: „Die Aufholjagd der Unis beginnt“
Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) will es nicht hinnehmen, dass Schüler und Studierende in Nordrhein-Westfalen schlechtere Bildungschancen haben als Kinder aus dem Süden. Föderalismusreform darf keinesfalls zu Kleinstaaterei führen
INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLERUND SEBASTIAN SEDLMAYR
taz: Herr Pinkwart, ist Nordrhein-Westfalen dazu verdammt, auf ewig ein Land für Kohle, Stahl und Malocher zu bleiben?
Andreas Pinkwart: Das ist es natürlich längst nicht mehr, aber der Strukturwandel ist noch lange nicht abgeschlossen. Vor allem müssen wir raus aus den Steinkohlesubventionen. Wir müssen in helle Köpfe investieren statt in dunkle Schächte.
Das ist auch nötig. Bei der Vorausscheidung zur Exzellenzinitiative hat Ihr Bundesland ziemlich schlecht abgeschnitten. Gerade mal ein Kandidat, die RWTH Aachen, darf sich um Zuschüsse als ganze Eite-Uni bewerben, nur vier von 41 Exzellenzclustern stammen aus NRW.
Noch ist nichts endgültig entschieden. Der Wettbewerb um den Titel Elite-Unis endet erst im Oktober. Aber Sie haben Recht. Die Ergebnisse zeigen, dass wir in Nordrhein-Westfalen zwar die dichteste, aber bei weitem nicht die beste Hochschullandschaft haben. Das ist ein weiterer Beweis für die Versäumnisse in der Hochschulpolitik der vergangenen Jahrzehnte.
Abgesahnt haben wieder die Südstaatler. Sieben von zehn heißen Anwärtern auf den Elitezuschuss von bis zu 50 Millionen Euro pro Jahr kommen aus Baden-Württemberg und Bayern.
Wir haben unsere Aufholjagd begonnen. Das neue Hochschulfreiheitsgesetz bringt NRW das mit Abstand freiheitlichste Hochschulrecht. Wir haben den Hochschulen in NRW auch im Haushalt Priorität eingeräumt. Allerdings wird es ein riesiger Kraftakt, den Vorsprung der süddeutschen Länder auszugleichen.
Es ist nicht das erste Mal, dass das bevölkerungsreichste Land im Bildungsvergleich mit dem Süden schlecht abschneidet. Ist das überhaupt aufzuholen?
Wir sehen immer wieder, dass ein Turnaround funktionieren kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der in Bayern zur Welt kommt, deutlich bessere Bildungschancen hat als jemand, der bei uns hier an Rhein und Ruhr geboren wird. NRW hat ja auch beim Schulvergleich Pisa dramatisch schlecht angeschnitten. Ein 15-Jähriger, der hier zur Schule geht, liegt ein Jahr hinter den Gleichaltrigen aus Bayern zurück. Das werde ich nicht hinnehmen. Für mich ist das Ziel: Wer hier die Schulen und Hochschulen verlässt, muss auf mittlere Sicht die gleichen Chancen haben wie im Süden.
Das hat die FDP hat schon in den letzten Wahlkämpfen gesagt und viele Bildungsversprechen abgegeben. Aber was haben Sie geleistet?
Wir haben in NRW gemeinsam mit der CDU seit dem Regierungswechsel 1.000 neue Lehrer eingestellt, neue Schul- und Hochschulgesetze sind auf dem Weg, wir geben trotz schwierigster Haushaltslage mehr für Schule und Hochschule aus als Rot-Grün im Vorjahr. Und wir geben noch mehr Geld für Bildung aus, wenn wir die Investitionen in die Vergangenheit stoppen.
Was heißt das?
Wir setzen uns für das Auslaufen des subventionierten Bergbaus in einer Ausstiegskonferenz ein. Und wir fahren bis zum Jahr 2010 den Landesanteil um 750 Millionen Euro stärker zurück, als das von der Vorgängerregierung vorgesehen war.
Was wollen Sie mit dem Geld anstellen?
Das Geld geht zum Teil in die Tilgung der exorbitanten Schulden, die das Land hat, zum Teil in den Bildungsbereich.
Wird der Etat Ihres Wissenschaftsministeriums sinken?
Nein, er bleibt gegenüber 2005 gleich. Allerdings steuern wir um. Die Hochschulen bekommen mehr, die Forschungsausgaben steigen, dafür kürzen wir im Bereich der Projekt- und Programmbereiche …
… und Sie beteiligen die Studierenden über Studiengebühren an der Finanzierung der Unis. Sie erschweren den Weg zu höherer Bildung, anstatt ihn zu erleichtern.
Das sehe ich nicht so. Die Studienbeiträge werden Studierende zu einer notwendigen Verhaltensänderung bewegen: Bildung muss als knappes Gut begriffen werden, mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss. Zugleich verbessern die Zusatzeinnahmen von 320 Millionen Euro die Lehre. Dadurch wird das Studium planbarer, kürzer und besser.
Können Sie in dieser Mangelsituation eigentlich an dem neuen, so genannten Konkurrenzföderalismus vollwertig teilnehmen?
Warum nicht? Ich bin als Liberaler nicht für Gleichmacherei. Albert Einstein sagte: Es ist Wahnsinn, wenn man immer das Gleiche macht – und dennoch darauf hofft, hinterher könne was anderes rauskommen. Ich bin überzeugt, dass wir schon bald Fortschritte erzielen werden.
Die geplante Föderalismusreform macht Ihre Aufholjagd dennoch nicht leichter. Finanzschwache Länder wie Nordrhein-Westfalen werden nach den neuen föderalen Regeln benachteiligt.
Der Bund ist ja nicht völlig aus der Pflicht, etwa beim Hochschulbau.
Pardon, das ist kein Zugewinn.
Ich hätte mir gewünscht, dass Berlin mehr als 70 Prozent seiner bisherigen Mittel beim Hochschulbau pauschal an die Länder durchreicht. Ich hätte mir auch einen günstigeren Verteilungsschlüssel vorstellen können als den gefundenen. Wir haben versucht, das im Schlussspurt rückgängig zu machen. Es hat nicht gereicht.
Wie beurteilen Sie den absehbaren Neuzuschnitt der Bund-Länder-Kompetenzen? Als Wissensminister können Sie doch nicht damit zufrieden sein, dass die Vetobefugnisse des Bundesrats ausgerechnet zu Lasten der Bildungs- und Wissenschaftspolitik zurückgenommen werden.
Die Länder wollten mehr Verantwortung, wir von der FDP wünschten uns mehr Wettbewerb, insofern begrüße ich das. Wir müssen aber die Zahl der Gremien reduzieren, wie etwa die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Ich schlage vor, sie abzuschaffen. Es gibt zu viele Gremien in diesem Land, die permanent tagen, aber wenig bringen. Die Länder müssen allerdings die neuen Herausforderungen in der Kultusministerkonferenz auch annehmen.
Sie sind doch von der FDP? Wollte Ihre Partei nicht gerade noch die KMK abschaffen?
Die KMK muss im Gegenteil an Bedeutung gewinnen, indem sie schneller entscheidet.
Das hilft dem an Hochschulen reichen, aber finanziell klammen Nordrhein-Westfalen kaum weiter. Dem Bund soll es ja regelrecht verboten werden, sich künftig finanziell an Wissensprogrammen wie der Ganztagsschulinitiative oder der für Exzellenzunis zu beteiligen.
So apodiktisch sehe ich das nicht. Ich baue darauf, dass der Bund auch weiterhin die Möglichkeit hat, sich finanziell zu beteiligen. Das gilt für die Forschungsförderung genauso wie für die steigenden Studierendenzahlen. Ich werde mich daher dafür einsetzen, dass die Mithilfe des Bundes auch künftig möglich sein wird.
Der Bund soll sich also einerseits heraushalten, aber weiter Geld geben. Woher kommt denn eigentlich die Vorfreude des FDPlers Pinkwart auf die Sitzungen in der von der FDP totgesagten Kultusministerrunde?
Wenn der Bund seine Zuständigkeiten abgibt, werden die Länder sich notgedrungen stärker koordinieren müssen. Zudem ist meine Erfahrung, dass man eine Menge erreichen kann, wenn man mit dem richtigen Geist in die Veranstaltung geht.
Aha.
Ich habe in meiner kurzen Zeit in der KMK das erreichen können, was ich für notwendig hielt.
Ist es nicht ein Rätsel, dass ein Land wie die Bundesrepublik seinen wichtigsten Rohstoffsektor, die Wissensproduktion, an 16 Bundesländer abgeben soll, die in der KMK kaum Ergebnisse zustande bekommen?
Die USA, deren Hochschulen ja nicht ganz erfolglos sind, schaffen das auch. Die kennen dieserart föderale Abstimmungen gar nicht. Das liegt daran, dass es dort autonome Hochschulen gibt. Diesen Weg gehen wir in NRW auch. Und auch die Arbeitsweise der Kultusminister in ihrer ständigen Konferenz muss sich ändern. Zum Beispiel durch Mehrheitsentscheidungen, gegen die ich überhaupt nichts hätte.
Würden Sie sich als Repräsentant eines stolzen und großen Landes von der Mehrheit anderer Bundesländer vorschreiben lassen, was Sie hier in Düsseldorf zu machen haben?
Bei wesentlichen Fragen der Länderkoordination wie der Anerkennung von Bildungsabschlüssen hielte ich Mehrheitsentscheidungen für sinnvoll. Die Akzeptanz der Verfassungsänderung wird entscheidend davon abhängen, ob die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden.
Soll das heißen, dass Sie sich auch eine Bundeslösung vorstellen können, wenn die KMK ihrer gewachsenen Rolle nicht gerecht wird?
Wir begleiten die Föderalismusreform konstruktiv. Dieser Prozess ist auch zum Erfolg verdammt, wenn wir in der Bildung vorankommen wollen. Das bedeutet, dass wir die Situation genau beobachten werden. Denn was auf jeden Fall nicht passieren darf, ist eine organisierte Selbstblockade durch Kleinstaaterei. Bildungsföderalismus darf kein Flickenteppich werden.