FLÜCHTIGE BEKANNTSCHAFT
: Am Schmerzpunkt

„Kennen wir uns nicht?“, fragte er errötend. – „Hm“, sagte ich unbestimmt

B. und ich haben auf unseren Touren schon die zarten Bande einiger Bekanntschaften zerstört. Eigentlich haben wir die Leute nicht vergrault, eher fanden sie uns schnell seltsam und wandten sich ab. Und eigentlich endet die Tour auch meist da, wo sie begonnen hat.

Gestern war es anders. Zumindest bezüglich Punkt eins: Ein blutjunger Herr mit Afro lächelte seit geraumer Zeit ganz schüchtern herüber. Mit Befremden stellte ich die Ähnlichkeit zum Antihelden eines jüngst gelesenen Romans fest. Dies führte ich B. wortreich aus, als der Mann zu uns trat.

„Kennen wir uns nicht?“, fragte er errötend. Ich wiegte aus Freundlichkeit den Kopf. „Hm“, sagte ich unbestimmt.

Er sei der Auszubildende, der mir vor Kurzem den Bauch abtastete, half er mir. Stimmt! Er tat das unter den strengen Augen meines Hausarztes. Und obwohl er weit ab vom Schmerzpunkt drückte, ließ ich ein klägliches Aua hören. So hatte ich es ja auch bei dem lauernden Arzt getan, als er die richtige Stelle traf. Dann hatte uns der Arzt allein gelassen, und der Auszubildende verwickelte mich in ein langes Gespräch über die Beschaffenheit meines Stuhls. Er war dabei sehr aufgeschlossen, stellte viele, seltsame Fragen, die ich mich aus Hilfsbereitschaft zu beantworten mühte. Wie konnte ich das vergessen?

Das passiere, wenn man nicht genügend Vitamine zu sich nehme, erklärte B. Und Omega-3-Fettsäuren. Proteine. Demonstrativ steckte er sich eine Pille in den Mund. Dann trank er sein Bier in einem Schluck. Er hat gut reden, stellte er doch vor Wochen seine Ernährung auf Nahrungsergänzungsmittel, Fisch und milde Drogen um. Sein Gehirn arbeitet seither auf Hochtouren, während ich durch mein träges Gedächtnis irrlichtere. Der angehende Arzt indes streicht sich lächelnd seinen Bauch; ein Bild wenigstens, das ich so schnell nicht vergessen werde. SONJA VOGEL