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Die Aids-GeschichteDiagnosen, die Todesurteile waren

Selbsthilfe, politisches Engagement, Horrorbewältigung: Eine Ausstellung blickt zurück auf 30 Jahre Berliner Aids-Hilfe.

Eine von vielen Aktionen zum Welt-Aids-Tag Bild: dpa

Am Anfang war es nur ein hässliches Wort. „Mörderkrankheit“ titelte der Spiegel Anfang der achtziger Jahre, als in den USA reihenweise Männer an einer rätselhaften Immunschwäche starben. Es dauerte nicht lange, da war die Krankheit namens Aids (Auto Immune Deficiency Syndrome) auch in Deutschland bekannt. Und auch in der Schwulenszene Westberlins begann das Sterben.

„Ich war alle paar Tage auf dem Friedhof“, erinnert sich der Visagist René Koch in einem Video der Berliner Aids-Hilfe. Klaus Wowereit, später offen schwul lebender Regierender Bürgermeister, sagt rückblickend: „So viele Tote. Es war furchtbar.“ Als sei man im Krieg gewesen, resümiert ein anderer die Erfahrungen jener Jahre, als Aids in die heile, promiske Welt der schwulen Subkultur hereinbrach. „30 Jahre positives Erleben“ heißt der Film, der am Anfang einer kleinen Ausstellung im Schwulen Museum in Schöneberg steht. Zusammen mit der Berliner Aids-Hilfe blickt man in dem kleinen Haus in der Lützowstraße zurück auf 30 Jahre Selbsthilfe, bürgerschaftliches und politisches Engagement – und Horrorbewältigung.

Denn die Krankheitsdiagnosen, die Todesurteile waren, erschütterten die Szene. Wie sie sich angesichts dieses Grauens organisierte, zeigt eine bunte Zeittafel. Im Jahr 1983 gründete sich die erste Aids-Selbsthilfegruppe, aus ihr entstand 1985 die Berliner Aids-Hilfe. Man vernetzte sich, leistete Trauerarbeit, spendete Trost.

Ralph Ehrlich, ein Überlebender, der sich heute im Vorstand der Aids-Hilfe engagiert und als HIV-positiver Läufer bekannt geworden ist, erinnert sich an seine Diagnose. Drei bis fünf Jahre habe ihm damals der Arzt gegeben. Als die ersten Medikamente verfügbar waren, musste Ehrlich in genauem Zeittakt taubeneiergroße Tabletten einwerfen, mit üblen Nebenwirkungen: „Wegen meiner Durchfälle kannte ich auf meiner täglichen Busstrecke jedes öffentliche Klo.“

Auch gegen Desinformation und Vorurteile in der Bevölkerung mussten die Aktivisten der Aids-Hilfe angehen. Die Aufklärungskampagnen füllen eine ganze Wand der Ausstellung. Darauf wird an Geschichten wie diese erinnert: 1990 bekam eine Positiven-Schwimmgruppe im Stadtbad Schöneberg Schwimmverbot, weil sich Teile des Personals ekelten. Daraufhin ging die First Lady Berlins, Anne Momper, demonstrativ mit ihrer Tochter und den Positiven baden: Stoff für viele Zeitungsaufmacher, die hier nachzulesen sind.

Die Ausstellung zeigt, wie sich rund um das HI-Virus eine eigene Hilfs-und Beratungskultur bildete: Ausdruck einer neuen Solidarität, die anfangs in der schwulen Community und, nach der Ausbreitung in heterosexuelle Milieus, auch im Mainstream der Gesellschaft Halt fand. Heute sind mehr als 200 BerlinerInnen ehrenamtlich für die Aids-Hilfe tätig: am Beratungstelefon, in Krankenhäusern und Gefängnissen, bei der Sozialrechtsberatung oder im Café Ulrichs am Nollendorfplatz.

Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts starben in Berlin seit Beginn der Epidemie 4.600 Menschen. Doch dank immer besserer Medikamente kann ein Leben mit Aids heute ein langes und aktives sein. Von geschätzten 15.000 Männern und Frauen, die Ende 2013 mit HIV/Aids in Berlin lebten, waren 11.000 in antiretroviraler Therapie.

Wie sich die Sterbebegleitung der achtziger und neunziger Jahre allmählich zur Lebensbegleitung mit medizinischer Hilfe gewandelt hat, dokumentiert ein Ausstellungsabschnitt zur Trauerkultur: Teelichter, die auf künstlichen Seerosenblättern in den Lietzensee gelassen werden, Steine und Luftballons, beschriftet mit den Namen der Toten. Und ein Trauerbuch, das ganz persönliche Einblicke in das brutale und allzu frühe Sterben Einzelner gibt: „Sie starb allein und vergessen im Krankenhaus“, steht da unter dem Foto einer jungen Frau. „Schade, daß ausgerechnet Du allein im Gebüsch verrecken musstest“, schreibt ein anderer trocken einem Verstorbenen hinterher. Manche bemühen sich angesichts des Unfassbaren um Humor: „Frankie-Boy hat sich am Sonntag, 11. April 99 davongeschlichen“, steht über einer Collage, von der ein junger Mann aus einem schnellen Auto grinst. „Frankie-Boy“ fuhr nicht in den Urlaub, er starb. Anlass für einen hilflosen Witz: „Ach, Frank, das war kein guter Aprilscherz. Wer wird uns nun mit kessen Lippen (hämisch) angrinsen?“

■ "30 Jahre Positives Erleben", noch bis 17. Mai im Schwulen Museum in der Lützowstraße 73. So., Mo., Mi. u. Fr. 14 bis 18 Uhr, Do. 14 bis 20 Uhr, Sa. 14 bis 19 Uhr

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