Klangereignisse aus Goldenstedt: Aus der Ruhe kommt der Krach

Walter Zurborg ist in den Kunstzentren nur zu Gast: Mit der Künstlerin Tamaki Watanabe lebt er auf dem Land.

Produktives Gegenmodell auf dem Land: Zurborg und Watanabe vor ihrem Atelier. Bild: Privat

BRAUNSCHWEIG taz | Die Telefonnummer ist dreistellig. Walter Zurborgs Vater ist am Apparat und ruft den Sohn. Ein 32-jähriger Künstler, der im Haus seines Vaters lebt und arbeitet, und zwar im 9.000 Einwohner zählenden Goldenstedt zwischen Osnabrück und Bremen – vielleicht wär’ das schon bemerkenswert. Walter Zurborg ist jedoch einer mit überregionalem Renommee. Dieser Spezies wird ja gerne eine gehörige Portion Egomanie unterstellt, bohemienhafte Bindungslosigkeit und das rastlose Leben in urbanen Szenen. Aber es scheint auch ganz anders zu gehen.

„Das Leben in der norddeutschen Provinz hat gute und schlechte Seiten“, sagt Walter Zurborg. Zu den guten Seiten zählt er, dass er und seine Lebensgefährtin Tamaki Watanabe, auch sie Künstlerin, hier konzentriert arbeiten können. Kennengelernt hat der 1980 in Vechta geborene Zurborg die Japanerin aus Kobe in Braunschweig, während des Studiums an der Kunsthochschule. Er war in der Klasse für Bildhauerei bei Thomas Virnich, sie bei Raimund Kummer. Beide studierten zusätzlich Klangkunst bei Ulrich Eller, absolvierten dort ihr Meisterschuljahr.

Als kinetische Klangobjekte lassen sich die Arbeiten Zurborgs und Watanabes bezeichnen. Sie entstehen in gemeinsamer oder individueller Autorschaft. Und da Eller seine Lehrpraxis stark auf konkrete Ausstellungsprojekte ausgerichtet hatte, sind beide in der institutionellen Szene der Kunstvereine und Museen auch ganz gut bekannt. Im Frühsommer etwa zeigten sie eine temporäre Klanginstallation im Japan-Garten des Kunstmuseums Wolfsburg.

Inmitten all des dortigen Zen-Kitschs gingen die beiden erfrischend respektlos zu Werke: Unter zwei kleinen, UN-blauen Anglerzelten konnten Besucher mit verschiedenen Gummiseil-Apparaturen Steine in die sorgsam geharkte Kiesfläche schleudern. Das pure Geräusch des Aufpralls sei ähnlich elementar wie die kurze, konkrete Dichtform des japanischen Haiku, erklärte das Konzept. Im Haiku lässt ein einfaches Naturereignis in der Gegenwart für einen kurzen Augenblick die Wahrheit aufblitzen.

Das Feedback, wie Zurborg sich ausdrückt, sei andererseits ein Problem in der Provinz. So ist das Duo viel unterwegs zwischen Leipzig, Köln, Berlin und anderen Kunstzentren, pflegt die projektweise Zusammenarbeit mit Braunschweiger Studienfreunden, etwa den Klangkunstkollegen Elisabeth Stumpf und Dennis Graef.

Wäre es da vielleicht nicht doch einfacher, etwa in Berlin zu leben? „Nein“, sagt Zurborg entschieden, dort sei viel zu viel los, viele Künstler hätten Probleme, überhaupt wahrgenommen zu werden. Unter diesen Bedingungen werde es dann sehr schwierig, sich weiter zu entwickeln, es fehlten Zeit und die richtige Motivation. Viele würden wohl nur um einer Ausstellung willen Kunst machen. Und das sähe man den Arbeiten dann über kurz oder lang auch an.

Ein eigenes produktives Gegenmodell praktizieren also Zurborg und Watanabe in Goldenstedt, haben ein Stallgebäude hälftig aufgeteilt und jeweils zum Atelier ausgebaut. Sein Teil sei halt chaotisch, so Zurborg, der von Watanabe aufgeräumter. Gewohnt wird zusammen mit Walter Zurborg senior, er unten im Haus, die beiden oben. Und verlässliche Sammler finden den Weg nach Goldenstedt, interessieren sich für kleinere Kinetiken, Collagen, Konstruktionsskizzen.

Aber Ruhe und Bodenständigkeit sind nicht die einzigen Charakteristika ihrer Kunst. Zurborg und Watanabe spüren wohl intuitiv den kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Westen und Osten nach. Es gebe ohnehin mehr Parallelen als Unterschiede, sagt er, auch wenn letztere stärker auffielen.

Man kann das Rohe, Improvisierte ihrer Objekte, häufig aus vorgefundenen Materialien in einfachen Fügungen kombiniert, als westliches Understatement lesen. Oder als „Prototypenästhetik“, wie es Lehrer Ulrich Eller nennt, die auf eine Umsetzung in verfeinerter Version wartet. Aber auch als östliche Einsicht in die Unvollkommenheit, als Akzeptanz der Vergänglichkeit aller Dinge, ja: der Unsinnigkeit des Strebens nach Perfektion.

Wie ein bildnerisches Gleichnis hat Zurborg derzeit ein neues, maschinenartiges Objekt im Kunstverein Braunschweig aufgebaut: Von einem großen Trichter aus rohem Holz rieseln Maiskörner in einen kleineren aus Blech und fallen schließlich auf eine rotierende, asymmetrische Schwungscheibe. Diese wiederum schleudert in unregelmäßiger Folge einzelne Körner nach außen, beschleunigt sie auf bis zu 60 Kilometer die Stunde. Manch ein Korn dengelt auf seiner Flugbahn dann gegen eines der senkrecht aufgehängten Alurohre und erzeugt einen kurzen metallischen Klang. Die meisten aber prasseln einfach zu Boden und lagern sich dort als optisches Zufallsmuster ab.

Christlich-katholische Moral, wie im Südoldenburger Münsterland vorherrschend, würde diese unverblümte Verschleuderung agrarischer Ressourcen möglicherweise geißeln. Eine östliche Erkenntnis sähe hingegen den Sinn in der Sinnlosigkeit dieser raumfüllenden Apparatur.

Eine gemeinsame Arbeit Walter Zurborgs und Tamaki Watanabes dient dem Versenken in ein optisches wie akustisches Mantra: Ein rotierender Tischtennisball zieht seine monotonen Runden auf einer schwingend gelagerten Metallplatte. Wie bei einer hängenden Schallplatte weiß man nach wenigen Umdrehungen, was kommt, sagt Zurborg, der Puls fährt unbeeinflussbar runter. Der leichte Ball hat da bereits eine Kratzspur im harten Blech hinterlassen.

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