Aufpasser des Aufstands

ISTANBUL Sagenumwoben waren sie schon immer. In den Tagen des Protests sind die Besiktas-Fans endgültig zu Volkshelden avanciert

■ Der Verein: Besiktas ist ein Sportverein im gleichnamigen Istanbuler Stadtteil. Neben Galatasaray und Fenerbahce gehört der „Besiktas Jimnastik Kulübü“ zu den erfolgreichsten türkischen Fußballmannschaften. Gegründet wurde der Klub im Jahr 1903, die Fußballabteilung wurde 1911 ins Leben gerufen. Er ist damit nach eigenen Angaben der älteste registrierte Sportverein der Türkei.

■ Die Erfolge: Besiktas spielt seit der Gründung im Jahr 1959 in der Süper Lig, der höchsten türkischen Spielklasse im Fußball. Dreizehnmal gewann der Verein die türkische Meisterschaft und neunmal den Landespokal. Bekannt wurde Besiktas in Deutschland vor allem durch das Engagement von Trainer Christoph Daum, der mit dem Klub in den 90er Jahren Meisterschaft und Pokal holte.

■ Das Stadion: Die „schwarzen Adler“, wie die Anhänger ihre Mannschaft liebevoll nennen, absolvieren ihre Heimspiele direkt am Bosporus, im Zentrum der Stadt, nur wenige hundert Meter vom Taksimplatz entfernt. Das Stadion war bis zuletzt nach dem kemalistischen Politiker Ismet Inönü benannt, dem zweiten Präsidenten der Republik Türkei. Nach der abgelaufenen Saison soll es durch eine neue, größere Arena ersetzt werden.

AUS ISTANBUL DENIZ YÜCEL

Eigentlich könnte man Taylan Kartal als Jungen aus gutem Haus bezeichnen. Er ist 29 Jahre alt, Vater und Mutter haben studiert, beide arbeiten, der Großvater war Offizier in der türkischen Armee. Gemäßigte Mittelschicht. Kemalistisch. Die Ereignisse der vergangenen Tagen und Wochen haben Taylan Kartal aber zu einem anderen gemacht.

Seit Beginn des Aufstands in Istanbul und anderen Teilen der Türkei ist er arbeitslos. Er hat seinen Job in einem Maklerbüro geschmissen, weil sein Arbeitgeber im Ruf steht, der Regierungspartei AKP nahezustehen. Er hat sich viel Zeit genommen, um seine fristlose Kündigung zu begründen. Die Vertragsstrafe von umgerechnet 600 Euro hat Taylan Kartal in Kauf genommen. Jetzt unterstützen ihn Verwandte und Freunde.

Kartal ist Fan des Istanbuler Fußballklubs Beşiktaş und er gehört der Ultravereinigung Çarsi an. Einer Vereinigung, die manche als Schutzmacht des Protests bezeichnet haben, während die Polizei das Camp am Gezi-Park angriff. Eine Gruppe auch, deren Mitglieder der Staat teilweise als „kriminelle Vereinigung“ betrachten möchte. Mit diesem Vorwurf sind am vergangenen Wochenende einige von Taylan Kartals Ultra-Kumpels festgenommen worden. Es hat auch damit zu tun, dass Taylan Kartal in Wirklichkeit anders heißt und sich für diesen Text nicht fotografieren lassen will.

„Der Gezi-Park wurde wieder dem Volk übergeben“, meldete der türkische Fernsehsender NTV Anfang voriger Woche. „Derzeit wird es niemandem gestattet, den Park zu betreten.“ Sieben Tage nach der gewaltsamen Räumung bewacht weiterhin ein großes Polizeiaufgebot den Park. Auch der angrenzende Taksimplatz wirkt wie ein Truppenübungsgelände. Schwer bewaffnete Sondereinsatzkommandos haben Stellung bezogen.

„Die führen sich auf, als seien sie eine Besatzungsmacht“, sagt Kartal. Er hat sich am Taksimplatz und in seinem Viertel Beşiktaş an den Barrikadenkämpfen beteiligt und zehn Tage lang im Gezi-Park gezeltet. Doch auch für ihn ist der Ausnahmezustand vorläufig beendet.

An diesem Donnerstagnachmittag läuft er über den Taksimplatz, weil er Behördengänge zu erledigen hat. Taylan Kartal ist nicht allzu groß, aber muskulös. Er wirkt wie jemand, der stets die Ruhe bewahren kann, sich aber auch zu verteidigen weiß. Einer, den man in brenzligen Situationen gern an seiner Seite hat. Kartal lacht viel, seine Stimme ist rauchig, und wenn er etwas erklärt, legt er gern kleine Pausen ein, in denen er seinen Zuhörer freundlich anblickt. Dann sieht man die dunklen Ränder um seine Augen noch deutlicher. Er ist erschöpft.

„Ich erinnere mich noch sehr genau an die Kämpfe, die Organisierung im Park, die Solidarität, die dort herrschte“, sagt er und legt wieder eine kleine Pause ein. „Aber ich merke auch, wie ich Tage und Ereignisse durcheinanderbringe. Seit einer Woche denke ich: Ich muss aufschreiben, was passiert ist, solange die Erinnerungen noch frisch sind.“

Rund um den Taksimplatz ist der Kampf um Erinnerungen schon beendet. Gleich nach der Erstürmung des Gezi-Parks am vergangenen Samstag wurden all die Graffitis in der Umgebung übertüncht, die vom Witz und der Freude der Bewegung zeugten. So, als wollte jemand sagen: Es ist nichts passiert.

„Es ist aber passiert“, sagt Kartal. „Und wir haben gewonnen.“ Er sagt das nicht triumphierend, aber bar jeden Zweifels. „Meine Generation hat ihre Lethargie abgelegt. Wir, die wir nie über Politik geredet haben, sprechen plötzlich mit wildfremden Menschen über Politik. Wir hören einander zu, wir können tolerieren, wenn andere Leute andere Meinungen haben. Wir standen zusammen im Gasnebel, deshalb begegnen wir uns mit Respekt. Egal, was aus dieser Bewegung wird: Die Regierung kann nie wieder darauf vertrauen, dass sie tun und lassen kann, was sie will. Künftig wird sie sich bei jedem Vorhaben fragen: Was wird das Volk dazu sagen? Ja, wir haben gewonnen.“

Er ist sich sicher, dass sie gewonnen haben

Dieses gesellschaftliche Gespräch, das im Gezi-Park begann, setzt sich seit einigen Tagen in anderen Parks der Stadt, aber auch in Parks in Ankara, Izmir oder Eskisehir fort. Menschen treffen sich Abend für Abend, um sich darüber auszutauschen, wie sie weitermachen. Einige wollen mit einer „Çapulcu-Partei“, einer „Partei der Marodeure“, bei den Kommunalwahlen antreten, andere lehnen es strikt ab, sich so zu organisieren. Aber irgendeine Form der Institutionalisierung wollen alle. Als Nächstes will man sich auf ein gemeinsames Manifest verständigen. „Es ist gut, dass die Straßenkämpfe vorbei sind und wir jetzt reden statt zu kämpfen. Das ist ein ziviler Aufstand, er muss zivile Bahnen finden“, meint Kartal.

Donnerstagabend im Abbasaga-Park im Stadtteil Beşiktaş: Das vierte Treffen in Folge, wieder sind mehr Menschen gekommen als am Vorabend, 3.000 bis 4.000 dürften es sein, weit mehr, als auf den Steinstufen des Amphitheaters Platz finden. Die Soundanlage ist so laut, dass die Menschen, die in kleineren Runden zusammensitzen, sich nur mit größter Mühe verständigen können. Fliegende Händler verkaufen Getränke und Snacks, ein paar linke Zeitungen haben Stände eröffnet, und am Gepäck neben den Sitzenden sieht man: Einige Leute haben hier übernachtet. Von Tag zu Tag erinnert Abbasaga mehr an den Gezi-Park.

Aber Kartal findet das nicht gut. Nicht nur, weil das Campieren der Polizei eine Begründung geben könnte, den Park zu stürmen. „Sondern weil die Menschen aus dem Viertel diesen Park nutzen. Ich will nicht, dass sie sich belästigt fühlen.“

Auch Taylan Kartal ist ein Junge aus dem Viertel. Das ist für ihn noch wichtiger als alles andere: Beşiktaş-Fan, Çarsi-Mitglied, undogmatischer Linker, undogmatischer Kemalist. „Ich bin hier nicht als Çarsi-Mitglied, sondern als jemand aus dem Viertel“, betont er.

Es ist ein ganz besonderes Viertel: Der nördlich des Taksimplatzes gelegene Bezirk ist eine säkulare Hochburg, einer, der nicht von der AKP regiert wird. In 36 der 39 Stadtteile von Istanbul ist sie an der Macht. Während des Kampfs um den Gezi-Park war hier das ganze Viertel auf der Straße. Und nirgends ist es lauter, wenn abends um neun auf Pfannen und Töpfen klopfend protestiert wird.

Und es gibt in Beşiktaş Leute, denen die Menschen zutrauen, sie vor etwaigen Übergriffen zu beschützen: Çarsi, die Ultras von Beşiktaş.

Sagenumwoben waren sie schon immer. In den Tagen des Aufstands sind die Beşiktaş-Fans endgültig zu Volkshelden avanciert.

Çarsi-Leute waren dabei, als es darum ging, in den ersten Tagen der Parkbesetzung die fliegenden Händler zu vertreiben – in der „Republik Gezi“ sollte eigentlich kein Geld zählen –, Streitereien zwischen den miteinander verfeindeten Gruppen zu schlichten und für die Sicherheit aller zu sorgen. Sie waren es, die dann bei den Straßenkämpfen am Taksim und später in ihrem eigenen Stadtteil an vorderster Front kämpften. Die nach der ersten Räumung des Gezi-Parks die Polizeiketten sprengten und den Platz zurückeroberten.

Und es waren auch Çarsi-Leute, die am Dolmabahçepalast einen Bagger kaperten, auf die Wasserwerfer zufuhren und diese verdrängten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hätte es aus seinem Arbeitszimmer verfolgen können, das in einem Seitenflügel der genau zwischen dem Taksimplatz und dem Zentrum von Beşiktaş gelegenen letzten Residenz des osmanischen Sultans liegt.

Im Laufe des Protests begann den Ultras ihr Ruf vorauszueilen. Unter den Menschen, die am Abend der Räumung des Gezi-Parks im Divan-Hotel eingeschlossen waren, brach lauter Jubel aus, als sich die Nachricht verbreitete, Çarsi-Leute seien auf dem Weg, um sie rauszuprügeln.

Aber die Beşiktaş-Fans waren nicht nur Frontkämpfer und Aufpasser. Im Gezi-Park war ihre Ecke stets die lauteste, bei den Aufmärschen war ihr Block der fröhlichste. Genau eine Woche vor der Räumung hatten die Fans der drei großen Klubs den Taksimplatz in das gleißende Lila ihrer Bengalos getaucht. Der Aufzug war der größte und bunteste. 40.000 Menschen liefen auf den Platz, aber achteten dabei peinlich genau darauf, dass niemand die Blumen in der Fahrbahn zertrampelt.

Auseinandersetzungen mit der Polizei sind Taylan Kartal und seine Jungs gewöhnt – erst wenige Wochen vor Beginn des Aufstands, am letzten Spieltag der Liga, kam es in Beşiktaş zu heftigen Straßenkämpfen, als die Uniformierten den Fans, die wie immer geschlossen aus Beşiktaş ins nahe gelegene Stadion laufen wollten, den Weg versperrten. Die Beşiktaş-Fans hatten sich auf ein besonderes Spiel gefreut, das letzte im alten Inönü-Stadion vor dessen Abriss. Noch so ein Tropfen in das Fass, das mit den Abrissarbeiten im Gezi-Park überlief.

Erfahrungen mit Barrikadenkämpfen hatten die Ultras jedoch keine. „Als wir rund um den Gezi-Park sie ersten Barrikaden bauten, haben militante Linke uns gezeigt, wie man das macht. Da waren etliche junge Frauen“, erzählt Kartal.

Für ihn hat der Spruch „Steh nicht rum wie eine Frau“ ohnehin ausgedient. Bei den Auseinandersetzungen rund um das Stadion seien die Frauen aus seiner Clique noch geflüchtet, sagt er. „Aber im Gezi-Park standen sie in der zweiten Reihe hinter uns und haben die Kämpfer mit Wasser versorgt und uns Gesicht und Augen mit Talcid-Lösungen und Zitronen abgewischt, um die Wirkung des Pfeffergases zu lindern. Das war für sie eine neue Erfahrung. Und für uns auch.“ Nach einer seiner rhetorischen Pausen fügt er hinzu: „Auch diese Erfahrung wird bleiben.“ Der Straßenkampf als Motor der Gleichberechtigung.

Kartal und seine engsten Freunde – alles junge Männer in seinem Alter, die studiert haben und in Banken, Werbeagenturen oder Computerfirmen arbeiten, liebend gern Fangesänge grölen, ansonsten aber freundlich und wohlerzogen auftreten. Sie gehörten zu den rund 30 Çarsi-Leuten, die als Erste zur Unterstützung der Parkbesetzer kamen. Damals, in den letzten Maitagen, war noch nicht abzusehen, wie militant die Auseinandersetzungen werden würden. Dass sich der Konflikt um einen Stadtpark zu einem veritablen Aufstand gegen die Erdogan-Regierung ausweiten würde.

Wer vermutet, dass es den Ultras von Beşiktaş nur um Krawall geht, tut ihnen Unrecht. Die Beteiligung an politischen Aktionen ist für Çarsi-Leute nichts Ungewöhnliches. Nicht umsonst erinnert das „Ç“ im Logo an ein Sichel, das traditionelle Symbol der Sozialisten, und nicht umsonst ist das „A“ zum Anarchie-A eingekreist. Çarsi steht links.

Als nach der Ermordung des armenisch-türkischen Publizisten Hrant Dink die Parole „Wir sind alle Armenier“ skandiert wurde und darauf Fans aus Trabzon – jener Stadt am Schwarzen Meer, aus der die Mörder kamen – ein riesiges Transparent mit der Aufschrift „Wir sind alle Türken“ entfalteten, konterte die Beşiktaş-Tribüne mit einem noch größeren Transparent: „Wir waren schon immer Armenier“ – eine Anspielung auf Alen Markaryan, den langjährigen Çarsi-Anführer armenischer Abstammung.

Anarchie und Atatürk: Das passt zusammen

Bei anderen Aktionen ging es um Atomenergie, Rassismus oder Hilfe für Erdbebenopfer. Die Beşiktaş-Tribüne ist nicht nur die lauteste der Welt – vor ein paar Jahren wurde im nur 32.000 Zuschauer fassenden Inönü-Stadion der Weltrekord von 132 Dezibel aufgestellt –, sie ist vermutlich auch die politischste. „Çarsi ist gegen alles außer Atatürk“, lautet eine Parole. Mögen Kemalismus und Anarchismus für andere ein Widerspruch sein, für Çarsi lässt sich beides prima miteinander vereinbaren. „Wir sind die einzigen sozialdemokratischen Anarchisten der Welt“, sagt Taylan Kartal.

Wieder lacht er, doch er meint das ganz ernst. Wenn er über seine politischen Ziele spricht, erkennt man in Teilen den Sozialdemokraten. Anders als die radikalen Linken ist er weder grundsätzlich gegen Privatisierungen noch gegen ausländische Investoren. „Ich will nur, dass das zum Wohle der Allgemeinheit geschieht und nicht ein paar wenige das Volk ausplündern.“ Wenn es um Fragen der Partizipation geht, merkt man hingegen den Anarchisten. Die Organisationsform von Çarsi ist eher basisdemokratisch. Denn es gibt zwar die Altvorderen, „Abi“, „großer Bruder“, genannt, die die Choreografien im Stadion dirigieren. Aber diese „Abis“ sind keine Kommandanten, erzählt Kartal. „Wir diskutieren in Internetforen und auf dem Kazan, einem Platz in Beşiktaş.“ Und wenn einige Leute von Çarsi entscheiden, an einer Protestaktion teilzunehmen, dann machen sie das – ob mit Çarsi-Logo oder ohne.

Noch etwas zeichnet die Çarsi-Leute aus. Sie sind nicht nur laut, politisch und wenn es sein muss militant, sie sind auch berühmt für ihren Humor und ihre Kreativität, für ihre witzigen Lieder. Wenn sie sich entschuldigen, weil sich jemand wegen Ruhestörung beschwert hat, tun sie das singend: „Wir sind Beşiktaş / Und ein bisschen irre / Haben wir Sie gestört / Dann tut’s uns leid.“ Den Witz haben sie von der Tribüne auf die Straße getragen, es dürfte der wichtigste Beitrag der Çarsi-Leute zu dieser Bewegung sein. Auch der Bulldozer vom Dolmabahçepalast ist bereits in einem Lied verewigt.

Es ist aber ein Spottlied auf die Polizei, das zum Gemeingut unter den Demonstranten geworden ist, neben einem alten Schlachtruf aus den Siebzigern („Schulter an Schulter gegen den Faschismus“) und der in diesen Tagen geborenen Parole „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“: „Los, schieß dein Gas / Los, schieß sein Gas / Wirf den Knüppel weg / Zieh den Helm aus / Zeig, dass du dich traust.“ Er ist der einzige Gesang, auf den sich Kemalisten und Kurden, Linke und Liberale verständigen können außer auf das schlichte „Pfeffergas, olé“.

Am Donnerstagabend erklärt im Abbasaga-Park ein Psychologe die Wirkung solcher Lieder: „Wenn Menschen, die gerade eben mit Reizgas beschossen wurden, noch mit roten Augen ‚Pfeffergas, olé!‘ rufen können, also darüber lachen können, dann verhindert dies Traumatisierungen, die angesichts solcher Erfahrungen leicht passieren können.“ Kartal hört das gern. Er und der Freund neben ihm nicken sich zu, so als wollten sie sagen: „Das haben wir gemacht.“

Dabei ist Kartal nicht wichtig, wer sich an welcher Stelle an den Kämpfen beteiligt hat. Auch Çarsi kann man nicht vorwerfen, sich in den Vordergrund zu drängen. Zwar ging die Initiative für die Parkforen von den Ultras aus, auch der schlaksige Endzwanziger, der seit Tagen die Diskussion im Abbasaga-Park moderiert, soll der Beşiktaş-Fankurve entstammen. Auch die drei „Abis“, die noch am Vormittag aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, sind an diesen Abend im Park, halten sich aber zurück. „Wir sind hier auch nicht als Çarsi, sondern als Bürger von Beşiktaş“, sagt Kartal.

Wie sehr die Erdogan-Regierung die Fans von Beşiktaş fürchtet, zeigt sich nicht nur in der Anklage gegen insgesamt 22 Çarsi-Leute wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, was mit Flugabwehrgeschützen und anderen schweren Waffen begründet wird, die angeblich bei Hausdurchsuchungen gefunden wurden. Auch bei Erdogans Kundgebung am letzten Sonntag waren Fahnen von Beşiktaş und Çarsi zu sehen – derart schlechte Imitate, dass Çarsi es nicht einmal für nötig befand, dies richtigzustellen.

Dann erzählt Taylan Kartal von einem Telefonat mit seinem Vater. Der hat ihm immer vorgehalten, seine Generation sei unpolitisch, auch zu Beginn des Gezi-Aufstands war er noch skeptisch. „Dann hat er mich aber angerufen und gesagt: Junge, macht das, was wir nicht geschafft haben, macht aus diesem Land eine echte Demokratie.“ Was Kartal seinen Kindern erzählen wird? „Nicht davon, dass ich auf Barrikaden gekämpft habe. Ich werde ihnen erzählen, wofür wir aufgestanden sind. Dann werden wir wissen, ob sich das Ganze gelohnt hat.“

Deniz Yücel, 39, ist taz-Redakteur und Besiktas-Fan