: Der fette Fisch im Zwielicht
Die aus Fischen gewonnenen Omega-3-Fettsäuren sollen besonders gut für die Gesundheit sein. Eine Studie zeigt, dass dies nicht immer der Fall ist
Der Fischöltrend setzte 1976 ein, als dänische Forscher feststellten, dass Herzen von Inuit überdurchschnittlich gut funktionieren, obwohl am Nordpol nicht sonderlich viel Obst und Gemüse gegessen wird. Als Erklärung dafür vermutete man die ungesättigten Omega-3-Fettsäuren von Fisch, die deswegen heute einen ähnlichen Status wie Vitamine besitzen. Der „Arbeitskreis Ernährungs- und Vitamin-Information“ (EVI) verkündete sogar: „Die Geschichte der menschlichen Evolution muss neu geschrieben werden.“ Denn angeblich hätte der Homo sapiens nur deswegen ein so großes Gehirn, weil er seinen Speiseplan dereinst auf reichlich Omega-3 umgestellt hätte. Und damit unser Hirn auch weiterhin funktionstüchtig bleibt, sollten wir täglich ein Fischölpräparat einnehmen oder aber alltägliche Nahrungsmittel wie etwa Brot mit Omega-3-Fettsäuren anreichern. Denn, so EVI, „fette Fische wie etwa Makrele oder Hering sind ja bei uns eher unpopulär“. Deutlicher kann man kaum für eine gezielte Nahrungsergänzung mit Fischöl plädieren – EVI wird übrigens vom Pharma-Unternehmen Hoffmann-La Roche gesponsert.
Mittlerweile wird Omega-3 nicht nur fürs Hirn empfohlen, sondern auch zum Schutz von Augen, Herz und Kreislauf sowie als Cholesterinsenker und Entzündungshemmer. Fischölpräparate zählen in den Sortimenten von Apotheken, Drogerien und Supermärkten zu den Bestsellern. Dabei ist gar nicht klar, ob Omega-3 tatsächlich so gut für unsere Gesundheit ist, wie weithin propagiert wird. So existieren zwar fast 90 Studien zur Wirkung der ungesättigten Fette auf Herz, Kreislauf, Krebs und Gesamtsterblichkeit, in denen über 600.000 Menschen erfasst wurden – doch die Ergebnisse zeigen, wie jetzt ein Forscherteam unter Lee Hooper von der Universität East Anglia in England herausgefunden hat, keineswegs in eine eindeutige Richtung. „Wir fanden“, so Hooper, „keinen schlagkräftigen Beweis dafür, dass Omega-3-Fettsäuren das Sterblichkeitsrisiko und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren.“ Ein Effekt auf die Entstehung von Krebs konnte ebenfalls nicht nachgewiesen werden.
Besonders schlecht schnitt Omega-3 in einer Studie an etwa 3.000 Patienten mit Angina Pektoris ab. Deren Zustand sollte sich eigentlich durch zwei- oder mehrwöchentliche Fischmahlzeiten oder aber durch die Einnahme von Fischölkapseln verbessern. Tatsächlich starben sie häufiger an plötzlichem Herz-Kreislauf-Versagen, wobei dieser Trend vor allem dann ausgeprägt war, wenn das Fischöl in Kapseln verabreicht wurde.
Für den Epidemiologen Eric Brunner vom University College in London war das ein deutlicher Hinweis darauf, dass Omega-3-Fettsäuren unter bestimmten Bedingungen Herzrhythmusstörungen fördern könnten, „obwohl sie uns eigentlich bisher als stabilisierend für den Herzrhythmus bekannt waren“. Sie sollten daher nicht bei chronischen Herzerkrankungen verabreicht werden. Anderen Patienten könnten sie jedoch helfen.
Überhaupt kann es sein, dass Fischöl nicht bei allen Menschen gleich wirkt. Denn ob ein Nährstoff positiv auf die Gesundheit wirkt, hängt von vielen weiteren Faktoren ab, wie etwa der Kombination der einzelnen Lebensmittel oder auch der Nährstoffverwertung des Menschen. So zeigten Nahrungsmittel wie Soja und Grüntee in asiatischen Studien deutlich positivere Effekte als hierzulande, und Ähnliches kann man auch vom Fischöl vermuten: Was in Grönland klappt und dort für ein gesundes Herz sorgt, muss hier noch lange nicht funktionieren. JÖRG ZITTLAU