Mahnmal für Genozid an Sinti und Roma: „Mein Mädchen, warum weinst du?“
Otto Rosenberg überlebte Dachau, erinnerte an den Genozid an Sinti und Roma und starb vor 11 Jahren. Ein Besuch am Mahnmal mit seiner Tochter.
BERLIN taz | Ein unfertiger Garten. Bald soll er fertig sein. Herzstück davon ist ein runder Brunnen. Mitten im Becken liegt das dunkle Dreieck – es saugt das Wasser ein, es speit das Wasser nicht aus. „Jetzt seh ich das zum ersten Mal“, sagt Petra Rosenberg. Sie hat den Bauzaun zur Seite geschoben und ist bis zur Absperrung vor dem Becken gegangen. Noch fließt nichts.
Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma in Berlin, steht am Brunnen, der Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas ist, und überspringt die Gegenwart. Denn der Brunnen führt in die Vergangenheit. Seine Einweihung an diesem Mittwoch aber weist in die Zukunft. Dazwischen: nichts. Oder doch etwas: Stimmengewirr, Autorauschen, Sound von Vorschlaghammern, mit denen die Baustellenauffahrt aufgebrochen wird. Sound von Sägen, mit denen die Platanen beschnitten werden.
Rund um das Wasserbecken liegen große Steinplatten. Eingraviert sind Namen von Orten, an denen KZs waren. Die zarte, immer schwarz gekleidete Rosenberg entziffert: „Westerbork.“ Ein Stein weiter: „Natzweiler Struthof.“ Ein Stein weiter: „Ravensbrück.“ Sie sagt: „Meine Großmutter war da.“ Ein Stein weiter: „Dachau.“ Sie sagt: „Mein Vater war da.“ Und weiter: „Auschwitz. In Auschwitz war er auch.“ Sie träumt seine Albträume. Bis zu 500.000 Sinti und Roma kamen in den KZs um. „Aber wir können nicht annähernd erahnen die Qualen, das Leid.“
Otto Rosenberg, ihr Vater, wurde 1927 geboren, 1936 mit seiner Familie im „Zigeunerlager“ in Berlin-Marzahn interniert, 1943 nach Auschwitz deportiert. Seine zehn Geschwister, sein Vater, seine Tanten, Onkel, Großeltern wurden ermordet. Er überlebte. Über seine Häftlingsnummer – Z 6084 – lässt er später auf Sankt Pauli einen Engel tätowieren. Er wollte nicht länger, dass seine Kinder fragen: „Vater, was ist das für eine Nummer?“ Die Antwort unaussprechbar.
„Er wollte uns nicht belasten.“ Manchmal aber weinte er. „Sein lautes Weinen. Sein anklagendes Weinen. Wir saßen in der Küche. Ich habe seine Hand genommen und mitgeweint“, erzählt Petra Rosenberg, während vor ihr der Stein liegt, auf dem Bergen-Belsen steht. Da war ihr Vater auch. „Ach, mein Mädchen, warum weinst du?“
Die Kinder wissen es doch
Petra Rosenberg kommt 1952 zur Welt. In einem Wohnwagen lebt sie die erste Zeit. Es soll so kalt gewesen sein, dass auf der Decke Reif lag. Sie ist die Älteste von sieben Kindern. Ihre Mutter ist keine Sintezza. Ihr Vater lernte sie 1951 kennen. Eine große Liebe. „Sie hat mir Gutes getan, nach dem Schlimmen der Nazis“, habe er immer gesagt. Und so sehr der Vater versucht, die Kinder vor seiner Geschichte zu schonen, die Kinder wissen es doch.
„Vor allem wir älteren drei sind nachts oft aufgewacht und waren nicht mehr in den Betten. Einmal saß ich auf der Nähmaschine. Einmal fand ich meine Schwester im Schrank unter dem Aquarium. Und mein Bruder fuhr nachts im dunklen Zimmer Roller.“ Als gäbe es keinen sicheren Ort. Als wären sie auf der Flucht. Displaced children – zweite Generation. Während sie es erzählt, läuft sie weiter um das Becken. „Bialystok“, sie zeigt auf den Stein, „da ist mein Großvater ermordet worden.“
Nach dem Krieg ist Otto Rosenberg einer derjenigen, die unermüdlich um die Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus kämpfen. Erst 1982, also 37 Jahre nach Kriegsende, wird diese gewährt. Petra Rosenberg, seine Erstgeborene, seine Mitarbeiterin, trägt sein Vermächtnis weiter. Sie spricht von „unseren Leuten“, die unterstützt werden müssen. Auch am Tag nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 2001 geht sie ins Büro. Dort ist sie ihm nahe. „Tagtäglich ist mein Vater Teil von mir.“ Sie will mahnen wie er.
„Schuld macht stumm“
37 Jahre dauerte es, bis die Verbrechen an den Sinti und Roma offiziell anerkannt wurden. „Es gab kein Unrechtsbewusstsein und keine Betreuung. Die Sinti und Roma wurden auch nach dem Krieg ausgegrenzt und sozial und wirtschaftlich alleingelassen.“
67 Jahre dauerte es, bis es ein offizielles Mahnmal gibt, das der Opfer gedenkt. „Das Schweigen ist die Hinterlassenschaft der Täter“, sagt Petra Rosenberg. „Was haben sie den nachfolgenden Generationen damit aufgebürdet.“ Es sind nur kurze Sätze. Viel Zeit bleibt nicht. Sie muss gleich gehen. Durch das Schweigen hätte die Tätergeneration den Nachkommen die Schuld übertragen. „Aber Schuld ist nicht übertragbar, nicht konstruktiv. Schuld macht stumm.“
Sie steht am Beckenrand. Ob das Denkmal, das der israelische Bildhauer Dani Karavan entwarf, sie berührt? Nein, noch nicht. Nur die Steinplatten, wenn sie die sieht, das nehme sie mit. Aber das Ganze soll ja noch schöner werden“, sagt sie dann. „Mit Blumen. Mit Musik.“
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