: Nach der Schule ins Ungewisse
Studie zur Berufswahl der Hamburger Schüler belegt, dass 25 Prozent nicht wissen, was sie nach dem Abschluss machen sollen. Fachleute fordern mehr Praktikumsplätze und Berufskunde für untere Klassen. Jugendliche suchen vor allem sicheren Job
von Eva Weikert
Ein Viertel aller Hamburger Schüler hat keinen Plan, wie es beruflich nach der Schule weitergeht. Das ist das alarmierende Ergebnis der jüngst in der Hansestadt vorgestellten Studie „Berufswahl in Hamburg 2006“. Demnach kommt vor allem bei Hauptschülern das öffentliche Beratungsangebot für die Berufsfindung schlecht an. Auf die gesamte Schülerschaft bezogen gehen offenbar Mädchen ihre Lebensplanung gezielter an. Unabhängig vom Geschlecht hat für alle Schüler die Sicherheit des Arbeitsplatzes oberste Priorität.
Für die repräsentative Studie befragte das Kölner Institut „psychonomics“ 704 Hamburger Schüler an 14 Lehrstätten aller Schulformen. Auf Basis des Kaufkraftindexes wurde versucht, eine Mischung der sozialen Lagen zu erzielen. Der Fragebogen bestand aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Die Jugendlichen bewerteten zehn Informationsquellen und soziale Faktoren nach ihrem Einfluss auf die eigene Berufsfindung: darunter die Eltern, die Schule, Praktika, Freunde und das Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur (BIZ).
Auftraggegeber der Studie ist der Arbeitskreis „Einstieg“, zu dem unter anderem die Bildungsbehörde, Handels- und Handwerkskammer, die Arbeitsagentur, die Hamburger Sparkasse (Haspa) sowie die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Schule Wirtschaft gehören. Der Arbeitskreis wollte vor allem herausfinden, wie Schüler die öffentlichen Angebote zur Berufsfindung, aber auch private Möglichkeiten zur Orientierung nutzen. Eine ähnliche Erhebung war bereits 2004 gemacht worden. Die diesen Januar erhobenen Daten würden die Ergebnisse von vor zwei Jahren „erhärten“, so Projektkoordinator Jörg Ungerer.
Bestätigt habe sich wieder, dass die Eltern die Hauptinformationsquelle bei der Berufsfindung sind. Für 89 Prozent der Befragten sind Gespräche in der Familie am wichtigsten, um sich über eine geeignete Tätigkeit klarzuwerden. Allerdings zeigt die Studie auch, dass Gymnasiasten eher Rat bei ihren Eltern suchen als Haupt- und Realschüler. Auch kommen sie offenbar mit der Hilfe der Arbeitsagentur sowie Praxisangeboten besser klar: Wie Gesamtschüler nehmen sie das BIZ und Betriebspraktika überdurchschnittlich häufig wahr. Vor allem Hauptschüler nutzen weitaus seltener diese Orientierungshilfen, wie die Studie dokumentiert.
Auf die Gesamtschülerschaft bezogen ist nach den Eltern der berufskundliche Unterricht in der Schule die wichtigste Quelle für die Jobplanung. Ungerer betont jedoch, dass dieses Angebot „zur persönlichen Orientierung nicht viel beiträgt, er hat für die Jugendlichen rein informierenden Charakter“. Hinter der Schule folgen Praktika und Gespräche mit Freunden.
Große Sorgen macht den Mitgliedern des Arbeitskreises, dass 25 Prozent der befragten Schüler mit der Berufsorientierung überfordert sind und aus eigener Kraft mit den Angeboten nichts anfangen können. Haspa-Ausbildungsleiter Matthias Saecker warnt, dies sei ein „erschreckend“ hoher Anteil. Um Jugendlichen eine Perspektive bieten zu können, müssten deutlich mehr Praktikumsplätze zur Verfügung stehen. Saecker appelliert darum an alle Hamburger Unternehmen, sich Schülern stärker zu öffnen und „sehr viel mehr und längere Praktika anzubieten“.
Doris Wenzel-O‘Connor von der LAG Schule Wirtschaft hält es außerdem für hilfreich, mit dem berufskundlichen Schulunterricht nicht erst in den Vorabgangsklassen, sondern schon in den unteren Klassenstufen anzufangen. Die Handelskammer zieht aus der Studie die Lehre, dass das stadtweite Beratungsangebot bekannter gemacht werden muss: „Klarheit und Transparenz sind absolutes Gebot der Stunde“, meint Geschäftsführer Uve Samuels: „Es gibt zwar viel, aber wie man da rankommt, wissen viele Jugendliche nicht.“
Im Geschlechtervergleich zeigt die Studie, dass Mädchen die Angebote stärker nutzen, ihre Berufsplanung etwas gezielter angehen und bei der Wahl des Berufs weniger festgelegt sind. Sparkassen-Ausbilder Saecker hält darum die Konzentration auf spezielle Orientierungsangebote nur für Mädchen wie den „Girls‘ Day“ für „überholt“. Weil die Jungen zurückblieben, müsse vielmehr das Angebot an Schnuppertagen für sie ausgeweitet werden, meint er.
Allen Hamburger Schülern ist nach dem Ergebnis der Berufswahl-Studie die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtiger als ein hohes Einkommen oder eine interessante Tätigkeit. 65 Prozent der Befragten wünschen sich „einen sicheren Job“. Selbstverwirklichung ist dagegen nur für 54 Prozent der Schüler die wichtigste Orientierung. Und lediglich 37 Prozent stellen den Verdienst an erster Stelle.
„Vor acht Jahren stand die Sicherheit nicht an erster Stelle“, erinnert sich Staecker. Offenbar erlebten die Jugendlichen heute Arbeitslosigkeit sehr konkret in ihrer Familie oder im Bekanntenkreis.
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