Umstrittene Prozeßfortsetzung: Im Zweifel ohne den Angeklagten

Das Hamburger Landgericht setzt das Verfahren gegen Bülent Ciftlik trotz Abwesenheit des Angeklagten fort. Die Verteidigung spricht von offenem Rechtsbruch

Die Hauptperson ist gar nicht da: Bülent Ciftlik wird von der indischen Polizei festgehalten. Bild: dpa

HAMBURG taz | In der Hauptverhandlung gegen den ehemaligen Hamburger SPD-Politiker Bülent Ciftlik kam es am Montag vor dem Hamburger Landgericht zu einem Eklat. Das Gericht beschloss, das Strafverfahren trotz der Abwesenheit des Angeklagten weiterzuführen. Ciftliks Verteidigung warf dem Vorsitzenden Richter Rüdiger Göbel deshalb ein „völlig unzulässiges und verfassungswidriges Vorgehen“ vor.

Unbestritten ist, dass Ciftlik seit Mitte März in Indien von den Behörden festgehalten wird. Der Grund ist, dass ein Fahrzeug, in dem er saß, in einen Verkehrsunfall verwickelt worden sein soll. Ciftlik wurde verhaftet und gegen Kaution wieder freigelassen, sein Pass wurde ihm abgenommen. Der angeblich Geschädigte verlangt von Ciftlik 10.000 Euro für den angeblichen Schaden, Ciftlik will nur Beifahrer in dem Wagen gewesen sein und bestreitet, dass überhaupt ein Unfall stattgefunden hat.

Die deutsche Strafprozessordnung sieht vor, dass eine Hauptverhandlung nur höchstens 30 Tage unterbrochen werden darf – wird die Frist gerissen, muss der Prozess von vorne beginnen. Ohne den Angeklagten darf aber nur verhandelt werden, wenn dieser aus eigenem Verschulden, also „eigenmächtig“ der Verhandlung fernbleibt.

Für Ciftliks Verteidigung, Gabriele Heinecke und Florian Melloh, ist der Fall glasklar: Die Frist sei seit April verstrichen, ihr Mandant durfte nach Indien reisen und es sei nicht sein Verschulden, dass er dort festgehalten wird. Heinecke: „Das Verfahren ist eine Leiche und kann zu keinem rechtmäßigen Urteil mehr führen.“

Dem aber widersprechen Anklagevertreter und Gericht. Für Staatsanwalt Michael Elsner habe sich Ciftlik mit der Teilnahme am indischen Straßenverkehr – egal ob als Fahrer oder Beifahrer – einem „erhöhten Risiko“ ausgesetzt. Deshalb könne von ihm verlangt werden, die Forderung des Geschädigten zu begleichen um damit seine Chancen zu erhöhen, schneller ausreisen und am Hamburger Verfahren teilnehmen zu können. Da er das nicht getan habe, sei sein Fernbleiben vor Gericht selbst verschuldet. Verteidiger Melloh griff Elsner an: „Sie verlangen damit allen Ernstes, dass Ciftlik sich in Indien dem Unrecht beugt, um hier der Rechtssprechung zur Verfügung zu stehen.“

Richter Rüdiger Göbel hingegen unterschied feinsinnig. Zur Zeit verhandle er zwar „in der Sache“, indem er das Hauptverfahren fortsetze und die Unterbrechungsfristen so aushebele, aber „nicht zur Sache“, weil das Gericht sich derzeit nicht mit den Ciftlik vorgeworfenen Straftaten beschäftige. Eine solche Vorgehensweise sei ein „Spagat“, räumte Göbel ein, in vollem Bewusstsein, dass er mit seiner Rechtsinterpretation juristisches Neuland betritt. Konsequent terminierte er gleich den nächsten Prozesstag: Auf den 21. Mai.

Dagegen wollen Melloh und Heinecke mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen. „Das Recht kennt keinen solchen Spagat“, so Heinecke.  

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