Miese Arbeitsbedingungen: Der lange Weg zur Taxigewerkschaft
Kein Urlaubsgeld, kein Krankengeld, Wartezeiten werden nicht bezahlt: Angestellte Taxifahrer beginnen sich zu wehren.
HAMBURG taz | Eine Demonstration für bessere Bezahlung? Die will der Hamburger Taxifahrer Jörn Napp unbedingt verhindern. Er hat Flugblätter gedruckt,und wenn er jetzt mit seinem Wagen am Bahnhof steht und auf Fahrgäste wartet, spricht er Kollegen an, die neben ihm parken. „Bitte geht nicht zu dieser Demo!“, steht auf seinen Zetteln. Denn er glaubt, es sind die Falschen, die da versuchen, Hamburgs Taxifahrer zu mobilisieren.
Napp kann nicht gut laufen. Seine Jeans schlackert um die dünne Hüfte, genau wie seine beigefarbene Weste mit dem Kugelschreiber in der Brusttasche. Gelbliche Flecken durchziehen das Weiß seiner Augen und weiße Strähnen sein dunkles Haar. Dafür ist seine Stimme umso lauter: „Schön allen sagen“, ruft er in das heruntergekurbelte Fenster seines Kollegen: „Ich kann sie nicht alle erreichen alleine.“
Am 30. Oktober protestieren die Unternehmer, nicht die Arbeitnehmer, sagt Napp. Sie fordern die Verkehrsbehörde auf, Taxen zu erlauben, auch in den Warteminuten im Stau das Taxameter laufen zu lassen. Doch wer sagt, dass am Ende auch die angestellten Fahrer von den höheren Preisen profitieren, für die sie auf die Straße gehen sollen? Wer vertritt deren Rechte?
Taxifahrer gehören einer Branche an, die in Deutschland fast ohne Arbeitnehmervertretung dasteht. Das liegt auch daran, dass Taxifahrer häufig selbstständig sind: So fahren etwa in einer Großstadt wie Hamburg rund 3.500 Taxen umher, die von rund 2.200 Taxiunternehmern betrieben werden, schätzt die dortige Verkehrsbehörde. 400 Unternehmer beschäftigen in Hamburg auch Fahrpersonal, sagt der Leiter der Gewerbeaufsicht für Taxiverkehr, Dirk Ritter. Aber oft nicht mehr als eine Handvoll je Betrieb.
Gewerbe zersplittert
Das Gewerbe ist auch zersplittert, weil die Lebenssituation der Fahrer sehr verschieden ist. Manche müssen mit dem Job eine Familie ernähren, manche bessern ihre Rente auf, andere finanzieren mit dem Taxifahren ihr Studium. Gemeinsam für faire Arbeitsbedingungen einzustehen, fällt da schwer. Im Norden versuchen Fahrer in drei Städten nun trotzdem, eigene Interessenvertretungen aufzubauen.
In Bremen begann das Engagement der Taxifahrer in dem Moment, als ein gemeinsamer Gegner auftauchte: die Funkzentrale. Über 80 Prozent der Bremer Taxen werden von ihr an die Kundschaft vermittelt. Im vergangenen Jahr wollte die Zentrale erreichen, dass alle Wagen mit besonders geschulten „Service-Taxi-Fahrern“ besetzt sind. Die Fahrer sollten dazu Weiterbildungen aus eigener Tasche bezahlen, während Taxiunternehmer keine Kosten tragen mussten. Es entstand die Interessengemeinschaft Bremer Taxifahrer, die heute rund 250 Mitglieder hat – knapp die Hälfte aller Fahrer der Stadt, sagt ihr Vorstand Marco Bark. Die Schulungen konnte die Gemeinschaft vor Gericht abwenden.
Jetzt will Bark weiter kämpfen. Etwa für eine kleinere Zahl der Taxi-Zulassungen. „Durch das Überangebot bleibt zu wenig Geld für die einzelnen Fahrer“, sagt Bark.
Risiko trägt der Fahrer
Tatsächlich ist die Zahl der Wagen ein Problem in vielen Städten. Denn Taxifahrer werden von den Unternehmern meist bloß nach Zähler bezahlt und nicht für ihre Wartezeit. Für die Unternehmer, die Fahrer beschäftigen, ist das eine bequeme Lösung. Denn herumstehende Taxen kosten sie nichts zusätzlich. Das Risiko, keine Gäste zu finden, trägt der Fahrer allein, genauso wie seinen Verdienstausfall.
Dagegen versuchten sich bereits 2009 eine Interessengemeinschaft von rund 50 Taxifahrern in Lübeck zu wehren. Ohne Erfolg, sagt der damalige Initiator André Marx. Mittlerweile sieht er die Forderung von damals allerdings in einem anderen Licht: Würden die Taxi-Zulassungen heute beschränkt, könnten sie von den Unternehmen teuer weiterverkauft werden. Der Preis für eine Erlaubnis könnte statt ein paar hundert Euro Verwaltungsgebühr bald 50.000 Euro betragen, in München sei das schon so. So würden auch die belohnt, die ihre Fahrer schlecht behandeln.
Angestellte Taxifahrer bekommen meist kein Gehalt, wenn sie krank sind oder Urlaub nehmen. Geld gibt es nur für die gefahrene Tour. Eigentlich sind diese „abhängigen Löhne“ schon lange rechtswidrig. Nur umgesetzt wird dieses Verbot nirgendwo. Das gibt Dirk Ritter von der Hamburger Gewerbeaufsicht offen zu. Erst vor einem Jahr habe man hier begonnen, zu kontrollieren, ob Taxiunternehmer ihren Fahrern Löhne zahlen – nachdem dieses Thema „hochgekocht“ sei, durch eine „kleine Gruppe einzelner Taxifahrer“.
Verwaltungsgericht prüft
In den ersten acht Monaten, sagt Ritter, habe man in Hamburg zehn der 400 Unternehmer kontrolliert. Die hätten prompt Widerspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht prüfe nun, ob sie Taxifahrern tatsächlich einen Stundenlohn bezahlen müssen. Sollte das Gericht im Sinne der Unternehmer entscheiden, werde der Senat auch wieder aufhören, zu prüfen, sagt Ritter.
Für Taxifahrer Jörn Napp liegt genau hier das Problem. Er fordert einen Mindestlohn mit allen üblichen Sozialabgaben für die Fahrer. Zusammen mit zwei Kollegen ist er deshalb seit einigen Wochen bei Ver.di aktiv. „Das Taxigewerbe ist ein Flickenteppich, bei dem jeder für sich selbst fährt“, sagt Gewerkschaftssekretär Mathias Bialuch, der Napp und seine zwei Mitstreiter betreut. Es sei nicht leicht, Interessengemeinschaften aufzubauen.
Napps erster Schritt ist deshalb sein eigener Protest gegen den Protest der Unternehmer. Denn auch wenn die höheren Preise einzelnen Fahrern ebenfalls nützen könnten – von der Verkehrsbehörde, an die sich die geplante Demonstration richtet, werden sie nicht bezahlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen