Länderfinanzausgleich: Ofentür auf für die Geberländer

Bremen rüstet sich gegen die Klage von Bayern und Hessen, auch wenn Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) sie für wenig erfolgversprechend hält.

Wo die Schuldenuhr tickt: Das notorisch klamme Bremen. Bild: dpa

BREMEN taz | Verhandeln und wo nötig streiten – auf den Nenner lässt sich Bremens Strategie im Streit um den Länderfinanzausgleich bringen: Am Dienstag stellte der Senat deren Eckpunkte vor, und er berief Joachim Wieland als Prozessbevollmächtigten vorm Bundesverfassungsgericht.

Damit reagiert die notorisch klamme Freie Hansestadt als erstes Land personell auf das Ende März von Bayern und Hessen angeleierte Normenkontrollverfahren, obwohl Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) bekannte, wenig von der Verfassungsklage der zwei Geberländer zu halten: Sie werde sich als „Schuss in den Ofen“ erweisen, prophezeite er.

Um den Schuss dorthin zu lenken, hat man mit Wieland, Rektor der Uni Speyer und Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, einen ausgewiesenen Experten engagiert. Denn Wieland hatte als Sachverständiger erheblichen Einfluss auf die „Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder- Finanzbeziehungen“. Deren wichtigstes Ergebnis war 2009 das, wogegen Bayern gemeinsam mit Hessen vorm Bundesverfassungsgericht nun anrennen: Die aktuelle Fassung des Länderfinanzausgleichs – ein hochkomplexes Instrument, Geld zwischen den Bundesländern zu verteilen. Damit sollen, so will es das Grundgesetz, die Unterschiede der Lebensbedingungen ausgeglichen werden.

"Probleme löst man nicht durch wechselseitige Klagen, sondern durch Gespräche", sagt Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). "Der aktuelle Finanzausgleich ist von allen Ländern gemeinsam beschlossen worden und gilt noch bis 2019." Über eine Neustrukturierung ab 2020 könne man reden.

Schleswig-Holstein gehört zu den Gewinnern des Zensus 2011. Heinold rechnet mit positiven Effekten zwischen 60 und 70 Millionen Euro jährlich.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) findet, statt vor Gericht zu ziehen, wäre es "klüger, eine Neuordnung zu erarbeiten, die für alle gut und akzeptabel ist".

Weil nach dem Zensus vom Mai fast 81.000 weniger Menschen in der Stadt lebten als angenommen, wird Hamburg vom Nehmer- zum Geberland. Deshalb muss der Stadtstaat für 2013 73 Millionen Euro überweisen, statt fünf Millionen zu erhalten. Für die beiden Vorjahre muss Hamburg 84 Millionen Euro zahlen und hat deswegen Widerspruch eingelegt.

Im Jahr 2012 waren allerdings gerade mal 7,9 Milliarden Euro im Pott, „das sind keine vier Prozent der Steuereinnahmen“, so Bremens grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert. Bremen erhielt davon 517 Millionen Euro, Berlin stolze 3,2 Milliarden – Mecklenburg-Vorpommern bloß 452 und Niedersachsen nur knapp 173 Millionen. Richtig toll findet die aktuelle Formel niemand: Auch Linnert plädiert für eine umfassendere Neuregelung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern. Es sei „eigentlich allen klar, dass die im Laufe der neuen Legislaturperiode gefunden werden muss“, sagt sie, aber eben durch Verhandlungen.

Die macht das Verfahren in Karlsruhe zwar nicht unmöglich – aber es kann sie entscheidend verzögern. Denn tatsächlich gilt die aktuelle Fassung des Finanzausgleichs nur noch bis 2019. Ob das Bundesverfassungsgericht bis dahin aber geurteilt hat, ist bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von mehr als drei Jahren ungewiss. Hinzu kommt, dass sich vor April in Karlsruhe niemand mit dem Vorgang beschäftigen wird: Gertrude Lübbe-Wolff, Berichterstatterin des zuständigen Senats, wird ausscheiden. Es wäre Unsinn, wenn sie sich noch des Verfahrens annähme. Ihre Nachfolgerin kann erst ab Januar gewählt werden.

Ohne neuen Länderfinanzausgleich aber wird es schwer, die neuen Haushalte zu planen – und das ist zumal für die Stadtstaaten problematisch. „Es kann nicht sein“, so hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Klagevorstellung im März betont, „dass ein Bayer oder Hesse weniger wert sein soll als ein Berliner, Bremer oder Hamburger.“ Das klingt einleuchtend. Aber es klingt eben nur so: Dass die Infrastruktur von Städten teurer ist, weiß man auch in den Flächenländern. Und entsprechend gibt es diese „Einwohnerveredelung“ auch bei ihnen – im Kommunalfinanzausgleich. So ist in Hessen der Bewohner eines 7.500 Seelen-Dorfes mindestens fünf, der eines Oberzentrums aber mindestens 18 Euro wert.

Schon mehrfach haben die Verfassungsrichter diese Art der Verteilung bestätigt. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie da eine 180-Grad-Wende vollziehen“, beruhigte Wieland gestern.

Die jetzige Klage attackiert aber vor allem die Berechnungsweise dieser sogenannten Einwohner-Veredelung. Und die Wahl der Methode kann in der Tat zu großen Unterschieden führen: Nach dem aktuellen Schlüssel ergibt sich, dass ein Bremer 1,35 mal so viel wert ist, wie ein Bayer, um in Seehofers Bild zu bleiben. Je nach wirtschaftswissenschaftlichem Ansatz könnte sich aber auch ergeben, dass er einen um den Faktor 1,6 oder eben nur 1,2 erhöhten Bedarf hat.

Es ist insofern nicht ohne Risiko auch für die Kläger, dass der Schuss nicht bloß im Ofen, sondern im Knie landet: So wird bislang die Gemeindefinanzkraft anteilig in die Ausgleichsberechnungen einbezogen, zu 64 Prozent: Als „deutlich überhöht“ hatte Volker Bouffier (CDU) das bezeichnet. Doch hier hält Wieland dagegen, dass „staatsorganisatorisch die Kommunen Teil der Länder“ seien. „Sie müssten ihnen vollständig zugerechnet werden“ – und dass dies zum Nachteil der Stadtstaaten nicht geschehe sei „nur im politischen Willen begründet“: Die Flächenländer hatten darauf gepocht. Das aber ist juristisch kaum ein stichhaltiger Grund.

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