Hörbar-Vorsitzender Volker Havlik über Experimente: „Heizkörper klingen schön“
Volker Havlik spricht über den kreativen Umgang mit Alltagsgeräuschen, das spielerische Interesse für Klänge und das Jahresausklangfestival.
taz: Herr Havlik, wer trifft sich mittwochs abends in der Hörbar im Hamburger B-Movie?
Volker Havlik: Die Hörbar ist Anfang der 1990er als Forum für Leute gegründet worden, die sich für experimentelle Musik unterschiedlichster Art interessieren. Damals war die Szene versprengt, es gab keinen zentralen Treffpunkt. Wir interessieren uns für ein sehr breites Spektrum experimenteller Musik, von Neuer Musik über technische Experimente bis zu Free Jazz oder Noise. 1995 haben wir einen Verein gegründet, weil jedem klar war: damit kann man kein Geld verdienen und keinen Club betreiben.
Was macht den Reiz experimenteller Musik aus?
Das ist je nach Genre ganz unterschiedlich. Ich bin dazugekommen, weil ich als Kind schon auf allem rumgekloppert habe und immer fasziniert davon war, wie Dinge klingen. Wenn man zum Beispiel Heizkörperrippen mit dem Schraubenzieher bearbeitet, das kann sehr schön klingen. Viele kommen aus ähnlichen Gründen dazu. Uns verbindet ein spielerisches Verhältnis zu Klängen.
Junge Leute sieht man in der Hörbar selten. Ist experimentelle Musik nur etwas für Reifere?
Ein sehr junges Publikum kommt tatsächlich nicht zu uns. Das fängt frühestens bei 25 an. Ich bin 58 und gehöre schon zu den alten, aber die jungen sind auch schon um die 40. Ich vermute, das hat etwas mit der Tanzbarkeit zu tun. Wenn man älter wird, ist die eben nicht mehr so wichtig.
Was passiert in der Hörbar?
Manchmal veranstalten wir Konzerte, aber im Prinzip kannst du einfach jeden Mittwoch kommen und eine Platte mitbringen oder dein Projekt vorstellen. Wenn jemand eine Platte vorstellt, kann es sein, dass da einfach nur Alltagsgeräusche drauf sind. Aber es geht dann eben darum: Kann man einen kreativen Umgang damit finden? Das Verfremden bis hin zur Unkenntlichkeit ist zum Beispiel sehr interessant, dass man wirklich nicht mehr erkennen kann, was die ursprüngliche Klangquelle war. Das ist unerschöpflich, das ist etwas, das viele lange Jahre bei der Sache hält.
58, arbeitet in verschiedenen Genres wie Industrial Noise, Free Musik, Elektronik. Er spielt E-Gitarre mit diversen Modulationstechniken und komponiert mit Synthesizern und Computern. Seit 1998 ist Havlik Mitglied der Hörbar und derzeit ihr 1. Vorsitzender.
Voll ist es in der Hörbar aber selten.
Nicht alle kommen jedes Mal, manche sieht man nur zwei, drei Mal im Jahr. Von den Betreibern sind immer zwei oder drei da, aber es kann gut sein, dass du kommst und es sitzen nur fünf Leute da. Das heißt aber nicht, dass es uninteressant ist: Auch wenn es leer ist, kannst du zum Beispiel ein sehr aufschlussreiches Gespräch führen.
Seit 20 Jahren veranstaltet die Hörbar am Ende des Jahres ein kleines Festival.
Das Jahresausklangfestival ist eine unserer größten Veranstaltungen. Wir arbeiten das ganze Jahr darauf hin, am Ende etwas wirklich Gutes bieten zu können, aber ein großes Festival mit 20 Acts können wir nicht finanzieren. Wir bekommen ein wenig Zuschuss, aber ansonsten ist es eine Eigenbluttherapie. Weil wir nur geringe Gagen zahlen können, wird man die Einstürzenden Neubauten zum Beispiel niemals bei uns sehen. Aber es kommen schon viele, die sonst höhere Gagen bekommen, weil wir eine Atmosphäre bieten, die ihnen gefällt. Außerdem sind der Raum und die technische Ausstattung sehr gut.
Es gibt also jedes Jahr nur einen kleinen Ausschnitt zu hören.
Das ganze Spektrum experimenteller Musik könnte man an zwei Abenden natürlich nicht präsentieren, stattdessen gibt es eine Auswahl von zweimal drei Projekten. So ist jedes Festival sehr unterschiedlich.
Wer steht dieses Jahr auf der Bühne?
Katrin Achinger, die mal bei den Kastrierten Philosophen war, präsentiert zum Beispiel ihr neues Projekt mit Krischa Weber. Ich würde das als angejazzte Singer/Songwriter-Musik beschreiben. Michael Vorfeld wiederum ist ein richtiger Tüftler: Der macht diesmal etwas mit ganz normalen Glühlampen. Ich vermute, er benutzt sie ähnlich, wie man Röhren in Verstärkern benutzt. Roland Wendling präsentiert eine sehr ruhige Mischung aus live eingespielter Gitarre, Schlagzeug und computer- beziehungsweise synthesizergenerierter Musik. Spannend sind auch Radio Kyoto: Zwei Ex-Punks, denen Punkmusik aber irgendwann zu langweilig geworden ist. Die experimentieren jetzt mit allem, was es gibt: Synthesizer, Gitarren, Maschinen.
■ So, 28. 12. und Mo, 29. 12., Hörbar im B-Movie
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