MEDIENKULTUR : "Für Melkmaschinen und Liebe"

Der Kommunikationswissenschaftler Andreas Hepp hat in Bremen ein Zentrum für Medienforschung aufgebaut. Wir sprachen mit ihm über die Kultur mediatisierter Welten.

Affe Kenzy ist ein berühmter Hollywoodstar, findet Heidi Klum. Und der Umgang mit Prominenten macht selber prominent. Bild: Screenshot/Pro7

taz: Manchmal befassen sich Zeitungen zu einem Dritteln mit Filmen, Fernsehstars oder anderen Medienprodukten und Problemen, die wir nicht hätten, wenn wir diese elektrischen Medien nicht hätten. Ist das noch normal?

Andreas Hepp: Das ist charakteristisch. So etwas finden Sie inzwischen selbst bei der FAZ. Das ist auch der Grund dafür, dass wir heute von Medienkultur reden. Wir können die heutige Kultur nicht mehr jenseits dieser Medien verstehen. Medienkultur meint dabei mehr als die klassischen Massenmedien, mehr als den Teil der Kultur, der im Fernsehen passiert. Ob es um die Freizeit geht, die Arbeit, die Organisation von familiären Beziehungen – überall hängen diese elektronischen Medien drin. Unsere Kultur ist absolut von Medien durchdrungen, wir sagen: mediatisiert.

Sind jugendliche, die ganz in dieser Medienkultur leben, einsam, wenn ihnen Handy und MP3-Player genommen werden?

Die Trennung der Medien vom Rest des Lebens funktioniert nicht mehr. Selbst die Beziehung zum besten Freund und zur besten Freundin wird über Medien gepflegt. Die Trennung von realem Leben und Medien empfinden wir gar nicht mehr. Wenn Sie ein Experiment machen und einem Menschen sagen, er soll nur noch in den Medienkontakten leben, einem anderen, komplett darauf verzichten – dann fehlt beiden etwas.

Brauchen wir dieses face-to-face noch?

Ja. Die direkte Kommunikation ist die Urform von Kommunikation, die wir als Menschen lernen. Darüber lernen wir verstehen, was Menschen sind, was andere Menschen sind. Im Prozess der Sozialisation kommen dann die technischen medienvermittelte Realitäten dazu. Das fängt an bei den Phantasien der Kinder. Aber die medienvermittelte Kommunikation hat eine andere Verbindlichkeit. Wenn es wirklich heikel wird, dann sagt man: Ich muss mich mit der Person treffen. Im direkten Gespräch nutze ich alle Sinne. Man riecht den anderen, man spürt, wenn er nervös wird und schwitzt. Man kann dem Gegenüber in die Augen schauen.

Der direkte Kontakt bleibt das Zentrum?

Auch Vorstellungen sind andre, wenn wir sie direkt machen. Wer einmal in ein Land gereist ist, hat ein intensiveres Bild davon als andere, die es nur auf filmen kennen. Was das Weltall ist, wissen wir nur aus Medien - wenn nun die Wissenschaft mitteilen würde, dass irgendetwas dort ganz anders ist als wir bisher dachten, haben wir keine Probleme, das zu übernehmen. Im Nahleben, wo wir direkte Erfahrungen gemacht haben, würden wir jede neue Information erst einmal abgleichen mit dem, was wir hautnah wissen. Den Kern der Erfahrungen können wir nach wie vor kontrollieren, da löst sich nichts in rein virtuelle Realität auf.

In der Kultur wurden neue Medien schon immer integriert - etwa die Schrift, die die Art unseres Denkens so geprägt hat. Passiert das mit den elektrischen Medien auch?

Unsere Wahrnehmung ist eine mediatisierte Wahrnehmung. Wir können nicht mehr wahrnehmen, wie ein Mensch ohne Schrift in einer Jäger- und Sammlergesellschaft wahrgenommen hat. Auch die heutige gesprochene Sprache basiert auf Schrift, man redet daher von „sekundärer“ Oralität. Das heißt aber nicht, dass nicht die direkte Erfahrung wichtig wäre, scheinbar unvermittelt.

Werden analoge Gruppenbezüge nicht unwichtiger, wenn man digital vernetzt ist?

Ich glaube, dass diese These nicht stimmt. Wir haben das in einer Untersuchung in dem Forschungsprojekt „Mediatisierte Welten“ untersuchen wollen. Wir haben mit 60 jungen erwachsenen Interviews gemacht über die Frage, wie sie sich vernetzen und welcher Vergemeinschaftung sie sich zugehörig fühlen. Wir haben vier Typen gefunden. Die einen haben wir „Lokalisten“ genannt, das sind Leute, die die digitalen Medien nur dazu benutzen, um ihr lokales Netzwerk - Freunde, Familie, Clique – praktischer zu organisieren. Die zweite Gruppe sind „Multi-Lokalisten“ haben zwei oder drei lokale Zusammenhänge, machen es aber genauso. Das kann schon durch einen Umzug zustande kommen. Das ist die Mehrheit. Es gibt daneben „monothematisch“ orientierte Menschen, bei denen alle Kommunikations-Netzwerke um ein Thema kreisen. Hochreligiöse Menschen zum Beispiel. Oder Menschen, die in einer Jugendszene oder einer politischen Bewegung sehr engagiert drinstecken. Die vierte Gruppe schließlich haben wir Pluralisten genannt. Menschen, die sehr breit kommunikativ vernetzt sind. Aber auch diese Menschen pflegen damit verschiedene direkte Kontakte. Ein Abdriften in Netz-Beziehungen haben wir nicht gefunden.

Die Ansprüche an romantische Zweierbeziehungen steigen, obwohl das Leben sich öffnet für fernere Dinge, die man früher gar nicht im Blick haben konnte.

Wirklich? Es gibt Internetportale, in denen sehr unromantisch nach Partnern für eine bestimmte Lebensphase gesucht wird.

Selbst bei „Sex in the City“ geht am Ende es um die romantische Liebe!

Das ist der Witz bei allen Serien. Sie können die so oder so sehen. Weniger als in Hollywood-Filmen der 50er Jahre wird heute in den Medien die romantische Beziehung als Endpunkt erreicht, an dem die Geschichte sozusagen aufhören kann.

Sie gehen jetzt ein halbes Jahr nach England – wir da über Medien anders diskutiert als in Deutschland?

Das Goldsmith-College in London ist für die Medienwissenschaften schon eine der ersten Adressen. Die Briten haben in der Medienforschung in den letzten Jahren international wichtige Impulse gegeben. Dagegen hat die deutsche Kommunikationsforschung lange an traditionellen Vorstellungen von Massenkommunikation geklebt. London ist dabei eine transkulturelle Mega-Stadt, das ist nicht einfach britisch. Solche Ballungsräume sind so etwas wie Vorreiter für Medienentwicklungen. Wo Leute lange am Tag in U-Bahnen und Bussen saßen, gewannen MP3-Player, tragbare Bücher und Handys viel früher große Bedeutung. Mittlerweise schicken selbst Melkmaschinen ihre Informationen auf das Handy des Bauern.

Jahrgang 1970, ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienkultur und Kommunikationstheorie und an der Universität Bremen. Er leitet als "Sprecher" das Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) am Fachbereich Kulturwissenschaften und ist beteiligt am DFG-Schwerpunktprogramm 1505 "Mediatisierte Welten". Jüngst erschien sein Buch "Medienkultur", Darin analysiert er die "Kultur medialisierter Welten". Der Begriff "Medienkultur" soll deutlich machen, dass kulturelle Vergemeinschaftungen heute in wesentlicher Weise über technische Medien vermittelt stattfindet. Hepp versteht sein jüngstes Buch als "Skizze, die zu fassen versucht, was wir im Blick haben müssen", wenn wir den aktuellen kulturellen Wandel angemessen begreifen wollen. (VS Verlag)

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