Musiktheater in Hamburg: Revolution im Himmel

Weitermachen nach dem Scheitern: Das Kollektiv Kommando Himmelfahrt bastelt aus John Miltons „Paradise Lost“ eine Rock-Performance

Immer wieder dieselbe Geschichte: Satan, projiziert auf das Gesicht der Schauspielerin Sarah Sandeh. Bild: Distruktur

HAMBURG taz | Wie das Versprechen einer Erlösung klang, was die Plakate zur Eröffnung des Star-Club 1962 verkündeten: „Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!“ Wer mit Nachkriegs-Schlagern oder Studentenkneipen-Jazz nichts anfangen konnte, für den öffneten sich auf der Großen Freiheit die Pforten zum Himmel auf Erden: Von den Beatles bis Chuck Berry, alle spielten sie im damals berühmtesten Club der Welt.

Aber so schnell, wie er aufgestiegen war, ging der Stern nach sieben Jahren wieder unter. Das Rebellische des Rock ’n’ Roll und Beat war längst gezähmt, der Star-Club wieder leer: ein verlorenes Paradies.

Den Nachhall der wilden Jahre aber kann man bis heute spüren. „Das war so eine Art Geburtsstunde der Popkultur“, sagt Jan Dvorak mit leuchtenden Augen. Vor vier Jahren begann sich der Hamburger Komponist vom Musiktheaterkollektiv Kommando Himmelfahrt gemeinsam mit seinem Partner, dem Berliner Regisseur Thomas Fiedler, für die besondere Stimmung im Star-Club zu interessieren.

Vor allem für eine Veranstaltung, auf der Hubert Fichte aus seinen Büchern las, während zwischendurch eine zweitrangige Beat-Band spielte, erzählt Fiedler. „Was war da los? Das war eine komische Übergangszeit, da sind Lehrlinge hingegangen, Studierte erst mal nicht. Aber dann treffen sich die Welten zum ersten Mal“, ergänzt Dvorak.

Entstanden ist daraus schließlich die Idee, 1667 und 1968 miteinander kurzzuschließen und das Epos „Paradise Lost“ des englischen Dichters John Milton in eine Rock-Performance zu verwandeln: Als Reise durch die Urgeschichte der Rebellion mit Video-Projektionen der Gruppe Niedervolthoudini, der Performerin Sarah Sandeh und einem zehnköpfigen Chor aus gestandenen Alt-68ern.

Und einer eigens zusammengebastelten Live-Band. „Wir wollten einerseits dieses Star-Club-Gefühl hereinbringen, also Songs schreiben, die mit der Allusion an diese Stilistik spielen“, erklärt Dvorak. Zugleich haben alle vier Musiker einen unterschiedlichen stilistischen Hintergrund. „Dadurch entsteht so eine Art Remix, also keine Stilkopie“, sagt Dvorak. Ganz bewusst sind die dabei entstehenden musikalischen Reibereien einkalkuliert.

Schließlich gehe es diesmal um ganz persönliche Momente des Aufbegehrens. „Nachdem wir uns in den letzten Jahren in unseren Stücken ’Leviathan‘ und ’Utopia‘ mit Staatstheorie beschäftigt haben, geht es jetzt um den Einzelnen“, sagt Dvorak: „Wie verhält der sich in diesen Systemen? Auch in Systemen, die relativ gut funktionieren wie die Bundesrepublik. Wie ist es 1968 zum Aufbegehren gekommen? Also quasi: zur Revolution im Himmel?“

Eben davon handelt Miltons Gedicht: Satan lehnt sich gegen die göttliche Ordnung auf, scheitert und wird in die Hölle gestürzt. „Wie man mit diesem Scheitern umgeht und wie man neu aufbaut, das war für uns der spannende Moment“, sagt Fiedler. Und in dieser Perspektive, findet Dvorak, könne man Miltons Epos sogar als Rechtfertigung der Motive aller Revolten begreifen.

Vor allem interessieren sich Fiedler, Dvorak und Julia Warnemünde, die als Dramaturgin letztes Jahr zu Kommando Himmelfahrt gestoßen ist, für die Spannung zwischen vergangenen und gegenwärtigen Revolten. „Wir machen immer so etwas wie eine archäologische Arbeit, holen Momente der Vergangenheit wieder heraus und betrachten sie unter dem Aspekt: Was steckte da für eine utopische Erwartung drin, was müsste heute davon noch eingelöst werden?“, erläutert Dvorak.

Für den 1971 Geborenen ist das eine ganz persönliche Frage: „Ich komme aus so einem 68er-Umfeld“, erzählt er. „Und ich hatte immer das Gefühl, das Eigentliche hat irgendwann anders stattgefunden, ich bekomme nur das Bild vom Bild.“

Auf der Bühne stehen sich deshalb zwei Generationen gegenüber – vor und hinter einer Leinwand, auf die durch Plexiglasscheiben mit eingravierten barocken Bilderwelten Live-Aufnahmen vom Bühnengeschehen projiziert werden. Davor steht die junge Schauspielerin Sarah Sandeh, „die diesen Altersunterschied stark spürbar werden lässt und dabei auch die diesem Mythos innewohnende Geschlechterdifferenz beleuchtet“, erklärt Fiedler.

Und hinter ihr der Chor der 68er, darunter auch Dvoraks Vater Michael und einige seiner Freunde – Menschen, die eben die idealen Träger der Idee des Neuanfangs nach dem Scheitern seien. „Dieses Paradies, das darin besteht, dass man sagt: Ich kümmere mich einfach nicht drum, weitermachen! Das strahlen die ganz stark aus“, sagt Dvorak.

■ Mi, 4. 6. bis So, 8. 6., je 20 Uhr, Kampnagel
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.