Musik machen, um den Heimalltag zu vergessen

FILM Im Freiluftkino Kreuzberg wird die Doku „Can’t be silent“ über eine Flüchtlingsband voraufgeführt

Fast bedauert man die Preisrednerin, weil sie so uncool aussieht

Am Dienstagabend fühlt es sich schon recht herbstlich an im Freilichtkino Kreuzberg. Der Himmel ist klar, man freut sich, dass man den Großen Wagen gleich findet. Zwei Tage bevor er ins Kino kommt, wird Julia Oelkers Dokumentarfilm „Can’t be silent“ gezeigt, der im Juni auf dem „Internationalen Filmfest Emden-Norderney“ den DGB-Filmpreis erhielt.

Der von der nicht profitorientierten „autofocus Videowerkstatt“ produzierte Film, erzählt von Nuri (Dagestan), Jacques (Elfenbeinküste), Hosain (Afghanistan), Sam (Gambia) und Revelino (Elfenbeinküste), jungen Flüchtlingen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause in Deutschland gelandet sind.

Der Liedermacher Heinz Ratz hatte die Musiker 2011 kennengelernt, als er in über 80 Städten Konzerte gab und auch die jeweiligen Flüchtlingsunterkünfte besuchte. Mit seiner Band ermunterte er sie und half ihnen, die Gruppe „the Refugees“ zu gründen. In diesem Frühjahr erschien eine erste CD. Dann gingen „the Refugees“ auf Tour, was wegen der Residenzpflicht ziemlich kompliziert war. Mit ihren Konzerten erfreuten sie Tausende, doch danach mussten sie immer zurück in ihre „Asylheime“, die sie wie ein Gefängnis erleben.

Es ist eine besondere Aufführung. Über 600 Zuschauer sind gekommen, vor dem Beginn gibt es verschiedene kleine Ansprachen. Die wegen der für die Musiker immer neu benötigten Reisegenehmigungen recht komplizierte Tournee der „Refugees“ sei ein Protestmarsch gegen die Residenzpflicht gewesen, sagt Nuri Ismailov aka MC Nuri, der vor elf Jahren als Kind aus Dagestan nach Deutschland kam und fast zehn Jahre mit seiner Familie in einem Zimmer im Flüchtlingswohnheim von Gifhorn lebte.

Reutlingen ist die Hölle

Der sehr lebendige Film zeigt den Kontrast zwischen den schönen Auftritten, wo die Musiker gefeiert werden, und dem deprimierenden Heimalltag, mit der ständigen Angst, ausgewiesen zu werden. „Wenn ich unterwegs bin und Konzerte spiele, vergesse ich den Alltag. Ich bin dann in der realen Welt, wo die normalen Menschen leben. Aber sobald ich zurück muss nach Reutlingen (ins Flüchtlingslager), bin ich traurig. Weil ich weiß: Dorthin zurückkommen ist die Hölle“, sagt der aus Gambia stammende Sam, der von Abschiebung bedroht ist. Wenn MC Nuri durchs verregnete Giffhorn geht, fröstelt es einem. Die Fluchtgeschichten, die erzählt werden, sind dramatisch, die Flüchtlinge moderne Helden, wie Odysseus.

Mit 15 machte sich der im Iran aufgewachsene afghanische Rapper Hosain MC Trelos nach Europa auf. Mittlerweile gibt es seine Videos auch auf youtube. Am Rande eines Auftritts der „Refugees“ singt ein kleiner afghanischer Fan von Hosain einen seiner Texte.

Manchmal sind die Kontraste, die der Film schildert, auch lustig. In einer Szene wird Heinz Ratz im Bundeskanzleramt für sein Engagement der „Integrationspreis“ verliehen. Fast bedauert man die Preisrednerin, weil sie nur notdürftig informiert scheint und in ihrem Kostüm, im Gegensatz zu den Refugee-Musikern, doch sehr uncool aussieht.

Mit stehendem Applaus werden „Can’t Be Silent“ und die am Film Beteiligten gefeiert. Eine Weile isst und trinkt man noch mit den Machern des Kreuzberger Non-profit-Videokollektivs „autofocus“ und den „Refugees“ im Bethanien. An diesem Abend sind sie Stars. Erst möchte man fragen, wie sie sich danach fühlen werden, dann lässt man es doch und wünscht ihnen viel Glück. Wenn alles klappt, werden sie am 17. 12. im SO36 auftreten.

DETLEF KUHLBRODT