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Atlantis kurz vorm Absaufen

AUS DUISBURG LUTZ DEBUS

Clara dreht am Rad. Langsam setzt sich ein Förderband in Bewegung. Becher füllen sich mit Wasser, wandern bis zur Decke des Raumes, schütten dort ihre Fracht in eine Zinkwanne. Wenn die voll ist, so erklärt ein Junge, kippt die Wanne das ganze Wasser wieder aus. Je voller die Wanne wird, umso mehr verlagert sie ihren Schwerpunkt. Allerdings spritzt aus einem kleinen Loch in dem Bottich fortwährend ein Wasserstrahl. Claras Mühen sind ein Wettlauf gegen die Zeit. Da verliert Claras Vater die Geduld. Er dreht und dreht und dreht. Der Pegel steigt. Das Gesicht des Mannes verfärbt sich von Rot ins Violette. Irgendwann kann er nicht mehr. Seine ältere Tochter Hannah übernimmt den Job. Nach zwei weiteren Umdrehungen kippt die Wanne.

Die Wasserlandschaft ist eine der Attraktionen des Kindermuseums Atlantis in der Duisburger Altstadt. Direkt an einem Hafenbecken gelegen, ist hier im Januar 2004 in einem alten Getreidespeicher auf 2.500 Quadratmetern eine Erlebniswelt für Kinder entstanden. Doch nach nur zwei Jahren droht das Aus. Die „Stiftung Deutsches Kindermuseum“, die Atlantis betreibt, hat Insolvenz angemeldet. Wenn bis zum 1. März keine positive Wirtschaftlichkeitsprognose vorliege, so Geschäftsführer Heiner Hollmann, müsse das Museum schließen. Noch aber ist er zuversichtlich, Sponsoren zu finden.

Angefangen hatte alles ganz hoffnungsvoll. 1996 gründete sich ein gemeinnütziger Verein, der 2003 in eine Stiftung umgewandelt wurde. Im Eröffnungsjahr 2004 kamen 250.000 Besucher nach Duisburg. Leider habe die damalige Geschäftsführung am Anfang zu knapp kalkuliert, bedauert Heiner Hollmann. Es wurden nicht genügend Rücklagen gebildet. Nach saisonal bedingten Besucherrückgängen in den Monaten Oktober, November und Dezember habe man sogar Personal entlassen müssen. Finanzielle Unterstützung von der Stadt könne man nicht erwarten. Schließlich herrscht in Duisburg eine Haushaltssperre. Hoffnung habe man in den Bereich Merchandising gesetzt. Pädagogisch wertvolle Holzspiele und auch bedruckte Baseballkappen sollten im Museumsshop angeboten werden, so Hollmann. Doch die Firma, die diese Aufgabe übernommen hat, sei selbst seit kurzem insolvent.

Auf den ersten Blick wirkt das Kindermuseum wie ein Indoor-Abenteuerspielplatz. Überall kann gepumpt und geschöpft werden. Aber neben den teilweise kuriosen Spielgeräten sind Schilder angebracht, die Geschichte und Funktionsweise des Objektes erklären. Die Erfindung eines Tüftlers der Antike ist zu bestaunen: Die Archimedische Schraube fördert Wasser im Handumdrehen bergauf.

Weltweite Bewegung

Neben dem riesigen Planschbecken ist ein altes Segelschiff auf Grund gelaufen. Durch ein Loch im Rumpf krabbeln Kinder ins Innere. Die Zwischendecks sind gut ein Meter hoch. Für Clara kein Problem. Auch die zehnjährige Hannah kommt gebückt gut voran. Ihr Vater jedoch stößt sich ständig den Kopf. An der Schiffswand sind Seile in einen Bilderrahmen geklebt. Was das denn solle, will Clara wissen. „Das sind verschiedene Seemannsknoten“, antwortet ihr Vater. Dazu die ältere Tochter: „Warum Seemannsknoten? Gibt‘s keine Seefrauen?“

Die Kletterpartie in den Mastkorb in zwölf Metern Höhe schenkt sich der Papa. Mühsam kämpft er sich den Weg frei zum Ausgang des Schiffes. Hannah aber ist schon auf dem Weg nach ganz oben. Vom Mastkorb gelangt sie direkt in die dritte Etage der Erlebniswelt. Ihre kleine Schwester hat sie im Schlepptau. Schnell ziehen sich die beiden ihre Schuhe aus und laufen in einen blauen Raum. Eine Videokamera ist auf sie gerichtet. Auf einem Bildschirm entdecken sie sich: zwei zierliche Mädchen inmitten von mannshohen Zierfischen. Begeistert versuchen die Mädchen, die Fische zu kitzeln, auf ihnen zu reiten. Dabei springen sie in die Luft, wälzen sich auf dem Boden, kichern. Nach zehn Minuten im computeranimierten Aquarium stiefeln sie weiter. Der Vater hetzt hinterher. In ein Mikrofon singt Clara ihren liebsten Hit: „Durch den Monsun“. Ein Augenblick später dringt aus den nachgebildeten Lüftungsrohren eines Ozeanriesen das Echo. Die Fünfjährige staunt mit weit aufgerissenen Augen.

Heilloses Gedränge herrscht an diesem Sonntagnachmittag. Vor der Kasse bildet sich eine Schlange, die bis auf die Straße reicht. In dem Restaurant, das dem Museum angeschlossen ist, drängen sich die Hungrigen an den Tischen. Auf dem Parkplatz stehen Autos mit Kennzeichen aus ganz NRW. Warum muss so ein Publikumsmagnet schließen? Ein Museum mit diesem Aufwand, erklärt Geschäftsführer Hollmann, könne sich nicht allein von Eintrittsgeldern finanzieren. Besonders paradox hat sich auch der PISA-Schock ausgewirkt. Statt diese erlebnisorientierte neue Form des Lernens zu fördern, hat es die Schulverwaltung des Landes Lehrern eher schwerer gemacht, Exkursionen durchzuführen. Gebüffelt werden soll wieder nur im Klassenraum. Unterrichtsausfälle wegen Museumsbesuche seien unverantwortlich, heißt es.

Dabei ist Atlantis keine singuläre Erscheinung, sondern Teil einer weltweiten Bewegung. Die meisten Kindermuseen gibt es in den USA. Dort ist auch die Finanzierung offensichtlich kein Problem. Große Firmen sponsern großzügig und investieren so in den Nachwuchs. Dort habe man erkannt, so Hollmann, dass eine Schultafel nicht die ganze komplizierter werdende Welt abbilden kann. In der Volksrepublik China sei ein Kindermuseum geplant, das eine Grundfläche von 50.000 Quadratmeter haben soll. In Europa gibt es etwa 60 Häuser, Tendenz steigend. Insofern kann sich Hollmann nicht vorstellen, dass Atlantis tatsächlich am 28. Februar schließt.

An einer gefliesten Wand stehen Toilette, Dusche, Badewanne und Waschbecken. Ohne Trennwand und Tür. Wieder mit einer Handpumpe werden Behälter gefüllt, die die sanitären Einrichtungen mit Wasser versorgen. So macht ein Vollbad auf einmal mehr Arbeit als eine Dusche. 20 Liter misst der Kanister für den, der beim Zähneputzen das Wasser laufen lässt. Der Sparsamere braucht nur einen halben Liter. Hannah ist beeindruckt und gelobt Besserung.

Miniaturindustrie

Dann entdeckt sie eine Maschine, die Tennisbälle schießt. Drei Jungs drehen an einer Kurbel. Die Bälle fliegen durch die Gegend. Nur landen sie nicht in dem dafür vorgesehenen Behälter. Irgendwann haben die Jungs keine Luft und keine Lust mehr. Kurz bevor das mächtige Schwungrad zur Ruhe kommt, landet ein Ball im Kasten. Dies hat Hannah beobachtet, dreht nun langsam an der Kurbel. Nach kurzer Zeit sind alle Bälle in der Kiste. Die Jungs staunen.

Inzwischen schiebt Clara eine Lore über die Schienen. Sie lädt die schweren Getreidesäcke aus. Mit einem Rädchen befördert sie das Korn in den Speicher. Von dort geht es mit einem Band zur Mühle. Hannah bedient das Mahlwerk. Das Arrangement ist eine Miniatur der Schwerindustrie von einst. Tatsächlich wurde vor 100 Jahren im alten Hafen von Duisburg Getreide gelöscht. Vor dem Museum, direkt am Hafenbecken, rostet noch die Vorrichtung. Doch all die Hinweisschilder interessieren die beiden sichtlich geschafften Kinder nicht mehr. In einem abgedunkelten Raum baumeln sie in Hängematten, die an stilisierten Bäumen aufgehängt sind. Hannah kann nicht verstehen, dass dieser „Spielplatz“ wohl bald geschlossen wird. Vor Wochen war sie mit der Schule in einem Museum voller Bilder. In den leeren Hallen war es stinklangweilig. Hier dagegen sei echt was los.

Öffnungszeiten: Mo-Fr.: 9-17.30 Uhr, Sa/So: 10-18.00 Uhr. Infos zu Spendenkonten: www.kindermuseum.de

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