Männerfußball: Die Liga der kickenden Fans

Sie heißen SG Schlusslicht oder UFC Kampfschweine: Seit 1981 treten Fanclubteams von Union Berlin gegeneinander an.

Gegner auf dem Platz, Freunde auf der Tribüne: Fans von Eisern Union Bild: dpa

Gespielt wird noch im Zweipunktesystem, einen Schiri gibt es nicht. Und dann die Namen der Teams: SG Schlusslichter, UFC Kampfschweine, Die Chaoten und HauDraufWieNix. Einen seriösen Ligabetrieb stellt man sich beim Deutschen Fußball-Bund sicher anders vor.

Die Liga, um die es hier geht, steht eher in der Tradition der bunten und wilden Ligen jenseits der Verbände. Sie nennt sich „Die Union-Liga“ und ist eine Staffel, in der Fanclubs von Union Berlin gegeneinander antreten. Sie wurde bereits 1981 in der DDR gegründet, wo es eigentlich nicht vorgesehen war, dass Sportfreunde abseits der offiziellen Verbandsstrukturen des Deutschen Turn- und Sportbunds (DTSB) ihren eigenen Wettkampfbetrieb organisierten. Der Zusammenschluss der Union-Fans hatte nicht einmal ein Vorbild in der alten Bundesrepublik – dort gab es zu dieser Zeit keine solche Liga. In der DDR aber fand sich ein Haufen Fans, die dem etablierten Spielbetrieb etwas entgegensetzen wollten.

Es sind Leute wie „Brille“, der eigentlich Olaf Gütling heißt und seit 40 Jahren Union-Fan ist. Mehrere hundert Spiele der Köpenicker hat er gesehen. Aber Brille ist eben auch selbst schon rund 500-mal aufgelaufen – in der Union-Liga.

Brilles Team, die VSG Wuhlheide 79, gehörte damals zu den sechs Gründungsmitgliedern der Liga. Brille arbeitete seinerzeit als Elektromonteur im Kabelwerk Oberspree (KWO). „Mit meinen Kumpels habe ich mich 1979 immer im KWO-Boothaus am Biertisch getroffen, wo wir ständig über Union und unsere Fanerlebnisse quatschten. Aber wir waren auch selbst heiß aufs Kicken.“ So gründeten sie ihre eigene Volkssportgemeinschaft.

Bald merkten sie, dass sie nicht die Einzigen waren. „1981 haben sich die Leiter von sechs Fanclubteams zusammengesetzt und die erste selbst verwaltete Liga in Ostdeutschland gegründet.“ Der Verband ahnte und wusste zunächst von nichts, gespielt wurde auf Wald- und Wiesenplätzen. Umkleiden gab es nicht, die Sportkleidung legte man zwischen den Bäumen an. Duschen nach dem Spiel? Wenn man Glück hatte, fand sich ein Springbrunnen.

Die inoffizielle Liga

Nach der Premierensaison 1981/82 mit dem ersten Meister FC Karlshorst Süd nahm die inoffizielle Liga einen rasanten Aufschwung. Weil sich immer mehr Fanclubs anschlossen, wurde bald in mehreren Staffeln gespielt – inklusive Auf- und Abstieg. In der Saison 1988/89 kämpften nicht weniger als 34 Teams um die Union-Meisterschaft, die inzwischen auch von Vereinsseite akzeptiert wurde. Der Verband hingegen versuchte die Liga zu ignorieren. Im Unioner Stadionheft wurden die Fanmannschaften aber erwähnt, allerdings ohne die Namen. Schon der Name „FC Schluckauf 82“ war dem Club wohl zu wild.

„Wir Union-Fans hatten einen schlechten Ruf, ständig gab es Theater mit der Polizei“ erzählt Brille. Bei Auswärtsspielen kam es zu Zusammenstößen. „Deshalb fanden es die Funktionäre wohl nicht so schlecht, dass wir von der Straße wegkommen, wie man so sagt.“ Dass die Stasi ein wachsames Auge auf die Union-Fans warf, bekam auch Brille zu spüren: Nachdem er der Westberliner Hertha mal zu Spielen nach Dresden und Prag hinterher gereist war, wurde er von der Polizei vorgeladen. Mittels Beweisfotos konfrontierte man ihn mit seinen Kontakten zu den West-Fans. Gesetzesbrüche konnten ihm nicht nachgewiesen werden, Angst versuchte man ihm trotzdem zu machen.

Was die Stasi offenbar nicht mitbekam, war eine heimliche Partie zwischen Ost und West: „Wir kannten einen Hertha-Fanclub aus Westberlin, weil deren Leute oft zu Union-Spielen nach Köpenick kamen. Über die lernten wir auch den ’Münchner Löwenfanclub Berlin‘ kennen, das waren 1860-Fans, die in Berlin studierten. 1988 haben wir als VSG Wuhlheide mit denen einen innerdeutschen Vergleich veranstaltet“, erzählt Brille. Ein riskanter Coup, der in der Wuhlheide über die Bühne ging. „Danach gab’s eine Riesenparty. Und nach der Wende luden uns die Löwen-Fans nach Kulmbach zu einem Rückspiel ein. Allerdings sind die Kontakte dann eingeschlafen.“

Auch sonst änderte sich nach dem Mauerfall einiges. Viele Leute hatten zunächst anderes zu tun, als zu bolzen – die Jobsuche und die Assimilation an die neuen Verhältnisse waren wichtiger. Es dauerte, bis die Wendeflaute überwunden war und die Zahl der Teams Ende der 90er wieder anstieg. Momentan sind es 37 Mannschaften, die pro Saison 50 Euro Startgeld zahlen, um in drei Staffeln ihren Meister zu ermitteln. Außerdem treten sie noch in einem Pokal-Wettbewerb gegeneinander an.

Wichtig bleibt den Ligaorganisatoren der direkte Bezug zu Union. So wurde jüngst festgelegt, dass ein Drittel jeder Mannschaft aus Vereinsmitgliedern oder Dauerkartenbesitzern bestehen muss. Und doch will man weiterhin jenseits der offiziellen Ligen kicken: „Wer bei uns spielt, will einfach in keinen richtigen Verein. Dort müsste man regelmäßig am Training teilnehmen und am Wochenende an den Punktspielen. Doch da hat man als Union-Fan nie Zeit, weil man im Stadion oder auf Auswärtsfahrt ist.“

Der Verein selbst hält sich im Hintergrund, vereinnahmt die Fanliga bislang nicht als Schmuckstück fürs Image. Gleichwohl werden die Siegermannschaften traditionell vor großer Kulisse An der Alten Försterei geehrt. In der Halbzeit des Tribünen-Einweihungsspiels zwischen dem Union und Celtic Glasgow bekam der aktuelle Champion The Primitives den goldenen Meistercup überreicht.

Brille war das mit seiner VSG Wuhlheide 79 in mehr als drei Jahrzehnten nie vergönnt. Eine neue Chance gibt es nicht – im Sommer hat sich sein Team aus der Liga verabschiedet. „Der Leistungsunterschied zu den Jüngeren ist inzwischen einfach zu doll“, so Brille. „Wir werden aber weiterhin im Union-Pokal und zu einigen Turnieren antreten.“

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