte, verflocht er auch Geographie mit Ornithologie. Und das geht so: Man zeichne eine Karte eines Küstenstrichs. Dann beschrifte man sie mit den Namen der dort gesichteten Vögel – und ziehe die Karte drunter weg. Und schon hat sich die abstrakte Idee von Landschaft in ein konkretes Vogelbiotop aufgelöst, ist quasi in eine andere Existenzform umgekippt.

Um diese Auflösung muss es Jappe, der so manisch nach Vollständigkeit zu streben schien, letztlich gegangen sein. Das legen jene Fotos nahe, die er um handschriftliche Vogelnamen ergänzt hat. Die Worte stehen gleichberechtigt neben den Vögeln, als wären sie nur deren anderer Aggregatzustand. Und das ist es, was Jappe wohl mit „optischer Poesie“ meinte: die Gleichberechtigung von Wort und Bild.

Die Steigerung dieses Prinzips wären dann seine winzigen, auf Riesenblätter getupften Vogelnamen, die aussehen wie Vogelformationen am Himmel. Kalligraphien mit viel Weißraum sind das. Und fast ist man beim Anblick dieser Bilder, die die Selbstauflösung der Ornithopoesie markieren, geneigt, an Religion zu denken. Jappe, sagt Gefährtin Lili Fischer, sei nicht sehr religiös gewesen. Aber vielleicht hat er ihr das bloß nicht erzählt …

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