Mit Zwang gegen Schulversager

In der Debatte um die Hauptschulmisere überschlägt sich die Politik mit Rezepten. Die CDU in Niedersachsen will jetzt Familien renitenter Schüler Kindergeld und Hartz-IV-Leistungen kürzen

von Kai Schöneberg
und Eva Weikert

„Schnupperknäste“ für gewaltbereite Jugendliche, Internate für aggressive Kinder: Nach dem Hilferuf verzweifelter Lehrer in Berlin-Neukölln überbieten sich nun Politiker allerorten mit Vorschlägen, um aus der Hauptschulmisere Kapital zu schlagen. Wieso eigentlich keine Razzien an Schulen, fragte etwa Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) kürzlich, um dann seinen uralten Vorschlag wieder aufzukochen, mehr Integrations- und Deutschkurse für junge Migranten einzuführen.

Parteikollege Karl-Heinz Klare geht das nicht weit genug: Die „wirkungsvollste Maßnahme“ gegen renitente Hauptschüler sei die Streichung von Kindergeld oder Hartz-IV-Leistungen, fordert der CDU-Fraktionsvize im niedersächsischen Landtag. Streitschlichtung, Gespräche mit Eltern oder Konferenzen würden die Lehrer zu viel Zeit kosten.

Die Stützekürzung solle Eltern treffen, deren Kinder wegen Gewalttaten von der Schule ausgeschlossen worden sind. Das ist laut Schulgesetz für einige Wochen möglich. Er sei „davon überzeugt, so Klare, dass nur der Griff ins Familienportemonnaie die Jugendlichen für Erziehungsfragen zugänglicher“ mache. Auch fordert er, die Polizei müsse künftig den Schulen melden, wenn Schüler in ihrer Freizeit Straftaten begehen – damit Lehrer die Täter unter „besondere Beobachtung“ stellen könnten.

Die SPD-Opposition im Landtag warf Klare „puren Populismus“ vor, „der nur Stammtische jubeln lässt“. Sein Vorstoß zeige, dass die Christdemokraten „ihre sozialstaatlichen Wurzeln gekappt“ hätten. Die Grünen schlossen sich der Kritik an und propagierten zugleich einmal mehr ihre Idee, das dreigliedrige Schulsystem aufzugeben.

Auch in Hamburg will die Union offenbar den repressiven Weg nehmen: Die Regierungsfraktion in der Hansestadt schlug gestern ein Modellprojekt vor, mit dem sie den Druck auf arbeitslose Schulabbrecher erhöhen will. Ziel ist es, Abbrecher und Jugendliche mit schlechten Zeugnissen, die keine Chance auf eine Lehrstelle haben, vor Arbeitslosigkeit zu bewahren. Den Antrag dazu will die CDU nächsten Mittwoch in die Bürgerschaft einbringen.

Geplant ist, die Jugendlichen direkt von der Schule in ein zweijähriges Förderprogramm zu schicken. Dafür sollen die Schulen mit der Hartz-IV-Behörde kooperieren. Neben praktischer Arbeit steht die Einübung von Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit und Höflichkeit auf dem Stundenplan. Denn viele Betriebe beklagten einen Mangel an „klassischen sozialen Kompetenzen“, so die CDU-Abgeordnete Natalie Hochheim.

Eine Förderung der betroffenen Gruppe „geht darum nur durch ein stärkeres Fordern“, sagt sie: „Wer nicht erscheint, wird abgeholt. Wer sich krank meldet, wird überprüft.“ Diese Kontrolle sollten die Träger der Maßnahme ausüben. Als einen Kandidaten nannte sie die Grone-Schule.

Die Gewerkschaften und die Grünen an der Elbe begrüßten zwar unisono, dass mehr für die Perspektiven von arbeitslosen Jugendlichen getan werde. Beide warnten aber, die oft schwer erreichbaren Jugendlichen unter Druck zu setzen: Der „repressive Weg könnte Gegenwehr hervorrufen“, fürchtet der DGB. Und die Grünen mahnten: „Die Betreuung darf sich nicht in Kontrolle erschöpfen“, sondern müsse „Verbindlichkeit“ bieten – in Form konkreter Jobaussichten.