Flüchtlingshilfe im Sinai: „Allah gibt mir jeden Tag mehr Kraft“
Afrikaner bezahlen Schmuggler, um durch den Sinai nach Israel zu kommen. Stattdessen werden sie eingesperrt, gefoltert – und, wenn kein Geld fließt, getötet.
„Ohne mich wüsste niemand, was hier vor sich geht“, sagt Hamdi al-Asasi und lehnt sich in seinem Schreibtischsessel zurück. Vor sechs Jahren gründete der 45-Jährige die New Generation Foundation. Seitdem kämpft er gegen Menschenschmuggel, Folter und Erpressung im Sinai. „Ich habe die internationale Presse über die Probleme informiert. Wegen mir sind sie alle hergekommen und haben berichtet.“
Al-Asasi sitzt in seinem Büro in al-Arisch, der einzigen größeren Stadt im Nordsinai. Im Inneren der Halbinsel wechseln sich kleine Weiler mit Wüste und zerklüfteten Bergen ab.
Der ägyptische Staat hat sich vor langer Zeit aus diesem Knotenpunkt zwischen Afrika, Nahem Osten, Ägypten, Gaza und Israel zurückgezogen. Hier herrschen Beduinenstämme. Die Präsenz von Militär und Polizei beschränkt sich auf gelegentliche Checkpoints. Daran hat sich auch nach dem Sturz Mubaraks nichts geändert.
Auf der Straße vor den Fenstern von Al-Asasis Büro ziehen weiße Pick-up-Jeeps vorbei. Die Augen des Flüchtlingshelfers wandern über den Computerbildschirm. Sein fünfjähriger Sohn Anas baut auf dem Schreibtisch aus Stiften kleine Pyramiden. „Ich arbeitete damals freiwillig in einem Krankenhaus, als ein Eritreer und ein Sudanese eingeliefert wurden. Durch sie erfuhr ich von den Menschenschmugglern“, erinnert er sich.
Ein Leben ohne Armut
Tausende Menschen aus Eritrea, Sudan und Somalia bezahlen jedes Jahr Schmuggler, um durch den Sinai nach Israel gebracht zu werden. Die Flüchtlinge hoffen auf ein Leben ohne Armut und Gewalt. Aber viele werden Opfer eben jener Leute, die sie in Sicherheit bringen sollten. „Die Schmuggler sperren die Flüchtlinge ein und foltern sie“, sagt al-Asasi. „Während sie sie foltern rufen sie Verwandte der Flüchtlinge an und lassen sie ihre Schreie hören, um Geld für eine Freilassung zu erpressen.“
Hunderte Menschen befinden sich derzeit in Gefangenschaft. Mit Ketten aneinandergefesselt, werden sie mit Elektroschocks gefoltert, mit Kabeln geschlagen und kopfüber an die Decke gehängt. Frauen werden vergewaltigt. „Einen Eritreer haben sie an einen Pfahl gebunden und über einem Feuer geröstet“, sagt al-Asasi und zeigt auf seinem Computer Bilder des Überlebenden. Brandwunden bedecken seinen Körper, an manchen Stellen hat sich die Haut abgelöst, darunter kommt Fleisch zum Vorschein.
Die Schmuggler gehören überwiegend der beduinischen Bevölkerungsmehrheit der Halbinsel an. Pro Opfer erpressen sie bis zu 40.000 US-Dollar. Schaffen es die Verwandten nicht, das Geld schnell genug aufzubringen, sterben viele Opfer an Hunger oder Folter. Immer wenn jemand eine Leiche findet, bekommt al-Asasi einen Anruf. Er dokumentiert die Fälle mit seiner kleinen, silbernen Digitalkamera. Routiniert klickt er durch Hunderte von Fotos auf seinem PC. Die Bilder zeigen halbverweste, ausgemergelte und verdorrte Körper im Wüstensand.
Ins Gefängnis wegen unerlaubten Grenzübertritts
Früher war al-Asasi Englischlehrer. Doch weil er immer wieder Ägyptens Regierung kritisierte, verlor er seinen Job und wurde ins Gefängnis gesperrt. Er sagt, er haben den Kampf gegen die Schmuggler aufgenommen, weil er weiß, wie sich Flüchtlinge fühlen. 1967, während des Sechstagekriegs zwischen Ägypten und Israel, musste auch seine Familie fliehen. Deshalb kümmert er sich um die toten Afrikanern – und um die Überlebenden.
Denn auch wenn Verwandte der Gekidnappten das verlangte Lösegeld zahlen, ist die Odyssee der Flüchtlinge nicht zu Ende. Oft greift sie die Polizei auf und sie werden wegen unerlaubten Grenzübertritts ins Gefängnis gesperrt.
Al-Asasi sammelt Sach- und Geldspenden, um Essen für die Gefangenen zu kaufen. Ohne diese Hilfe erhalten sie nur Brot, Käse und Wasser. Zudem nimmt al-Asasi Kontakt mit Verwandten auf, um die Rückreise zu organisieren. Dennoch verbringen viele Flüchtlinge Monate in den überfüllten Zellen.
Essen für die Gefangenen
Die Gefängniswärter tolerieren diese Bemühungen. Sie erleichtern ihre Arbeit. Trotzdem wird al-Asasi beim kleinsten Fehler angebrüllt. Den Polizeichef von al-Arisch begrüßt er unterwürfig mit Handschlag und Kuss auf die Wange. Er überschüttet ihn mit Komplimenten, nennt ihn Pascha, macht sich vor ihm klein.
Unterstützung im Kampf gegen die Schmuggler erhält al-Asasi weder von der Polizei noch der Regierung. „Ich habe Fotos der Foltercamps, ich weiß wo sie sind“, sagt er. „Ich habe die Namen der Schmuggler an die Polizei und das Militär weitergegeben – aber keiner unternimmt etwas.“ Die Beamten in Kairo behaupten, sie wüssten nichts von dem Problem. Wieso, das weiß al-Asasi nicht. Vielleicht werden sie bestochen? Oder scheuen die Konfrontation mit den schwerbewaffneten Schmugglern?
Al-Asasi führt seinen Kampf in den Medien und in der Öffentlichkeit. Auch das dokumentiert er akribisch auf seinem Computer. „Sieh hier: Alle kommen und schreiben Artikel und filmen. CNN war hier und hat über mich berichtet und die britische BBC“, sagt er und zeigt Ausschnitte aus den Dokus, die ihn bei der Arbeit zeigen, bevor er hinter sich in einen Stapel Zeitungen greift.
„Und hier, dieser Artikel ist über die Schmuggler und mein Kampf gegen sie. Alle Bilder auf dieser Seite habe ich geschossen. Und da auf dem Foto bin ich auf einer Konferenz.“ Al-Asasi hofft, dass er die Stammeschefs auf seine Seite ziehen kann und diese wiederum Druck auf die Schmuggler ausüben.
Nicht nur Drohungen
Ursprünglich halfen ihm 18 Freiwillige bei seiner Arbeit. Doch seit die Aufmerksamkeit für das Problem wächst, erhält er immer wieder Morddrohungen. Heute sind die Helfer nur noch zu dritt. Alle anderen haben aus Angst um sich und ihre Familien aufgehört. Dass die Schmuggler es ernst meinen, haben sie kürzlich unter Beweis gestellt.
Ein weißer Pick-up wartete anderthalb Stunden vor al-Asasis Haus. Das berichteten Kinder, die in der Straße wohnen. Als sein elfjähriger Sohn aus dem Haus kam, überfuhr ihn der Jeep. Seitdem liegt er im Krankenhaus. Bereits viermal wurde er operiert, bald fliegt er für weitere Behandlungen nach Marokko. Dort lebt die Mutter des Jungen, die sich vor drei Jahren von al-Asasi getrennt hat.
Wenn der Flüchtlingshelfer darüber spricht, verfliegt sein Stolz auf die Medienaufmerksamkeit. Das Vorzeigen stoppt. Stattdessen bricht Wut durch seine Stimme. „All diese Zeitungen und Hilfsorganisationen gratulieren mir für meine Arbeit. Die Europäische Union, die Vereinten Nationen – sie alle schreiben mir Briefe und sagen, wie toll meine Arbeit ist“, sagt al-Asasi und applaudiert sich selbst sarkastisch. „Aber ich bin alleine hier, keiner hilft mir.“
Von Gott beauftragt
Trotz allem habe er keine Angst vor den Schmugglern. „Wenn sie mich und meine Kinder töten, dann werden wir Märtyrer sein, während die Schmuggler in der Hölle verrotten. Gott hat mich beauftragt, diesen Kampf zu führen“, sagt al-Asasi. „Wenn ich in der Position der Flüchtlinge wäre, dann würde ich beten, dass jemand kommt und mich trägt und mich zur letzten Ruhe bettet.“
Seit vor einigen Wochen 16 Soldaten bei einem Angriff auf die ägyptisch-israelische Grenze getötet wurden, hat die Regierung in Kairo versprochen, gegen bewaffnete Gruppen im Sinai vorzugehen.
Al-Asasi hofft, dass sie auch etwas gegen die Schmuggler unternehmen. CNN hat unterdessen angekündigt, für einen weiteren Film wiederzukommen und in den letzten Tagen wurden mehrere Flüchtlingsgruppen von ägyptischem Militär aufgegriffen.
Al-Asasi glaubt, dass die Schmuggler sie freiließen, weil sie unter Druck geraten. „Keiner außer mir kann diesen Kampf führen. Ich fühle, wie Allah mir jeden Tag mehr Kraft gibt“, sagt al-Asasi und blickt durch die großen Fenster auf die Straße.
Ein weißer Pick-up fährt vorbei. Hamdi Al-Asasis Blick wandert durch den Raum, sucht die großen braunen Augen seines Sohnes Anas. „Mit einem solchen Wagen wurde mein anderer Sohn überfahren.“
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