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Archiv-Artikel

„Es muss sein wie bei den drei Musketieren“

Der SPD-Politiker Linkohr meint, dass die EU-Staaten zur Überwindung der Versorgungskrise neue AKWs bauen werden

taz: Herr Linkohr, Sie haben mal gesagt, wir verhalten uns in der Energiepolitik wie die Feuerwehr. Die kommt auch erst, wenn es brennt …

Rolf Linkohr: Der Wissenschaftler macht eine Analyse, der Politiker nickt und wirft sie in den Papierkorb, weil er dem Wähler nichts zumuten will. Energiepolitik wird in der EU immer erst durch Ereignisse ausgelöst, die man nicht vorhergesehen hat. Ein derartiges Ereignis war der starke Anstieg des Ölpreises im vergangenen Jahr. Derzeit muss die EU im Schnitt 50 Prozent ihres Energiebedarfs importieren. Wenn nichts geschieht, wächst diese Abhängigkeit in den nächsten Jahren auf 70 Prozent.

Und wenn dann Russland den Hahn zudreht …

Das hat Ängste ausgelöst. Polen ruft inzwischen nach einer Energie-Nato. Dann müsste im Fall einer Versorgungskrise die EU solidarisch handeln, und der Mangel würde gleichmäßig auf alle verteilt.

Wären Polens Ängste genauso groß, wenn wir einen echten EU-Energiemarkt hätten?

Die Ängste vor Russland sitzen ganz tief, genau genommen sind sie aber nicht begründet. Im Energiebinnenmarkt geht die Energie dahin, wo sie gebraucht und bezahlt wird. Deshalb ist die Pipeline durch die Ostsee auch keine echte Bedrohung für Polen. Sie könnten sich jederzeit in Greifswald an die Pipeline anschließen …

Wirklich? Eine Kommission-Studie hat deutlich gezeigt, dass der Energiebinnenmarkt nur auf dem Papier besteht.

Rein technisch muss noch viel geschehen, das stimmt. Die baltischen Staaten sind bis heute nicht an unser Stromnetz angebunden. Zwischen der Slowakei und Österreich gibt es keinen Verbund, zwischen Bratislava und Wien kann also kein Strom ausgetauscht werden, weil die Kupplung fehlt! Die Netze sind auch, je nachdem wie viel investiert worden ist, in ganz unterschiedlichem Zustand. Geklärt werden muss, wie der Versorger des einen Landes die Netze des anderen nutzen darf, und was das kostet. Alle diese Aufgaben kommen auf die neu geschaffenen nationalen Regulatoren zu. Mittelfristig will die Kommission diese Behörden auf EU-Ebene koordinieren. Je mehr die Netze zusammenwachsen, desto wichtiger ist es, den Zugang zu den Netzen auf europäischer Ebene zu regulieren. Damit werden sich viele Ängste erledigen, die heute noch vorhanden sind.

Aber gibt es nicht derzeit einen gegenläufigen Trend, den zur Renationalisierung. Die spanische Regierung versucht zu verhindern, das Eon Endesa übernimmt.

Nicht alle Politiker denken so. Der spanische Wirtschaftsminister Solbes, der mal Währungskommissar in Brüssel war, sagt: „Me importa un rábno – das interessiert mich einen feuchten Dreck, wem Endesa gehört!“ Man darf aber nicht vergessen, dass die Endesa für die spanische Politik eine große Rolle spielt. Da bringt man seine Freunde unter, damit kann man in Lateinamerika Politik machen. In ein, zwei Jahren wird man darüber nicht mehr reden. Jedem ist klar, dass wir europäisch denkende Unternehmen und europäische Netze brauchen. Wir brauchen eine Energiepolitik, wo die Risiken gleich verteilt werden – alle für einen, einer für alle – wie bei den drei Musketieren!

Energie ist keine Ware wie jede andere. Wie kann man hier Wettbewerb schaffen und gleichzeitig berücksichtigen, dass es sich um eine öffentliche Dienstleistung handelt?

Die Mitgliedstaaten müssen dafür Spielräume zugestanden bekommen, weil sie die Probleme der Verbraucher am besten kennen. In Finnland zum Beispiel darf im Winter niemandem der Strom abgestellt werden, auch wenn er seine Rechnung nicht bezahlen kann. Verschwinden wird aber die staatliche Vorschrift, dass der Strom überall gleich viel kosten muss, wie sie derzeit in Frankreich gilt.

In den meisten EU-Ländern ist der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossene Sache. Anderseits zwingt Kioto zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen. Wie kommen wir aus diesem Dilemma?

Die Kommission hat keinen Einfluss, auf welche Energie die Mitgliedstaaten setzen. Sie kann nur über den Wettbewerb und über die Umweltpolitik bindende Ziele vorgeben. Derzeit sieht es nicht so aus, als könnten die EU-Länder ihre Kioto-Ziele erreichen. Deshalb versuchen sie zunehmend, in Drittländern in umweltfreundliche Technologien zu investieren und dadurch Gutscheine zu erwerben. Das wird künftig ein Riesengeschäft. Gerade Österreich, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, weicht mit am weitesten von den Zielvorgaben ab.

… und ist am striktesten gegen Kernkraft.

Ich will den Österreichern keine Atomkraft aufschwätzen. Aber ich glaube nicht, dass die Rechnung, die Herr Platzeck und Herr Gabriel aufgemacht haben, aufgeht. Es gibt in der Bevölkerung ja auch einen Meinungsumschwung. Die Schweden stehen der Kernkraft deutlich positiver als früher gegenüber. Großbritannien wird wohl noch in diesem Jahr beschließen, neue Kernkraftwerke zu bauen. INTERVIEW:

DANIELA WEINGÄRTNER