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Urteil nach Geisel-DramaEine vermeidbare Tragödie

Der Mann, der im Wahn seinen Bruder tötete, muss in die Psychiatrie. Die Familie macht der Polizei schwere Vorwürfe. Sie stand vor dem Haus – und gibt sich heute kritisch.

Kam zu spät: das SEK. Bild: dpa

Ein Urteil ist gefallen, doch die Aufarbeitung ist damit noch nicht am Ende. Der 63-jährige Mann, der im vergangenen Sommer seinen Bruder als Geisel genommen und getötet hat, während Polizei und Spezialkräfte vor dem Haus standen – er muss auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie. Das hat das Landgericht Bremen am Freitag entschieden. Zum umstrittenen Polizeieinsatz verlor die Richterin bei der Urteilsverkündung kein Wort. Verteidiger Bernhard Docke hatte ihn zuvor als „Desaster“ bezeichnet.

Der Sohn des Opfers, der im Prozess als Nebenkläger auftrat, kündigte an, die Polizei nun auf Schadensersatz zu verklagen. Er wirft den Einsatzkräften unterlassene Hilfeleistung vor. Die Rechtsanwältin Barbara Kopp, die ihn vertritt, spricht von „Fehleinschätzungen“ einzelner Einsatzkräfte. Und Polizeipräsident Lutz Müller äußerte sich selbstkritisch: Er könne „keine stichhaltige Erklärung“ liefern, warum es zu dem Totschlag kommen konnte, sagte er in einem Fernsehinterview.

Am Tattag war die Polizei bereits kurz nach acht Uhr vor Ort, etwa eine Stunde später rückte auch das Spezialeinsatzkommando (SEK) an – insgesamt ist von 60 PolizistInnen die Rede, die rund um das Haus im Stadtteil Huchting versammelt waren. Als das SEK das Haus schließlich stürmt, ist es elf Uhr vorbei. Und die Geisel bereits tot. Verblutet. Wie lange schon, ist unklar. Sicher ist allerdings, dass zuvor immer wieder Hilferufe, Schreie und Schlaggeräusche nach außen gedrungen waren. Die Polizei hatte sie gehört.

„Das ist einer der schwärzesten Tage in meiner Laufbahn“, sagt Polizeipräsident Müller. Und dass die Beamten früher hätten eingreifen müssen. Das sagt auch Docke. Die Tragödie, sie wäre „vermeidbar“ gewesen, so der Rechtsanwalt. Aus Sicht der Bremer Staatsanwaltschaft allerdings gibt es der Polizei strafrechtlich nichts vorzuwerfen. Auch Kopp sagt, ihr gehe es nicht darum, strafrechtlich gegen einzelne Polizeibeamte vorzugehen.

Der Täter, ein ehemaliger Bauunternehmer, der mit seinem Bruder, einem ehemaligen Polizisten, Haus an Haus lebte, leidet unter paranoider Schizophrenie. Er ist deshalb schuldunfähig. Er habe zuletzt zunehmend den Kontakt zur Realität verloren, sagte die Richterin bei der Urteilsbegründung, Erleuchtungs- und Weltuntergangsfantasien entwickelt. Zugleich habe er sich als „Vertreter des Guten“ im Angesicht der Apokalypse gesehen. Bereits am frühen Morgen jenes 15. Juli rief seine Frau die Polizei – sie fühlte sich bedroht. Doch die Gefährdung wurde zunächst nicht als akut, nicht als stark eingestuft. Wenige Stunden später zerrte Werner M., der als Jäger ein Gewehr besitzen durfte, seinen 70-jährigen Bruder in den Keller. In seinem Gesicht, sagte die Richterin, sah M. „die Fratze des Teufels“ – er wollte ihn zunächst „retten“. Was genau sich bei der Geiselnahme abspielte, ist bis heute unklar. Erlegen ist das Opfer seinen Skalpierungsverletzungen.

„Es ist als sicher anzunehmen“, dass Werner M. „keine realitätsgerechte Einschätzung treffen konnte“, sagt die Richterin, und so ist er, rein juristisch, auch kein Mörder, auch wenn in den Medien immer wieder vom „Brudermord“ die Rede ist. Ohne die psychische Erkrankung wäre die Tat „nicht denkbar“ gewesen, so das Gericht. Zugleich räumte es dem Täter „gute Chancen“ auf ein Leben außerhalb der geschlossenen Unterbringung ein, auch wenn der Behandlungsverlauf bislang „unbefriedigend“ sei. Derzeit könne ein Rückfall jedoch nicht ausgeschlossen werden. Werner M. selbst verfolgte die Urteilsbegründung ohne äußerliche Regung, nahm die Entscheidung aber umgehend an.

Mit seinem Urteil folgte das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte dagegen für eine ambulante Therapie unter strengen Auflagen plädiert.

Die Familie, sagte der Nebenkläger, sei heute „stark zerrüttet“. Es gebe in diesem Fall „nur Opfer“, sagt Bernhard Docke.

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2 Kommentare

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  • M
    Marlen

    Ref. Johnnys Kommentar

     

    Jemanden zwangsweise unterzubringen ist sehr schwierig, das geht nur nach PsychKG (Psychisch - Kranken - Gesetz).

    Dieses Gesetz besagt, dass Menschen die eine Gefährdung für sich oder andere darstellen, zwangseingewiesen werden können - wenn die Gefahr, die von ihnen ausgeht, anders nicht abgewendet werden kann.

    Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass erst "etwas passieren" muss, bevor gehandelt werden kann.

    Es ist gut, dass es dieses Gesetz gibt, da es grundlegende Persönlichkeitsrechte schützt. Möglicherweise war niemandem klar, welche Gefährdung dieser Mann in Wirklichkeit darstellte, weil er vorher noch nie in dieser Form auffällig gewesen ist. Unglücklicherweise bedeutet "etwas passieren" in diesem Fall jedoch, dass jemand zu Tode kam. Es bedeutet jedoch auch, dass es jemanden gibt, der nun damit leben muss, getötet zu haben.

    Diese Menschen zu verteufeln und (noch weiter) zu stigmatisieren (als sie es bereits sind) ist nicht der Richtige Weg. Meines Erachtens nach hätte er mehr medizinische Versorgung gebraucht, als ihm zugute kam. Das hat sich als unvernünftig herausgestellt und nun ist jemand tot.

    Genauso unvernünftig ist es jedoch auch, sich betrunken ans Steuer zu setzen - denn auch dabei sterben Menschen.

    Manchmal machen Menschen Dinge, die unvernünftig sind. Und im allerschlimmsten Fall enden sie damit, das jemand tot ist. Wenn wir uns nun jedoch gegenseitig "böse" zu reden, bringt niemanden weiter. Auch wenn in solchen Situationen immer nach einem Verantwortlichen (also dem Täter) gesucht wird (wobei die Frage ist, ob dieser Mann verantwortlich sein kann, denn er gilt als nicht zurechnungsfähig). Gleichzeitig frage ich mich jedoch, warum niemand auf die Idee kommt, jemanden einweisen zu lassen, der Anderen mit einem Atomkrieg droht (um mal auf das aktuelle Weltgeschehen zu lenken). Denn auch diese Menschen sind gefährlich. Und das womit sie Anderen drohen, steht in keinem Verhältnis zu dem Problem das sie haben - was auch immer dieses Problem sein mag.

  • J
    Johnny

    Zwei Anmerkungen:

    a) Die Gesellschaft muss sich damit auseinandersetzen, wie man mit schwer geisteskranken Menschen umgeht. Frei herumlaufen lassen, bis sie in einem Anfall jemanden umbringen? Oder frühzeitig in eine gesicherte Betreuung geben?

    b) Die Polizei kann in solchen Fällen nichts richtig machen. Stürmt sie früher und der Täter ist noch in vollem Wahn mit Messern und Gewehr am agieren und erschießt ihn, wird man ihr das vorwerfen. Stürmt sie später und der Täter hat die Geisel ermordet, wirft man ihr das vor. Das ist reine Glückssache, den richtigen Moment zu erwischen und ob das ganze dann auch noch gut geht. Man sollte nicht der Polizei den Vorwurf machen, sondern dem Täter -- oder sich selbst, weil man nicht vorher entschlossen gehandelt und den gefährlichen Mann einweisen lassen hat.