„Es sieht eher düster aus“

Thomas Fues, UNO-Experte am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn, über Eine-Welt-Politik in Nordrhein-Westfalen und das Eigeninteresse an einer gerechteren Weltwirtschaft

INTERVIEWSEBASTIAN SEDLMAYR

taz: Herr Fues, heute beginnt in Iserlohn eine „Strategietagung“ zur Umsetzung der Millenniumsziele. Der zuständige CDU-Minister Armin Laschet befindet sich nicht auf der Rednerliste. Wird das Thema im NRW-Kabinett zu tief gehängt?

Thomas Fues: Das sehe ich nicht. Ich bewerte den Beginn der Amtszeit von Minister Laschet als positiv. Ich finde, er ist kompetent und engagiert. Mir gefällt die Verknüpfung des Eine-Welt-Themas mit dem Bereich Integration/Migration in einem Ministerium.

An der Tagung nehmen aber – jedenfalls auf den Podien – fast nur rot-grüne Vertreter teil. Woran liegt das?

Es ist ja bekannt, dass die FDP eine sehr kritische Haltung gegenüber der Eine-Welt-Politik einnimmt. Von Seiten des Koalitionspartners CDU war bisher aber immer Unterstützung zu spüren. Das gesellschaftliche Engagement in Nordrhein-Westfalen ist so stark, dass sich dem keine Partei entziehen kann. Wir haben hier eine ganz dichte und hervorragend entwickelte zivilgesellschaftliche Landschaft inklusive der kirchlichen Hilfswerke. Nordrhein-Westfalen ist das Fairhandelsland Nummer Eins in Deutschland. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Bonn der einzige Standort der Vereinten Nationen in Deutschland ist.

Der Staat zieht sich aus allen Bereichen zurück – gerade unter der amtierenden Landesregierung. Warum sollte das Land ausgerechnet in der Entwicklungspolitik mehr Mittel aufbringen, wie es die Millenniumsziele vorgeben?

Die derzeitigen Kürzungen im NRW-Haushalt sind noch nachvollziehbar im Licht des objektiv vorhandenen Spardrucks. Wenn jetzt aber noch weiter gekürzt würde, wären die Programme in ihrer Substanz gefährdet. NRW kann sich das nicht leisten. Wir sind ein stark exportorientiertes Land. Es gibt ein klares Interesse daran, die Globalisierung zu gestalten und Stabilität und Wachstum auch in den Ländern des Südens sicherzustellen, weil sich daraus langfristige Exportchancen ergeben und sich unsere Position in der Weltwirtschaft wahren lässt.

Das ist die Lobbyistenargumentation. Aber auch am aktuellen Streit um die Mohammed-Karikaturen zeigt sich deutlich, dass Nord und Süd sich derzeit eher entfremden als aufeinander zubewegen.

Diese Gefahr sehe ich auch. Deutschland kann sich nicht als Wohlstandsinsel schützen in einer Welt, in der die sozialen und kulturellen Konflikte wachsen. Wir sind unmittelbar davon abhängig, dass es einen interkulturellen Dialog und einen globalen Sozialausgleich gibt. Das begründet eine zusätzliche Notwendigkeit für die öffentlichen Haushalte und die Landesregierung, sich hier zu engagieren. Ich weiß, das ist nicht einfach, weil die Stimmung in der Bevölkerung im Augenblick eher auf Abschottung orientiert ist. Aber wir haben in der globalisierten Welt nur dann eine Chance, wenn wir als NRW, als Bundesrepublik, als Europa uns als verhandlungsbereiter Partner in der Welt präsentieren.

Was kann NRW konkret tun, um die Millenniumsziele zu erreichen?

Die entwicklungspolitische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit muss weiter ausgebaut werden. Außerdem geht es darum, die Außenbeziehungen von NRW neu zu strukturieren und ein optimales Zusammenwirken von Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik zu gewährleisten. Ich hoffe, dass die Landesregierung hierfür in nächster Zeit ein kohärentes Gesamtkonzept vorlegen wird.

Aber von Konzepten wird niemand satt. Was muss sich konkret ändern, damit Hunger und Armut beseitigt werden?

Deutschland hat sich im EU-Rahmen dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2010 die Entwicklungshilfe von derzeit 0,28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 0,51 Prozent zu steigern. Auch die Landesregierung ist in diese Verpflichtung mit einbezogen und sollte ihre Ausgaben deutlich erhöhen.

Welche Defizite gibt es denn hier im Land?

Soziale Entbehrungen, sozialen Ausschluss und Umweltprobleme gibt es auch bei uns. Zum Beispiel ist die medizinische Versorgung von Flüchtlingen nicht in allen Fällen gesichert. Die Wirtschaft in NRW ist nicht zukunftsfähig wegen des großen Anteils der fossilen Energiequellen. Auch die Rolle des fairen Handels ließe sich noch deutlich steigern, zum Beispiel in den Ministerien und Landesbehörden selbst. Da stehen wir noch am Anfang.

Welche Chancen sehen Sie zur Verwirklichung der Millenniumsziele bis 2015?

Das ist eine sehr ehrgeizige Zielsetzung. Im Augenblick sieht es eher düster aus. Wenn sich die bisherigen Trends fortsetzen, wird beispielsweise Afrika südlich der Sahara die Ziele nicht verwirklichen. Das ist eine bedrohliche Entwicklung, auch unter dem Aspekt, dass sich dann möglicherweise große Enttäuschung in den Industrieländern breit macht und die Bereitschaft zur internationalen Solidarität zurückgeht.