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: Die Hälfte bleibt Spekulation

Die DVD-Edition von Sam Peckinpahs Western „Pat Garrett and Billy the Kid“ beinhaltet zwei unterschiedliche Filmfassungen

Es war eine Mischung aus schlechtem Benehmen gegenüber seinen Produzenten, Trunksucht und genuiner künstlerischer Vision, die Sam Peckinpah das Leben in Hollywood schwer machte. Die Zahl der Projekte, die sich zerschlugen, war höher als in der Branche ohnehin üblich, und viele seiner Filme gelangten nicht in der Form ins Kino, in der er sie dort gerne gesehen hätte. Dies gilt für sein Meisterwerk „The Wild Bunch“ (1969) ebenso wie für den vier Jahre später entstandenen Western „Pat Garrett and Billy the Kid“.

Auf der nun vorliegenden neuen DVD-Edition von „Pat Garrett and Billy the Kid“ finden sich gleich zwei Versionen des Films, und beide sind von der einstigen Kinofassung verschieden. Wer sich in die Audio-Begleitkommentare und in die den Film flankierenden Zusatzfilme, die einige der Beteiligten zur Entstehung des Films befragen, vertieft, erfährt, wie sehr das Kino mit der DVD in die Phase der philologischen Nachbearbeitung eingetreten ist, in der Herausgeber die Intentionen des Regisseurs zu rekonstruieren versuchen – wobei diese Eingriffe und nachträglichen Bearbeitungen umstritten bleiben müssen.

Aus dem Jahr 1988 stammt die auf der zweiten DVD der vorliegenden Special Edition zu findende so genannte Preview Version des Films. Es handelt sich dabei um die von Peckinpah vertragsgemäß zehn Wochen nach Ende der Dreharbeiten dem Studio zur Begutachtung eingehändigte, noch längst nicht fertige Fassung. In aller Regel wird auf dem Weg zum Final Cut noch an Schnitt und Timing gearbeitet. Gerade der große Schnittkünstler Peckinpah hat oft ausgiebig mit seinen Cuttern an einzelnen Szenen gefeilt. MGM war von der Preview Version aber alles andere als begeistert. Peckinpah wurde der Final Cut entzogen, seine Cutter erstellten nach Studioanweisungen eine um einige entscheidende Szenen gekürzte und auch sonst deutlich veränderte Version.

Die jüngste, auf der DVD als „2005 Special Edition“ bezeichnete Fassung, die auch auf der diesjährigen Berlinale vorgestellt wurde, ist nun nichts anderes als der Versuch, aus der Preview Version jenen Final Cut zu rekonstruieren, den Sam Peckinpah mutmaßlich hergestellt hätte. Die Hälfte der Angelegenheit bleibt dabei selbstverständlich Spekulation. Wie gravierend in solchen Fällen jeder Eingriff für die Interpretation sein kann, wird schon am Beginn deutlich, den die neue Version von der Preview-Fassung übernimmt: Man sieht den Tod Pat Garretts; der ganze Film wird so zu einer Erinnerung, einer Vision im Augenblick des Todes. In der Kinofassung war dieser Beginn gestrichen, und der Plot bewegte sich in der Gegenwart einer linearen Narration.

Bewusst eingegriffen haben die Herausgeber in die Rahmung der Geschichte. Der Clou des Skripts von „Pat Garrett and Billy the Kid“ besteht gerade darin, dass die beiden Helden sich während des Films – außer am Anfang und am Ende – gar nicht begegnen. Der einstige Outlaw Pat Garrett (James Coburn) wird zum Mann des Gesetzes und damit zum Jäger seines einstigen Freundes Billy the Kid (Kris Kristoffersen). Der Bruch zwischen ihnen ist nicht zu heilen, gerade weil die vom Gesetz zwischen drinnen und draußen gezogene Linie als willkürlich vorgeführt wird. Es handelt sich nachdrücklich nicht um eine Sache der Überzeugung, was für den Film bedeutet, dass die Jagd, von der er erzählt, fast vollständig entschleunigt wird.

„Pat Garrett and Billy the Kid“ ist vielleicht der langsamste Actionfilm der Filmgeschichte. Er gehorcht einer Dramaturgie des Ereignisses, das im Grunde von selbst eintreten wird. Was geschieht, geschieht fast ohne Zutun der Handelnden. Es ist in diesem Spätwestern für alles immer schon zu spät. Fürs Heldentum und für die Liebe, für den Zugriff des Gesetzes, für Hoffnung und Verzweiflung. Drehbuchautor Rudy Wurlitzer hatte kurz zuvor das Buch für Monte Hellmans nihilistisches Roadmovie „Two Lane Blacktop“ geschrieben und lässt in „Pat Garrett and Billy the Kid“ den Western kollabieren. Die Herausgeber der neuen Fassung setzen dagegen – wie wohl auch Peckinpah – eher auf Psychologisierung, indem sie am Anfang den Szenen zwischen Pat Garrett und Billy mehr Raum geben. Auch ihren Versuch der Straffung und strengeren Pointierung der einzelnen Szenen kann man durchaus kontraproduktiv finden.

Es gibt deswegen gute Gründe, die die Zeit und das Handeln ins Endlose dehnende Preview-Version von 1988 für den besseren Film zu halten, und sei es gegen die Intentionen des Regisseurs. Schade freilich, dass die hier vorliegende DVD-Fassung von einer nicht gerade makellosen Filmkopie erstellt wurde.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD-Edition von „Pat Garrett und Billy the Kid“ ist für 19,95 € im Handel erhältlich