: Das Urteil der Klassenkameraden
Ab dem kommenden Schuljahr wird es in Hamburg „Teen Courts“ geben: Bei kleineren Straftaten Jugendlicher können dann Schülergerichte den „Prozess“ führen. Justizbehörde beginnt demnächst mit der Ausbildung der jungen Laienrichter
Von Elke Spanner
Die Missbilligung von Gleichaltrigen zu spüren, kann für Teenager eine harte Strafe sein. Zu einer Clique zu gehören ist wichtig. Schlimmer als der Rüffel eines erwachsenen Lehrers ist es oft, diesen vor Freunden und der versammelten Klasse einstecken zu müssen.
Diesen Gruppendruck will sich die Hamburger Justizbehörde nun bei der Bekämpfung von Kriminalität zunutze machen. Sie plant, zum kommenden Schuljahr drei Schülergerichte zu schaffen, die nach Vorbild der US-amerikanischen „Teen Courts“ über delinquente Teenager zu Gericht sitzen werden. „Wir beginnen in Kürze mit der Ausbildung der Richter“, bestätigt Behördensprecher Carsten Grote.
Die Schülergerichte werden sich im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit minder schweren Straftaten befassen, die als „jugendtypische Verfehlungen“ einzuordnen sind: Eine Autofahrt ohne Führerschein, der Besitz von Marihuana oder ein kleiner Ladendiebstahl zum Beispiel. Die Staatsanwaltschaft entscheidet, welches Verfahren für das Schülergericht geeignet ist, und leitet die Ermittlungsakte weiter – soweit sich die Beschuldigten damit einverstanden erklären. Die Jugendlichen müssen auch bereits geständig sein – den Sachverhalt zu klären, wird nicht Aufgabe der Schülergerichte sein.
Die sollen zunächst ein Gespräch mit dem Teenager über seine Tat führen, um ihm dessen Unrecht zu verdeutlichen. Das Gespräch soll sich vorrangig um die Motive und Folgen der Tat drehen. Zeigt der junge Täter sich einsichtig, kann das schon reichen, um den Fall wieder zu den Akten zu legen. Halten die Teen Courts es hingegen für erforderlich, weitreichender zu reagieren, verhängen sie in Anschluss an die „Verhandlung“ eine Sanktion. Das Ergebnis des Verfahrens wird dann wiederum der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, mit dem Ziel, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird.
Drei Jugendliche aus den Klassen neun bis elf werden den Gerichten jeweils angehören. Sie werden für ihre Aufgabe juristisch und pädagogisch geschult. Zunächst sollen sie lernen, wie man ein Gespräch so führt, dass der Beschuldigte auf Fragen mehr als nur mit „ja“ oder „nein“ zu antworten hat. In Rollenspielen sollen sie sich schon vor ihrer ersten Verhandlung selbst in der Funktion des Richters erleben – und auch die Rolle eines Beschuldigten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Um die Laienrichter in der Verhandlungssituation dann nicht sich selbst zu überlassen, werden die Teen Courts von Mitarbeitern der Jugendhilfe sozialpädagogisch begleitet.
In Deutschland gibt es Teen Courts bereits in Bayern und Hessen. Sie gelten als erfolgreich. Das älteste Projekt existiert in Aschaffenburg seit November 2000. Forscher der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität haben es begleitet und eine Bilanz gezogen, die sie selbst als „überwiegend positiv“ zusammenfassen: Die beschuldigten Jugendlichen fühlten sich in der Regel gut informiert und fair behandelt. Die deutliche Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, das Schülergremium hätte sie besser verstanden als ein Berufsrichter. Und auch die Ergebnisse einer Rückfalluntersuchung zeigten eine positive Tendenz.
Außer Hamburg bereiten zurzeit auch die Städte Bielefeld und Frankfurt Schülergerichte vor. Obwohl die Idee in den USA abgeguckt ist, wird die Inszenierung der hiesigen Teen Courts eine ganz andere sein. In den rund 600 US-amerikanischen Schülergerichten tragen die jugendlichen Richter tatsächlich Roben. Der Beschuldigte muss seine Schulkameraden mit „Sir“ ansprechen. Neben dem Gericht treten Gleichaltrige auch als Staatsanwälte und Verteidiger auf. Das Hamburger Modell hingegen will sich nicht im Rollenspiel verlieren. Die Schülerrichter können die Kleidung tragen, in der sie auch im Klassenzimmer anzutreffen sind. Sie sitzen nicht einschüchternd an der Frontseite des Raumes vor dem Beschuldigten, sondern mit diesem an einem „Runden Tisch“.
Die Teen Courts dürfen nicht eine Strafe um ihrer selbst willen verhängen. In ihrer Schulung sollen die Schülerrichter lernen, was eine „tatangemessene“ Sanktion sein kann. Denkbare Auflagen wären eine Entschuldigung beim Opfer, ein Aufsatz über das eigene Fehlverhalten, Teilnahme am Verkehrsunterricht oder auch eine gemeinnützige Tätigkeit.
Das Ziel ist schließlich, den Beschuldigten zu einem Leben ohne Straftaten zu erziehen. Und dafür ist es weniger sinnvoll, erklärt Behördensprecher Grote, „ihn zur Strafe durch die Alster schwimmen zu lassen“.
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