Amadeu Antonio: Kampf um die Erinnerung
Eberswalde streitet darüber, ob nach dem Rassismus-Opfer Amadeu Antonio eine Straße benannt werden soll. Heute entscheidet das Stadtparlament.
Ein unwirtlicher Ort: An der vierspurigen Eberswalder Straße, zwischen Discountern, Parkplätzen und Autowerkstätten, hängt an einem Zaunpfeiler eine schwarze Granittafel mit weißer Frakturschrift. Sie erinnert an den angolanischen Vertragsarbeiter Amadeu Antonio, der hier in der Nacht zum 25. November 1990 von 50 rechten Jugendlichen gehetzt und mit Baseballschlägern so zugerichtet wurde, dass er zwei Wochen später starb.
Um die Erinnerung an Amadeu Antonio tobt in Eberswalde seit anderthalb Jahren ein Streit. Im April 2011 hatte die Kampagne „Light me Amadeu“ gemeinsam mit im afrikanischen Kulturverein Palanca organisierten angolanischen Freunden und Angehörigen von Antonio den Vorschlag gemacht, einen Teil der Eberswalder Straße nach ihm zu benennen. Doch dagegen gab es Protest. Am heutigen Donnerstag soll nun das Stadtparlament entscheiden, in welcher Form Amadeu Antonio in Zukunft gedacht wird.
Der 71-jährige Malermeister Helmuth Adams gehört zu der Bürgerinitiative Das Fünfte Gebot, die sich gegen eine Amadeu-Antonio-Straße ausspricht. Die Gruppe ist benannt nach dem biblischen Tötungsverbot, auch Stadtverordnete und Kirchenvertreter gehören dazu. „Generell befürworten wir eine Erinnerung an Amadeu Antonio“, sagt Adams. Doch es gäbe andere Gewaltopfer, die genauso geehrt werden sollten, man könne nicht für alle eine Straße umbenennen. „Wenn wir Morden gedenken, dann allen gemeinsam. Es gibt keine Morde erster und zweiter Klasse.“
Die Gegeninitiative schlug ein Denkmal mit dem Namen „Garten der Erinnerung“ vor. Neben Amadeu Antonio wollten sie dort auch der 12-jährigen Ulrike Brandt, die 2001 getötet wurde, und an Opfer der DDR-Diktatur erinnern. Und noch etwas stört Adams: „Die Mitglieder von Light me Amadeu und Palanca wohnen doch alle gar nicht in Eberswalde. Sollen sie doch in Berlin den Alexanderplatz umbenennen.“
Das sieht Stefan Neubacher, Kulturamtsleiter der Stadt Eberswalde, anders. „Ich hatte nie den Eindruck, hier kommt Berlin und sagt uns, wie wir erinnern sollen.“ Es sei ein Prozess gewesen, der von einer Bewegung der Stadt getragen wurde. „Der Mord an Amadeu Antonio hat eine ganz besondere Stellung für die Stadt Eberswalde und auch bundesweit“, findet Neubacher. Das Fünfte Gebot dagegen stehe für eine Erinnerungspolitik, die Opfergruppen vermische.
Über ein Jahr wurde der Beschluss zur Straßenumbenennung diskutiert und vertagt. Bis die Stadt im September dieses Jahres einen Workshop ins Leben rief, an dem Vertreter der Initiativen, Stadt und Bürger teilnahmen. Ihr Auftrag: ein Konzept zum würdevollen Gedenken entwickeln. Heraus kam ein Kompromiss. Statt der Straße soll nun ein Bürgerbildungszentrum nach Amadeu Antonio benannt werden.
Das rote Ziegelhaus steht nur wenige Laufminuten vom Rathaus entfernt und wird derzeit renoviert und erweitert. Auf der Baustelle weht eine Deutschlandflagge. Im Foyer des Gebäudes ist eine Dauerausstellung geplant, die den Namen des Hauses erläutern soll. Die Stadtbibliothek, die hier einzieht, soll antirassistische Literatur enthalten. Jährlich will die Stadt zudem einen Amadeu-Antonio-Preis für antirassistische Aufklärung ausschreiben. Der stellvertretende Bürgermeister Lutz Landmann (SPD) befürwortet die Vorschläge. Sie bedeuten „nicht nur Symbolpolitik, sondern praktische, aktive Erinnerung“, sagt er. 15.000 Euro sollen zur Umsetzung des Konzepts beantragt werden.
Doch der Kompromiss, den die Stadtverordneten heute voraussichtlich beschließen werden, ist bereits wieder in der Kritik. Nur missmutig hatte Adams an dem Workshop teilgenommen. „Der Volkswille wird mit Tricksereien wie Workshops umgangen. Und das ist eine Schweinerei“, beschwert er sich.
Der Koordinator der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank, findet das neue Konzept ebenfalls problematisch – wenn auch aus ganz anderen Gründen. „Am Ende war der ressentimentgeladene Protest erfolgreich. Es ist ärgerlich, dass die Stadtverwaltung zurückgewichen ist“, so Reinfrank. Die Straße sei ein authentischer Gedenkort, weil hier die Tat geschehen sei. Die Stiftung will sich mit „Light me Amadeu“ und dem Kulturverein Palanca auch weiter für die Umbenennung einsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos