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Der Oscar der Strände

Dr. Beach hat den North-Beach bei St. Petersburg an der Westküste Floridas zu Amerikas Topstrand ausgeguckt. Auch Mr Sponge, den Herrn der Schwämme, kennt in der Griechengemeinde Tarpon Springs jeder. Und Mr Heath ist der Retter aller kranken Vögel

von GÜNTER ERMLICH

Warum bloß steckt der Junge den Kopf in den Sand? Sucht er nach den weißen ledernen Eiern, die Meeresschildkröten hier des Nachts vergraben? Oder will er Aufmerksamkeit erheischen? Oder doch nur seine Eltern foppen? Who knows? Der Vater steht in hellblauen XXL-Bermudashorts breitbeinig am Meeressaum, die Sonnenbrille auf der Nase und das Handy am Ohr, während die Mutter in schwarzem XXL-Bikini vorsichtig ins Wasser watschelt.

Wir sind am North Beach. Der liegt im Fort De Soto Park bei St. Petersburg an der Westküste von Florida. Der North Beach ist en vogue, denn „Dr. Beach“ hat ihn zu „Amerikas Strand Nr. 1“ im Jahr 2005 gekürt. Seit 15 Jahren nimmt der berühmte Stranddoktor anhand von 50 Kriterien, wie Sandfarbe und Wasserqualität, Umweltmanagement und Sicherheitskonzepten, rund 650 amerikanische Strände unter die Lupe: Jeweils im Mai am Memorial Day, dem Beginn der Sommersaison, veröffentlicht er dann unter großem Medien-Ballyhoo seine Top-Ten-Hitliste der schönsten US-Strände.

Eigentlich heißt Dr. Beach aber Dr. Stephen P. Leatherman und leitet das Internationale Hurrikan-Zentrum sowie das Labor für Küstenforschung an der Florida International University in Miami. Amerikaner lieben Ranking-Listen, noch mehr lieben sie die Gewinner, und deshalb frohlocken jetzt die hiesigen Tourismusmanager. Kann doch der North Beach, der diesjährige Oscar der Strände, mit 25 bis 30 Prozent mehr Besuchern rechnen. Ist er es wert?

Wir schauen genau hin: Er ist kein von Palmen gesäumter Bacardi-Strand für Honeymooner, vielmehr ein grundsolider Erholungsstrand in einer dicht besiedelten Region, breit und unbebaut, geeignet für Familien. Der Sand? Wie feines weißes Pulver. Oder auch fluffig wie ein Flokati. Das Wasser? Türkisfarben und glasklar. Die Wellen? So klein, so sanft ausrollend, kinderkompatibel. Vorsicht ist nur geboten, wenn man ins Wasser geht. Wegen der Stechrochen. Deshalb sollte man den „Stingray Shuffle“ machen wie gerade der alte Mann, der mit den Füßen über den Meeresboden schleift. Fluchtartig verlassen wir den Strand, als hoch gezüchtete Speedboote die Küste entlangdonnern. Training für das morgige Rennen. Wegen dieses Umweltlärms hätte Dr. Beach bestimmt ein paar Punkte Abzug gegeben.

Wir picknicken in einem der Pavillons, die genauso großzügig und picobello sind wie die Anstalten mit Duschen und Toiletten, wie die 2.000 Parkplätze und die separaten playgrounds für big dogs und small dogs. Alles ist wohl organisiert. Selbst die wilden Tiere! Ein Waschbär sitzt in der Astgabel einer Schatten spendenden australischen Kiefer und hält geduldig fürs Foto inne, ein weißer Reiher wartet neben dem Abfalleimer das Ende des Barbecues ab.

Mit Hugh, einem der Ranger, drehen wir eine Runde durch den Fort De Soto Park, der auf fünf mit Brücken verbundenen Inseln liegt. Der 1962 gegründete Freizeitpark wurde früher von Moskitoschwärmen heimgesucht und im Zweiten Weltkrieg von der Luftwaffe übungshalber bombardiert. Darunter war der Pilot, der die Bombe auf Hiroschima abwarf. Heute können Urlauber neben dem gepflegten Rasengrün zivilisiert auf der Asphaltpiste joggen, radeln und rollerbladen oder mit dem Kanu durch die Mangroven paddeln, sie können See- und Zugvögel beobachten oder auf den Piers angeln und unter Eichen auf dem Campingplatz übernachten.

„We are nature“, sagt Hugh, wir sind Natur. „Aber unsere Natur ist manikürt und verschönert.“ Pinellas County, diese Region um die Städte St. Petersburg und Clearwater, ist eine Halbinsel mit 26 Gemeinden, kilometerlangen weißen Sandstränden und über 20 vorgelagerten Inseln entlang dem Golf von Mexiko. Als die spanischen Seefahrer 1528 im Westen Floridas an Land gingen, nannten sie den Flecken punta pinal, Ort der Pinien. Heute lebt der Landstrich überwiegend vom Tourismus und vermarktet sich als „Florida’s Beach“. Der touristische Rohstoff, die Sonne, ist reichlich vorhanden. Sie scheint im Schnitt 361 Tage im Jahr – und geht obendrein meist spektakulär unter. Das ist jeden Abend ein Event, der von der Dachterrasse des Restaurants Hurricane (der letzte Hurrikan, lange ist es her, wütete hier 1921) oder von der populären Pier 60 in Clearwater prächtig zu beobachten ist.

Wir fahren nach Tarpon Springs, ganz im Norden von Pinellas County. Die Kleinstadt ist Klein-Hellas in Florida, mit griechisch-orthodoxer St.-Nicholas-Kirche und griechischer Schule, mit weiß-blau getünchten Restaurants und Kafenions, in denen die Männer Backgammon spielen. Im denkmalgeschützten Lagerhaus, zwischen Regalen voller gelber Naturschwämme, erzählt George Billiris Aufstieg und Fall von Tarpon Springs. Vor hundert Jahren wanderten die ersten Griechen ein, darunter sein Großvater, alles erfahrene Schwammtaucher: Vor der Golfküste Floridas waren reiche Naturschwammgründe entdeckt worden. Schon bald florierte die Schwammindustrie, in den Dreißiger- und Vierzigerjahren zählte die Taucherflotte 200 Boote, und Tarpon Springs nannte sich stolz „Welthauptstadt der Schwämme“. Doch später wurden viele Schwammbetten durch die red tide, eine rote Algenplage, kontaminiert und zerstört. Obendrein überschwemmten künstliche Billigschwämme den Markt.

Der 78-jährige Billiris ist Mr Sponge, der Herr der Schwämme. Jeder kennt George, jeder grüßt ihn, als wir am kleinen Fischerhafen entlang den Schwammdocks flanieren. „Heute haben wir gerade noch zwanzig Boote mit 30, 35 Tauchern“, klagt er. Es mangele an gut ausgebildeten Tauchern, die Arbeit sei hart, es gebe keinen festen Lohn, oft blieben die Boote wochenlang draußen. „Dabei ist die Nachfrage nach Naturschwämmen zwölfmal größer als das Angebot“, erklärt George.

Auf einer halbstündigen Bootsfahrt können wir das Schwammtauchen nacherleben. Mit Eisenhelm, schwerem orange-gelbem Gummianzug und einem Vierzack seilt sich Travis, der Demo-Taucher, ins Wasser ab, um wenig später unter Beifall mit einem porösen Klumpen im Netz wieder aufzutauchen. Jeder Naturschwamm, erklärt der Steuermann durchs Mikro, ist das Skelett eines wirbellosen Vielzellers. Auch der zum Autowaschen.

Wir sind nicht Mickey Mouse“, sagt George Billiris beim Flambieren des Saganaki-Käse im Restaurant Mama’s Greek Cuisine. Ein Seitenhieb auf die künstlichen Freizeitwelten Floridas wie Disney World bei Orlando und Bush Gardens in Tampa. Die Schwammindustrie, die Garnelenfischerei, der Tourismus, „bei uns ist alles echt“, sagt er. Nur dass jetzt die Tourismusentwickler Condominiums planen und bald Bulldozer Platz schaffen sollen für diese Kurzzeit-Appartements, das wurmt George mächtig. Bisher sei Tarpon Springs nämlich „die letzte Bastion hier an der Küste ohne Condos“. Heute Nachmittag wird der Stadtrat mit der Bürgermeisterin über „diese schlechte Sache“ tagen. Da trifft es sich gut, dass die Bürgermeisterin gleichzeitig auch George Billiris’ Frau ist.

Auch Ralph Heath ist ein Charismatiker, voller Energie und Engagement. Sein ganzes Herz gehört den Vögeln, kranken und verletzten Kreaturen. 20 bis 30 neue Patienten – Pelikane und Kormorane, Eulen, Spechte, Tauben und viele andere Vogelarten – landen täglich in seinem Suncoast Seabird Sanctuary in Indian Shores. Sie werden in der Vogelklinik, einem kleinen Gelände mit Käfigen in bester Strandlage, von ihm und seinen festen und freiwilligen Mitarbeitern so gut gehegt und gepflegt, dass 80 Prozent von ihnen geheilt und wieder in die Freiheit flattern können. Ralph, ein rundlicher 60-Jähriger mit lockigem Haar, führt uns an den Käfigen vorbei. Er scheint seine gefiederten Schützlinge alle persönlich zu kennen. Das ist Ginger, ein weißer Pelikan mit nur einem Auge, das ist Blue Jay, ein humpelnder Falke. Und hier in der geriatrischen Station, das ist Patty, sie ist schon etwa 30 und hat nur einen Flügel. Zeit für die Fütterung! Mit einem Eimer voller Sardinen und Heringe geht Ralph zum Strand. Sofort umschwärmen ihn mehrere Dutzend Pelikane.

Wie alles begann? Am 3. Dezember 1971 entdeckte der junge Ralph, der Zoologie studiert hatte, auf dem Highway einen angefahrenen Kormoran mit gebrochenem Flügel. Er nahm ihn mit und pflegte ihn gesund. Kurz darauf brachte man ihm eine verletzte Möwe, „meinen zweiten Vogel“. Sein Vater, von Beruf Chirurg, hatte ein Grundstück am Meer, flugs war die Non-Profit-Organisation namens Suncoast Seabird Sanctuary geboren, deren eine Million-Dollar-Jahresbudget sich nur aus Spenden speist. „Wir sind die einzige kostenlose Touristenattraktion in Florida“, erklärt der Klinikchef.

Inzwischen hat sich seine karitative Einrichtung herumgesprochen, und die Vögel kommen auch von weither angereist. Zum Beispiel die kleine verletzte Seeschwalbe, die eine reiche alte Lady aus North Carolina gefunden hatte. Kurzerhand charterte sie ein Privatflugzeug. „Eines Tages“, erzählt Ralph, „kamen zwei Piloten mit einem Käfig hier zu uns und sagten: ‚Hier ist Ihr Vogel!‘ “

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