Verurteilt zum Schiffbruch

Jeder Mensch ist eine Insel, an deren Strand die Wahrheit baden geht. „Robinson Cruso, die Frau und der Neger“: Johan Simons kluge Inszenierung nach J. M. Coetzees Robinsonade „Foe“ versinkt fast im zeichentheoretischen Sumpf

J. M. Coetzee, Südafrikaner von Geburt und seit 2003 Literatur-Nobelpreisträger, muss einer sein, der sich die Menschen samt der Verhältnisse, in denen sie stecken, gerne von weiter weg besieht. Möglicherweise mag er sie dann, die Menschen, aber er wird sie kaum vergöttern. Sicher will er, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt, aber ebenso sicher wird er sie ihnen nicht gebrauchsfertig vor die Türe stellen.

So gießt auch sein 1986 erschienener Roman „Foe“ nur scheinbar Wasser auf die Mühlen der Gender-Debatten und des postkolonialen Gewissens. In ihm lässt Coetzee die Engländerin Susan Barton auf Robinsons Insel stranden und nach der Rettung (und Robinsons Tod) mit dem stummen Schwarzen Freitag nach einem Autor suchen, der ihre Geschichten aufschreibt. Dieser Autor ist Foe, was im Englischen „Gegner“ bedeutet und der ursprüngliche Name von Daniel Defoe ist, der wiederum vor fast 300 Jahren den „echten“ Robinson Crusoe erfand.

Dass in seiner Geschichte keine Frau vorkommt, weiß man. Und auch in „Foe“ gelingt es Susan Barton nicht, Foe von ihrer eigenen Wichtigkeit zu überzeugen. Er schreibt, was die Leute lesen wollen. Sie verlangt nach Wahrheit, mag sie sich aber nicht selbst verschaffen: Die Feder ist das Werkzeug des Mannes, während der Frau nur ihr Mundwerk bleibt. Und den „Neger“, dem sie Seele und Verstand nur zögernd zuerkennt, betrachtet Barton lange nur als Vehikel zum eigenen Ruhm. Eine Geschichte, die anhebt, um mit der Stimme der Unterdrückten zu sprechen, spielt bald mit sexistischen und rassistischen Klischees ein raffiniertes Spiel. Und vor allem mit der Mechanik des Geschichtenerzählens selbst.

Darauf steigt Johan Simons gerne ein, der sie nun an den Münchner Kammerspielen inhaltlich verkürzt mit dem langen Titel „Robinson Cruso, die Frau und der Neger“ inszenierte. Auf Marc Warnings Bühne sitzt die riesenhafte Statue eines Schwarzen mit aufgeworfenen Lippen und wolligem Haar, die Kopie einer Figur aus dem 19. Jahrhundert, nach dem Blick der belgischen Kolonialherren auf die Kongolesen gehauen oder gemeißelt. Schmuck, stumm und allgegenwärtig hütet dieser Stellvertreter Freitags zwischen seinen weit gespreizten Beinen die Schauspieler, die er doch mit einer kleinen Bewegung zerquetschen könnte: mächtig machtlos, wie es letztlich alle in dieser Zum-Schiffbruch-Verurteilten-Geschichte sind.

Dies insgeheim schon wissend, sprechen alle ihre Texte wie zur Probe und als müssten sie erst noch ihre Tragfestigkeit überprüfen. Gänzlich ungeschminkt tasten sich Betty Schuurman und Sylvana Krappatsch an die hier zweigeteilte Mrs Barton heran. Erstere auch darstellerisch enorm zurückhaltend, Zweitere oft ironisch ins Geschehen involviert. Und daneben André Jung, der als Cruso (bei Coetzee ohne e) in Unterhosen und Schluppen, als Foe mit langer Hose über zwei moderne Kochinseln herrscht.

Verlockende Düfte steigen von Beginn an aus den Töpfen. Eine befremdliche Erfahrung im Theater – und vor allem in einem, das mit naturalistischen Reminiszenzen so sehr geizt wie dieses. Bei Johan Simons ist für gewöhnlich Analysieren und Inszenieren eins: Szenen und Figuren werden in Facetten zerlegt und treten sich gegenseitig auf die Füße, es wird episch erzählt und jeder illusionistischen Konvention misstraut. Durchaus sinnliches Kopftheater entsteht dabei zumeist: schwere Kost für Genießer! Und auch diesmal stapft der Abend klug und ruhig in diese Richtung hin los: André Jung kocht, und als es heißt „Freitag bereitet das Abendessen zu“, gibt er genervt und fast ein bisschen beleidigt den Löffel ab. So en passant wird das Herr-und-Diener-Klischee in Susan Bartons Kopf als Vorurteil entlarvt.

Und als Sylvana Krappatsch ihre zivilisatorisch konditionierten Sehnsüchte nach Rettung und Zukunft abschnurrt, erscheint einem für Momente Crusos eintönig-zielloses Leben als das richtigere: Er terrassiert seine unidyllische Insel, sät und ersehnt nichts, lebt aber mit Freitag völlig autark im Jetzt. Und nachdem er mit rot verschmiertem Mund zu Boden gesunken ist, kommt der ganze Abend nicht mehr wirklich auf die Beine. Zu tief steckt Pieter de Buyssers Bühnenfassung im zeichentheoretischen Sumpf, in der Diskussion der ewigen Differenz von Körper und Zeichen, Stimme und Macht: Das Geheimnis des (stummen) Fremden bleibt unergründlich. Jeder ist eine Insel, an deren Strand die Wahrheit baden geht. Das ist so schnell verstanden wie schwer zu erspielen. Darum – dennoch –: Respekt!

SABINE LEUCHT

Nächste Vorstellungen am 11. und 12. März in Gent, am 21. und 22. März in Amsterdam