: Freundliche Übernahme
ALTERNATIV WOHNEN Wohnraum kaufen, und zwar ohne Privateigentum zu schaffen: Das ist seit 1993 die Grundidee des Mietshäuser-Syndikats. Ein neues Konzept nutzt dafür das Vorkaufsrecht der Mieter
VON HANNES LINTSCHNIG
Das Mietshäuser-Syndikat will Immobilien dauerhaft dem Markt entziehen, indem es sie kauft. Ein Widerspruch? Nein. So sollen in erster Linie alternative Wohnprojekte gefördert werden, um die Privatisierung öffentlicher Immobilien und steigende Mieten zu stoppen. Die Häuser wurden bisher durch einen Solidarfonds finanziert, der nach dem ersten Hauskauf eingerichtet wurde. Nun hat das Syndikat sich etwas Neues überlegt: Die „Wegdamit GmbH“ will das Vorkaufsrecht nutzen, das Mieter im Falle des Verkaufs der Wohnung haben, und die Immobilien dann selbst übernehmen.
Mit „Wegdamit“ will das Syndikat gerade in Gegenden wie dem Hamburger Stadtteil St. Pauli, wo die Mieten und Immobilienpreise stetig steigen, bezahlbaren Wohnraum erhalten. Auf St. Pauli wirbt eine Initiative für das neue Konzept. „Weg“ steht für Wohnungseigentümergemeinschaft, bezieht sich also auf die Eigentümer der Immobilie. Eigentümer ist die GmbH, Gesellschafter ist das Syndikat und der von den Mietern gegründete Hausverein.
Rolf Weilert berät ehrenamtlich Syndikats-Projekte und wohnt selbst in einem Wohnprojekt des Mietshäuser-Syndikats. Wenn eine Mietwohnung in eine Eigentumswohnung umgewandelt wird, muss der Vermieter diese dem Mieter zunächst zum Kauf anbieten. Kann oder will der die Wohnung nicht kaufen, aber trotzdem weiterhin in ihr wohnen, kann ihm „Wegdamit“ dabei helfen.
Weilert nennt die GmbH eine „Cousine des Syndikats“, weil sie eigenständig ist, aber dennoch zum Syndikat gehört. Bei einem Wohnungspreis von beispielsweise 100.000 Euro werden 20.000 Euro benötigt, um den Rest als Kredit von einer Bank aufzunehmen. Diesen Kredit nimmt die GmbH als Rechtsform auf, der einzige Gesellschafter ist ein Verein. Es gibt wiederum verschiedene Wege, um an die erforderlichen 20.000 Euro Eigenkapital zu kommen. Durch direkte Kredite von Freunden, Bürgschaften oder Gelder von Anlegern. Die Mietpreise bleiben anschließend unverändert. Für Weilert liegt der entscheidende Vorteil darin, dass niemand aus den Immobilien Profit schöpfen kann.
Bisher wurde mit dem neuen Konzept allerdings nur eine einzige Wohnung im Hamburger Schanzenviertel gekauft, in dem die Immobilienpreise immer weiter steigen. Bundesweit haben sich aber schon 72 Hausprojekte und 23 Projektinitiativen der Rechtsform des in Freiburg entstandenen Mietshäuser-Syndikats angeschlossen. Hier werden Immobilien über einen Solidarfonds finanziert, in den jene einzahlen, die durch die Hilfe des Syndikats ihren Wohnraum behalten konnten und deren Miete dadurch sogar gesunken ist.
Das Mietshäuser-Syndikat beteiligt sich an bestehenden oder geplanten Wohnprojekten, berät Interessenten vor allem in finanziellen Fragen und hilft ihnen, für ihr Vorhaben Geld und Kredite zu beschaffen. Wichtig ist, dass Wohngruppen anschließend bereit sind, in einen gemeinsamen Fonds einzuzahlen, der für weitere Projekte zur Verfügung steht.
Das Konzept funktioniert nicht nur bei Wohnraum. Ein anderes Beispiel ist der „Handwerkerhof Ottensen“ in Hamburg. Das Projekt soll ab Frühjahr 2014 Raum für 20 beteiligte Kleingewerbebetriebe schaffen. Eine Zimmerei und Polsterei, Sanitärbetriebe, Architekten und Anwälte wollen sich ansiedeln.
Hans von Bülow ist Projektberater des neuen Ottenser Projektes und wird sein Büro, von dem aus er Massivholz vertreibt, im dritten Stock des Gebäudes einrichten. „Wir hoffen, dass sich zwischen den Betrieben Synergien entwickeln und wir zusammen arbeiten können. Schließlich werden Planer und Ausführer in einem Haus sein“, sagt er.
Der Handwerkerhof sei aus einer „blanken Notwendigkeit“ heraus entstanden, erklärt Bülow. Denn einige Betriebe fielen der Verdrängung durch steigende Mietpreise im Stadtteil zum Opfer. Bis der Handwerkerhof fertig ist, müssen sie allerdings noch ein bisschen durchhalten.
Beim Handwerkerhof erfüllt das Syndikat eine Wächterfunktion. Vor allem, um künftig auch hier den Verkauf der Immobilie und das Entstehen von privatem Eigentum zu verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen