: Christlicher Nippes und koscherer Glühwein
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin beleuchtet Traditionen und Bräuche von Chanukka und Weihnachten
BERLIN taz ■ Für den Publizisten Schalom Ben-Chorin war der Weihnachtsbaum bloß das traurige Symbol der gescheiterten deutsch-jüdischen Symbiose: „Er leuchtete in der Nacht unserer Verwirrung, sein Licht war mild und schön, aber – für uns – ein Irrlicht.“
Bis zum 29. Januar ist im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung „Weihnukka. Geschichten von Weihnachten und Chanukka“ zu sehen. Doch gerade die Popularität christlicher Weihnachtsbräuche beim deutsch-jüdischen Bürgertum der Vorkriegszeit, durch die der Ausdruck „Weihnukka“ eigentlich entstanden ist, scheint immer noch ein heikles Thema zu sein. In der Ausstellung wird davon kaum etwas gezeigt. Hübsch getrennt voneinander zeigt sie zunächst einmal nur die historischen Traditionen und Gebräuche der beiden in den Dezember fallenden Feiertage.
Doch während sich das Weihnachtsfest unter dem Einfluss von bürgerlicher Repräsentationskultur des 19. Jahrhunderts und der Konsumkultur des 20. Jahrhunderts immer prachtvoller entfaltete, ist Chanukka ein vergleichsweise eher nüchternes Fest geblieben: Traditionell wird es mit fettigem Krapfengebäck und Brett- und Würfelspielen für Kinder begangen. Das war’s.
Für die damit verbundenen kulturellen Anfechtungen der Gegenwart richten die Ausstellungsmacher den Blick lieber nach Amerika, wo die Diskussion über die Dominanz der christlichen Weihnachts-Leitkultur längst entbrannt ist. Deren Ergebnisse sind hier nun zu sehen: weißblaue Christbaumkugeln mit Davidsternmuster und politisch korrekte Feiertagsgrußkarten. Jüdische Empfänger sollen die Beschriftung mit dem triumphalen „Ho-ho-ho“ des Weihnachtsmanns einfach umdrehen und dann einen jüdischen Klageruf lesen.
Dass von dem Stolz über den historischen Sieg der Makkabäer, auf dem Chanukka beruht, zuweilen nicht mehr viel übrig ist, zeigt spielerisch ein Filmausschnitt aus der Zeichentrickserie „South Park“. Mit herzzerreißend krächzendem Gesang lässt hier ein kleiner Junge, dem seine Mutter die Teilnahme am Krippenspiel verboten hat, seinen Neidgefühlen freien Lauf: „Ich bin ein Jude, einsamer Jude, zur Weihnacht. Chanukka ist schön, doch warum nur fliegt der Weihnachtsmann an mir vorbei?“
Ohne Blessuren hat das Weihnachtsfest alle gesellschaftspolitischen Umbrüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts überstanden. Davon zeugen in der Ausstellung die längst wieder aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängten Accessoires aus der Nazizeit: Plätzchenform und stabiler Tannenbaumfuß im Hakenkreuzdesign oder das Räuchermännchen in SA-Uniform. Will man sich jetzt noch darüber wundern, dass auch die Kinderzeichnungen aus Theresienstadt von der Sehnsucht nach Bescherung unterm Weihnachtsbaum künden? „Frohe Weihnacht nur durch Aufbau“, mahnte 1945 sogar ein Poster der KPD.
Und als sollte den Besuchern diese Unentrinnbarkeit noch mal am eigenen Leibe vorgeführt werden, stößt man im Innenhof des Jüdischen Museums unverhofft auf ein Ensemble illuminierter Bretterbuden – den Weihnukka-Markt. Neben christlich-jüdischem Festtagsnippes wird hier auch koscherer Glühwein verkauft. Angesichts der strengen jüdischen Speisevorschriften ist bei dieser Behauptung wohl Skepsis geboten, doch spätestens beim zweiten oder dritten Becher dürfte einem auch das egal sein. JAN-HENDRIK WULF
Die Sonderausstellung „Weihnukka. Geschichten von Weihnachten und Chanukka“ ist noch bis zum 29. Januar 2006 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen (Eintritt: 4.- Euro). Außerdem ist ein Begleitbuch zur Ausstellung mit dem Titel „Weihnukka“ erschienen, hrsg. v. Cilly Kugelmann, Berlin (Nicolai) 2005 (Preis: 19,90 Euro)
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