: Heilige Harmonie
Nach dem 11. September 2001 sind die religiösen Gemeinden an der Hamburger Universität zusammengerückt. Regelmäßig wird gemeinsam diskutiert. Auch ein Meditationsraum entsteht
von Claudius Schulze
Weltweit scheinen die unterschiedlichen Kulturen und Religionen mit aller Heftigkeit gegeneinander zu prallen. Jüngstes Beispiel ist der Konflikt um den zum Christentum konvertierten Afghanen Abdul Rahman.
Dem „prognostizierten Aufeinanderprallen“ versuchen indes die verschiedenen Religionsgemeinschaften an der Hamburger Universität „durch Zusammenarbeit eine andere Vision entgegenzustellen“. So beschreibt es beispielsweise das Programmheft der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) an der Uni. An alle – nicht nur an getaufte Studenten – wende sich auch die Katholische Hochschulgemeinde (KHG), versichert Hochschulpater Thomas: „Die Tradition der Ökumene ist hier stark.“
Das Herzstück des religiösen Dialogs auf dem Campus ist das Projekt „Touch of Civilisations“, kurz ToC. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 wurde dieser interreligiöse Gesprächskreis mit dem Ziel gegründet, „Vorurteile abzubauen“ und „gegenseitiges Verständnis zu gewinnen“, so die Selbstdarstellung. Einmal im Monat treffen sich Mitglieder der Evangelischen und der Katholischen Hochschulgemeinde mit Muslimen, Buddhisten, Anhängern der Baha‘i-Religion und anderer Glaubensrichtungen, um buchstäblich über Gott und die Welt zu reden. Oft kommen auch neugierige konfessionslose Studierende dazu. Aktuell kümmert sich ToC um die Neugestaltung des „Raums der Stille“ im Gebäude der Psychologen – ein Rückzugsort zum Meditieren.
„Wir haben mit allen Gemeinden guten Kontakt“, sagt Hamza Gülbas. Schon in seiner Schulzeit hat sich der Muslim in der Islamischen Hochschulgemeinde (IHG) engagiert. Jetzt ist der Jurastudent seit drei Jahren im Vorstand – um „Gottes Wohlwollen“ zu erlangen, wie er sagt. Gülbas hofft, in der Zukunft den Raum der Stille für das Freitagsgebet nutzen zu können. Denn die Muslime haben keinen Gebetsraum an der Uni: „Zurzeit treffen wir uns im Keller der ehemaligen HWP bei den Schließfächern zum Gebet.“
Besser haben es da die Katholiken: Die Fenster leuchten in kräftigem Blau und Gelb. Auf einem Tisch davor stehen zwei Kerzen. Selbst gemalte christliche Motive und ein Bibelvers sind auf dem weißen Tuch zu sehen, das über den Tisch ausgelegt ist. Um ihn herum stehen im Halbkreis Stühle. Schlicht und freundlich ist die Athmosphäre in der Kapelle der Katholischen Hochschulgemeinde. „Gottesdienste sind das Zentrum des Glaubens“, so die Katholikin Alice Otto – doch „in den normalen Kirchen sind meist recht wenig junge Menschen“, beklagt sie.
Alice Otto schätzt an den Uni-Gemeinden vor allem die „kritische Diskussionskultur“. Sie seien als intellektuelle Zentren der Kirche „sehr wichtig“, sagt auch Pater Thomas. Denn auf dem Campus begegneten sich Wissenschaft und Kirche und setzten sich auseinander.
Nicht nur das Portfolio der von den Katholiken initiierten Veranstaltungen ist entsprechend vielfältig: Die Themen der Vorträge und Diskussionszirkel, zu denen die verschiedenen Gemeinden einladen, reichen von „Religion und Revolution in Nicaragua“ (ESG, 27.4.) über „Visionen contra Kirchenstrukturen?“ (KHG, 3.5.) bis hin zu „Islamische Kalligraphie“ (IHG, 12.4.)
Ziemlich harmonisch scheint also das religiöse Leben auf dem Campus zu sein. Und beim gemeinsamen Beten und Diskutieren kommt auch das Private nicht zu kurz. Die „muslimische Arbeit“ sei sein „soziales Leben“, berichtet Gülbas. Pater Thomas geht es ähnlich: Eine wichtige Motivation für das Engagement in einer Hochschulgemeinde sei es, Freunde zu treffen und Freundschaften zu schließen, sagt er. „Und einige suchen vielleicht auch den Partner fürs Leben.“
ToC: www.toc-info.de, ☎ 41 17 04 13; Evangelische Studierendengemeinde: www.esg-hamburg.de, ☎ 41 17 04 12; Islamische Hochschulgemeinde: www.ihg-net.de, ☎ 25 32 87 05; Katholische Hochschulgemeinde: www.khg-hamburg.de, ☎ 45 22 59; SGI-D Hochschulgruppe (Buddhismus): orie_deutschland@hotmail.com; Baha‘i: www.bahai.de/hamburg
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