"Entartete Kunst" kehrt zurück: Den Bildersturm überlebt

Dem U-Bahn-Bau sei Dank: Bei Grabungsarbeiten tauchten in Berlin verschollen geglaubte Skulpturen aus der NS-Ausstellung "Entartete Kunst" auf. Einige stammten aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Dort sind jetzt alle Fundstücke zu sehen.

Versehrtes Menschen-Bild: Emy Roeders "Schwangere" von 1918. Bild: Achim Kleuker / Staatliche Museen zu Berlin

HAMBURG taz | Eigentlich suchten sie das Mittelalter, als sie beim Berliner Roten Rathaus mit dem Bau einer U-Bahn begannen. Das lag nahe, denn der Ursprungsbau des Rathauses stammt aus dem 13. Jahrhundert. Also trugen die Archäologen Schicht für Schicht den Boden ab, im Januar 2010 war das. Mit schnellen Erfolgen rechneten sie da nicht.

Und dann sah ein Arbeiter irgendwann ein komisches Ding von der Baggerschaufel fallen: eine Bronzebüste, die schnell ins archäologische Museum gebracht wurde, immerhin wirkte sie uralt. Das aber war sie nicht: Aus den 1920er-Jahren stammte die Büste, gegossen hatte sie der Künstler Edwin Scharff. Die Berliner freuten sich, gingen aber von einem einzelnen Fund aus.

Im August 2010 tauchten dann, ganz in der Nähe, weitere 15 Stücke auf. Mit viel Patina, etliche beschädigt, aber allesamt aus den 1920er-, 1930er-Jahren. Und als eine Terrakottafigur als Emy Roeders „Schwangere“ identifiziert werden konnte, war klar: Einige der Objekte waren 1937 während des „Dritten Reiches“ in der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt worden. Und durchweg hatten sie später als verschollen gegolten.

Aber warum fand man die Werke ausgerechnet in der Nähe des Berliner Rathauses? Die Archäologen stellten fest: In dem Keller, in dem sie gefunden wurden, waren die Werke nicht aufbewahrt worden. Sie lagen oberhalb der Möbel, mussten also aus einer Etage weiter oben heruntergefallen sein, vermutlich im Jahr 1944, im Zuge von Bombardierung und Brand.

Das Haus nämlich war einmal ein Depot des Reichspropagandaministeriums gewesen. Dessen Verwalter hatten dort Wohnungen gemietet, um Kunst einzulagern, die von der Ausstellungstour zurückkam oder sich nicht verkaufen ließ.

Kein sicherer Ort, sagt Matthias Wemhoff, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, anlässlich der Ausstellung, die jetzt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist. Fünf der Fundstücke stammen ursprünglich von dort – weil das Museum seinerzeit einen ausgesprochen mutigen Direktor hatte.

Max Sauerlandt leitete das Haus von 1919 bis 1933 und war keineswegs unpolitisch, wie man es bei einem Museum für angewandte Kunst vermuten könnte. Er verstand sich vielmehr als Förderer junger Kunst, kaufte fast frenetisch an: malende Expressionisten wie Karl Schmidt-Rottluff, aber auch Bildhauer wie Naum Slutzky, Gustav H. Wolff, Richard Haizmann und Otto Freundlich, deren Skulpturen 2010 in Berlin gefunden wurden.

Sauerlandt wollte dringend neueste Strömungen zeigen, und da war es ihm auch egal, dass der Chef der benachbarten Hamburger Kunsthalle, Gustav Pauli, seine Sammlungspolitik gar nicht schätzte. Schlimmer war, dass Sauerlandt ins Visier der Politik geriet, das heißt: der nationalsozialistischen Regierung – gleich im April 1933 entließ man ihn fristlos. 1937 dann wurden im Museum für Kunst und Gewerbe 212 Arbeiten beschlagnahmt – auch die fünf Skulpturen, die jetzt erstmals heimkehren. Um ihren dauerhaften Verbleib – in Hamburg oder Berlin? – gibt es derzeit Gerangel.

Die Hamburger Ausstellung ist nicht nur eine Verbeugung vor dem ehemaligen Direktor. Sie will auch neue Deutungsfenster öffnet, indem sie die Exponate mit all ihrem Grünspan, den Brandspuren, Sprüngen, Rissen und Dellen scheinbar um mehr hat altern lassen als nur die realen 70 Jahre.

Rezipierte man die Stücke nämlich ohne Kenntnis ihres Hintergrunds, ließe sich die Ausstellung quasi archäologisch lesen: Dann ginge Karl Ehlers’ statische „Frau mit Traube“ als sumerische Figur durch, Otto Freundlichs halber „Kopf“ ähnelte einer beschädigten Ramses-Büste. Naum Slutzkys weibliche Büste wäre eine Reminiszenz an die griechisch-antike Venus von Milo.

Aber die Figuren und Köpfe wirken nicht nur beschädigt wie von dem Bildersturm, der ihnen ja ganz konkret widerfuhr – mithin auch der vom Deutschen Reich entfachte Krieg. Diese so verunstalteten Figuren sind zudem ja schonungslos aufs Elementare reduziert, erfordern einen erbarmungslosen Blick einerseits auf die ihnen zugrunde liegende, minimalistisch scharf geschnittene Form; sie erinnert an die antiken und außereuropäischen Vorbilder der Expressionisten.

Zum zweiten erzählen diese Stücke Ideologie- und Kriegsgeschichte, zeugen vom Verschüttet- und Gerettetwerden, ein bisschen „Phönix-aus-der-Asche“-Symbolik inklusive. Wobei das Irritierende bleibt: dass diese Figuren wie Insignien einer Ära erscheinen, die Äonen zurückzuliegen scheint. Was aber gar nicht stimmt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.