Der eine kann nicht mehr

ARM IN DIE RENTE Die IG BAU will ein „Altersflexi-Geld“, die IG Metall trommelt weiterhin gegen das Renteneintrittsalter

VON EVA VÖLPEL

BERLIN taz | Für Friedrich Zirkel blieb die Rente mit 67 eine Fata Morgana. 45 Jahre arbeitete der heute 61-Jährige aus Halle an der Saale auf dem Bau, die meiste Zeit als Eisenflechter, später als Kranfahrer. Dann ging Mitte 2010 mit 58 nichts mehr. „Die Hüfte und die Bandscheibe waren endgültig kaputt, ich kam ins Krankenhaus.“ Noch auf der Pritsche in der Notaufnahme habe ihn sein Chef angerufen und gefragt, wann er wieder einsteigen könne. „Als klar war, ich kann nicht mehr, gab’s die rote Karte, ich wurde gefeuert.“

Zirkel bekam erst 1.000 Euro Arbeitslosengeld I, heute lebt er von 382 Euro Hartz IV im Monat, das Amt zahlt dazu Miete und Heizkosten. Um eine Erwerbsminderungsrente streitet er sich seit drei Jahren mit der Rentenversicherung. Da er vorzeitig aus dem Beruf ausgestiegen ist, wird die Altersrente, die er mit 63 bekommt, gekürzt – auf 970 Euro.

Zirkels Schicksal ist in der Baubranche kein Einzelfall. „Die Erwerbstätigkeit Älterer nimmt zwar in allen Berufen zu“, sagt Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), „aber im Bau längst nicht so stark wie in anderen Branchen.“

Brussig hat für die Gewerkschaft IG BAU die Berufsverläufe von Bauarbeitern untersucht – und festgestellt, dass viele schon mit 45 oder 50 Jahren zwangsweise aus dem Beruf aussteigen. Ersatzarbeitsplätze gibt es kaum.

So werden viele erst arbeitslos und bekommen später eine gekürzte Rente. „Während im Schnitt 55 Prozent aller Männer aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Rente gehen, sind es bei Maurern und Betonbauern rund 34 Prozent“, sagt Brussig.

Die Gewerkschaften setzen im Wahljahr deswegen auf das Thema Alterssicherung – allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wie man am Mittwoch in Berlin sehen konnte.

Dort warb zuerst der IG-BAU-Vorsitzende Klaus Wiesehügel für ein „Altersflexi-Geld“. Die Rente mit 67 lehnt die Gewerkschaft immer noch ab. Aber Fakt ist, sie wird seit 2012 schrittweise eingeführt – und die Altersteilzeit seit 2010 finanziell nicht mehr gefördert. Wer trotzdem früher in Rente geht, dem wird sie gekürzt. Bereits 2011 hatte rund die Hälfte der neuen RentnerInnen Abschläge von durchschnittlich rund 115 Euro zu verkraften. Ihnen blieben 680 Euro reguläre Altersrente.

Für die Jüngeren wird sich diese Situation noch verschärfen. Deswegen sucht die Gewerkschaft nach Wegen, um für die rund 700.000 Beschäftigten des Bauhauptgewerbes den Berufsausstieg arbeitsmarktpolitisch abzufedern.

Die Idee: ein Kurzarbeitergeld für Ältere zwischen 58 und 63. Können Beschäftigte, geprüft durch Mediziner, nicht mehr voll arbeiten, sollen sie mit ihrer Qualifikation dem Betrieb in Teilzeit erhalten bleiben. Für ihre real geleistete Arbeitszeit erhielten sie weiterhin den normalen Lohn; für die Stunden, die ausfallen, Kurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur. Es soll zwischen 60 und 67 Prozent des vorherigen Entgelts betragen.

Bezahlt werden sollen die pro Person maximal fünf Jahre Altersflexi-Geld aus unterschiedlichen Quellen. Vier Jahre könnten teilweise gegenfinanziert werden durch eingesparte Arbeitslosengelder. Dazu müssten Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen – etwa 50 Millionen Euro jährlich bis Ende 2020, so die IG BAU.

Sie selbst will ein Jahr gemeinsam mit den Arbeitgebern finanzieren. „Die Verteilungsmasse dafür würden wir bei den Tarifverhandlungen abzwacken“, betonte Klaus Wiesehügel von der IG BAU. Ein Votum der Arbeitgeber, die Idee der Politik schmackhaft zu machen, habe man bereits, so der Gewerkschaftschef. „Bei allen Parteien gab es Interesse für unseren Vorschlag.“

Vielleicht auch, weil das Thema Rente für viele Wähler bei der Bundestagswahl eine große Rolle spielen wird, wie Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, am Mittwoch betonte. Bei einer repräsentativen TNS-Infratest-Umfrage, die die Gewerkschaft in Auftrag gab, erklärten 79 Prozent der Bürger, für ihre Wahlentscheidung sei das Thema „sehr wichtig“ oder „wichtig“. „Ebenso viele sagen, die derzeitige Rentenpolitik geht in die falsche Richtung“, so Wetzel.

Für die IG Metall steht weiterhin die Kritik an der Rente mit 67 und am sinkenden Rentenniveau im Vordergrund. „Die schöne, neue Arbeitswelt für die Alten bleibt ein Mythos“, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied. So seien nach einer Betriebsrätebefragung in der Metall- und Elektroindustrie nur 4 Prozent der Beschäftigten über 60 Jahre alt.

Auch die IG Metall fordert deswegen die Möglichkeit für flexible Berufsausstiege, plädiert aber allgemein für eine neue, öffentlich geförderte Altersteilzeit. Zudem will sie das Rentenniveau langfristig bei 52 Prozent des letzten Nettolohns einfrieren – und es nicht, wie vorgesehen, bis 2030 auf 43 Prozent sinken lassen. Gegenfinanziert werden könnte das einerseits durch den Umbau der gesetzlichen Rentenkasse in eine Erwerbstätigenversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen, so Urban. Andererseits sollte der Rentenbeitrag, der derzeit bei 18,9 Prozent liegt, früher als vorgesehen wieder auf 22 Prozent steigen, nach 2033 vielleicht sogar darüber hinaus. Das, so ist man sich bei der IG Metall sicher, bringe den Beschäftigen im Alter mehr als ein paar Euro, die man derzeit durch die niedrigeren Rentenbeiträge spart.