Blogger Johnny Haeusler: Rockstar, Moderator, Kindergärtner
Der Blogger und Plan-B-Sänger Johnny Haeusler hat lange im Streit um Urheberrechte vermittelt. Jetzt will er wieder mehr Krach machen.
„Ich fand Reunions meistens grausam“, sagt Johnny Haeusler und fixiert einen Punkt weit hinter der Cola auf dem Cafétisch auf einer Kreuzberger Flanier- und Einkaufsstraße. Älter gewordene Musiker, die auf der Bühne stehen, Fans, die sich auf einmal auch alt fühlen, das ganze Ding. Und trotzdem hat er jetzt seine Band wieder zusammengebracht.
Plan B. Rockmusik. Haeusler als Frontmann. Aufgelöst Mitte der Neunziger. Als Westberlin noch von einer Mauer umstellt war, waren sie eine große Nummer in der Stadt, hatten sogar in den USA Erfolg. Wären fast ganz groß rausgekommen. Fast. Wenn ihr Majorlabel nicht 1993 die neue Platte der Band als „unverkäuflich“ abgeschossen hätte. Und Plan B sich nach einem langen Rechtsstreit mit der Plattenfirma schließlich frustriert auflöste. „Wir haben da noch eine Rechnung offen“, sagt Haeusler und reibt sich über den Kopf. 48 Jahre ist er vor ein paar Wochen alt geworden. Verheiratet. Vater von zwei Söhnen.
„Jahrzehntelang mache ich Musik, dann höre ich auf – und dann wird das Web zum Massenmedium. Mist. Das hätten wir mal damals haben sollen“, sagt er. Ein Satz, der etwas wahnsinnig klingen würde – in Zeiten, in der die Musikbranche jammert, dass das Internet und seine Raubkopien Künstler und Labels in den Ruin treibt. Wäre da nicht das zweite Leben von Johnny Haeusler. Das, das er sich in den 17 Jahren Bandpause aufgebaut hat.
Jubel – ohne Gitarre
Haeusler hat das Internet zu seiner Bühne gemacht. Auf einer besonders großen stand er vor viereinhalb Monaten. Tausende haben ihm und seinem Team da zugejubelt, in einem alten Berliner Postbahnhof. Haeusler stand im Rampenlicht, ohne Gitarre, nur mit einem Mikrofon.
Viele, die ihm da applaudierten, sind noch zur Grundschule gegangen, als Haeusler mit Plan B im Vorprogramm von The Clash, den Ramones und Duran Duran spielte. Die meisten dürften noch nie von seiner Band gehört haben. Sie feierten den anderen Johnny Haeusler. Den Internettypen. Den Gründer und Kopf von spreeblick.com, eines der populärsten Blogs in Deutschland, preisgekrönt. Den Mitveranstalter der re:publica, dieser Bloggerkonferenz, die Haeusler mit seiner Frau und zwei Mitstreitern vor sieben Jahren ins Leben rief. Und die heute eine der wichtigsten Veranstaltungen der deutschen Webszene ist.
Das zweite Leben. Alphablogger statt Rockstar.
Seit Jahren spaziert Haeusler scheinbar mühelos zwischen analogem und digitalem Kulturbetrieb hin und her. Er ist einer, der sich nicht eindeutig ideologisch zuordnen lässt – weder zur sogenannten Netz-Community noch zum Musikbusiness. In der wütenden Debatte übers Urheberrecht im digitalen Zeitalter ist Haeusler darum der Kindergärtner. Der Typ, der vermittelt, wenn sich kopierfreudige Interneteuphoriker und skeptische Offline-Kulturelle mit Sand und Förmchen beschmeißen.
Monster Kulturflatrate
Haeusler lässt in seinem Blog beide Seiten zu Wort kommen. Er kennt beide Welten: Hat Verständnis für die Existenzängste von Musikern. Ärgert sich aber auch über den Zirkus, den er veranstalten muss, damit er den gleichen digital gekauften Song für seine beiden Söhne nicht zweimal bezahlen muss. Die Kulturflatrate? Ein bürokratisches Monster, das schlimmer als die Gema werden könnte. Kommerzielle Download-Portale wie Megaupload? Völlig okay, die dichtzumachen.
Andererseits sagt er: Jugendliche würden eben Songs illegal downloaden. Das sei vielleicht kein besonders umsichtiges Verhalten – aber seit wann gelten Jugendliche als umsichtig? All das schreibt Haeusler in seinem Blog, sagt er auf Podien und in Interviews. Und es hören ihm viele dabei zu. Er sucht die Problemlösung. Den Konsens. „Das hat sich irgendwann so eingependelt“, sagt er. „Weil ich immer von allen Seiten mit Argumenten bedonnert wurde.“
Kein Wunder. Denn dieser Haeusler ist nicht nur ein umtriebiger Typ, gut vernetzt. Einer, der in seinem Leben schon viele Dinge ausprobiert hat. Sie wieder fallen ließ. Was Neues anfing. Und noch mal von vorn. Von Radiomoderator bis zum Mediendesigner. Um die Jahrtausendwende bastelte er mit eigener Firma Internetauftritte für Bands und mtv.de. Preisgekrönt. Pleitegegangen.
1998 gewann er einen Gründerpreis für ein Konzept einer digitalen Musikverkaufsplattform. „Eine Mischung aus last.fm und iTunes“, sagt Haeusler. Nie umgesetzt. Mitte der nuller Jahre gründete er einen Verlag, der andere Blogs vermarktete. Und 2011 brachte er im Selbstverlag ein E-Book heraus. Eine Zusammenstellung älterer „Spreeblick“-Einträge. Die – zack! – ganz oben in den Amazon-Charts landete.
Charmante Ambivalenz
Auch als Urheber ist Haeusler keiner, der das Internet als Bedrohung ansieht. „Ich finde es nicht schlimm, wenn man zu Urheberrechtsfragen eine ambivalente Haltung hat“, sagt er irgendwann in dem Gespräch im Kreuzberger Café. Ambivalent sind ja auch seine Positionen. Gerade das macht aber auch Haeuslers Charme aus. Da ist einer, der redet so, als würde man ihm beim Nachdenken zuhören können, nicht beim Abspulen einer zu Ende gedachten Position. Fertige Lösungen hat er, genau wie alle anderen, nicht. Sagt eher Dinge wie: Das wird sich schon irgendwie einpendeln.
Haeusler geht die Besserwisserei ab, die sich einige deutsche Netzgranden nach mehreren Jahren Lobbyarbeit angewöhnt haben. Und auch deren Zynismus. „Ich werde lieber als manchmal naiv beschimpft, als dass ich dieses Ziel aufgebe, Dinge verändern zu wollen“, sagt er.
Doch dann kam der Juni dieses Jahres. Und Haeusler hatte keine Lust mehr auf den ganzen Konsenskram. „Ich wollte einfach nicht mehr Kindergärtner sein“, sagt er. War genervt von der Flut offener Briefe. Der „Wir sind die Urheber“-Aufruf in der Zeit war dann wohl einer zu viel.
In seiner Kolumne in der Musikzeitschrift Spex pöbelte Haeusler los. Ärgerte sich über diese „ehemaligen Punkrocker“, die „mit erhobenem Zeigefinger vor jungen Menschen stehen und etwas von Recht und Ordnung faseln, als hätten sie sich in ihrer Blütezeit erst einmal eine Arbeitsgenehmigung für ihre Gigs geholt und nicht gesoffen und gekifft, weil es in ihrem damaligen Alter schließlich verboten war.“ Kurz vor den ersten Auftritten von Plan B war das.
Künstler brauchen Haltung
Und nach Monaten polemischer öffentlicher Debatte übers Urheberrecht, die auch einen, der Lösungen finden will, irgendwann zu einer klaren Positionierung zu zwingen scheinen. „Ich finde, als Künstler muss man schon eine Haltung einnehmen“, sagt Haeusler. Gegen Anwälte, die Privatleute wegen Filesharing abmahnen zum Beispiel. Oder dazu, warum beim Urheber nur ein Bruchteil des Kaufpreises für ein Buch, einen Song hängen bleibt.
„Ich empfinde Leute, selbst wenn sie meine Musik klauen, nicht als Feinde. Immerhin holen sie sich ja die Musik und mögen sie scheinbar“, sagt Haeusler. Natürlich will auch er mit Musik Geld verdienen: „Die Band darf kein teures Hobby werden“, das könne sich keiner der Beteiligten leisten. Auf dem Berlin Festival spielten sie vor ein paar hundert Leuten als erste Band des Tages. Im Herbst ist eine Tour in Planung. Ob da pro Gig genug Geld bei den Musikern hängen bleibt, sei noch die große Frage.
Er bloggt jetzt weniger als früher. Mit Ansage. Er habe sein Leben nie am Schreibtisch verbringen wollen, schrieb er auf „Spreeblick“. Zeitweise, gibt er zu, seien die Debatten dort auch „wahnsinnig anstrengend“ gewesen. Weil die Leute, die nicht mögen, was er schreibt, sein Blog besonders aufmerksam mitlesen und kommentieren würden. „Da ist es schon schön, mal wieder wahnsinnig laut Krach zu machen und sich eben nicht um Konsens zu bemühen. Sondern tatsächlich wieder egoistischer zu agieren.“
Ganz traditionell – im Print
Das ist nicht sein einziger Schritt zurück in die analoge Welt. Am Sonntag startete seine Radiosendung beim Berliner FluxFM. Im Dezember erscheint sein zweites Buch, geschrieben mit seiner Frau Tanja. Schon wieder geht es um Vermittlung: zwischen Eltern, Kindern und dem Internet. Warum man nicht ausflippen soll, wenn man Pornos auf den Rechnern der Kurzen findet, Computerspiele, Facebook. Erfahrungsberichte.
Das Buch erscheint, ganz traditionell, im Print-Verlag. Trotz des Erfolgs von Haeusler mit dem Self-Publishing. „Das ist ein Buch, das muss am Bahnhofskiosk liegen“, sagt er. Zielgruppe für die Keine-Panik-Lektüre sind schließlich internetfernere Eltern.
„Wenn es das Internet morgen nicht mehr gäbe, fände ich es für mich persönlich überhaupt nicht schlimm, weil es tausend andere Sachen gibt, die man machen kann“, sagt Haeusler. Und dass er alle zehn Jahre einfach Lust auf etwas Neues bekommen würde. Was natürlich nicht bedeutet, dass sich der Blogger Haeusler komplett aus dem Netz zurückziehen wolle: „Das ist ja so, als würde man sagen, man fährt nie wieder Auto.“
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