: Oma Möller muss draußen bleiben
GESCHÜTZTES WOHNEN Idyllische Gärten und kein Gesocks: In den Puccini-Hofgärten in Weißensee und im Kreuzberger Wohnprojekt Am Urban lebt es sich bequem auch ohne die Zumutungen der Stadt. Dafür braucht es nicht unbedingt einen Zaun. Ein Ortsbesuch
■ Eine Gated Community, eine hermetisch abgeschottete Wohnanlage, wie man sie aus den USA, Südamerika oder Warschau kennt, gibt es hier nur einmal: das Potsdamer „Arkadien“ hinter der Glienicker Brücke, das die Groth-Gruppe 1997 errichtete. Um das Leben der Schönen und Reichen ist eine Mauer gezogen, zudem wacht ein Bewegungsmelder über ungebetene Gäste. Schöner wohnen in der Trutzburg.
■ In den USA entstanden die Gated Communities als Antwort auf die zunehmende Kriminalität in den Städten. Hierzulande sind sie, als Symbol für den Dünkel ihrer Bewohner gegenüber der sie umgebenden Stadt, noch immer etwas verpönt. Doch das zunehmende Bedürfnis, beim Wohnen unter sich zu sein, hat in Berlin zu neuen Immobilienprojekten geführt, die ein Mindestmaß an Abschottung bieten. Es muss ja nicht immer ein bewachter Zaun sein.
■ Vor den Prenzlauer Gärten am Friedrichshain ist der Zaun offen. Gleichwohl entsteht eine unsichtbare Barriere – man traut sich nicht rein. Das ist gewollt. Wer eines der Townhouses gekauft hat, will beides miteinander verknüpfen: die Ruhe und Intimität eines Dorfes mit dem quirligen Leben in der Stadt. Nur dass die Stadt beim Wohnen eben außen vor ist. Und wenn das mit der unsichtbaren Barriere einmal nicht klappt, kann man das Tor auch schließen.
■ Was ist „gated“ und was nicht? Die Grenzen sind fließend. Das Apartmenthaus in der Ziegelstraße 3 etwa ist ein umgebauter Plattenbau. Viele der Eigentümer sind nur selten in Berlin. Der Doorman, der den Eingang überwacht, schafft Sicherheit. Eine Art Hotelservice für Wohnungseigentümer.
■ Ganz anders Marthas Hof in Prenzlauer Berg. Eine „Festung“ nennen Anwohner die Luxuswohnanlage. Anders als in den Prenzlauer Gärten ist das Tor oft zu – obwohl der Bezirk den öffentlichen Zugang verlangt. In Marthas Hof weicht man nicht nur vor der Stadt zurück, man veräppelt sie auch.
■ Aber es gibt nicht nur reiche, sondern auch linke Ghettos. Eines davon, die Köpenicker Straße 137, erfüllt alle Kriterien für eine Gated Community: Abgeschlossenheit, Misstrauen, Zugangskontrollen. Gleichwohl sehen sich die Bewohner der Köpi als Vorkämpfer gegen die Gentrifizierung. UWE RADA
VON SUSANNE MESSMER
Schon beim Aussteigen aus der Tram am Antonplatz in Weißensee drängt sie sich auf, die große Frage: Warum meinen Menschen selbst in einem Kiez wie diesem, sie müssten sich vor irgendetwas schützen?
Das Komponistenviertel südlich der Berliner Allee, in dem in den letzten Jahren immer mehr Cafés eröffnet haben, zeigt sich an diesem goldenen Herbstvormittag von seiner Schokoladenseite: Die Mietskasernen aus der Gründerzeit mit den nur drei statt der im Zentrum üblichen vier Stockwerke. Die Kastanienschalen auf den Gehwegen. Es ist, als sei man nicht nur in der Vorstadt, sondern mitten in einer frisch sanierten Kleinstadt in Brandenburg gelandet, in Angermünde oder in Werder vielleicht.
Die Puccini-Hofgärten in der Weißenseeer Puccinistraße verfügen weder über Doorman noch über Concièrge, bei dem man sich anmelden müsste. Aber der dezente Metallzaun, der das große, grüne Gelände einer ehemaligen Gummifabrik abschottet, zwingt doch dazu, schon hier zu klingeln. 80 Wohnungen in einer umgebauten Fabrik, einem Kontorhaus, einer Fabrikantenvilla und einem Kutscherhaus, aber auch geschmackvoll angepasste Townhouses und Apartmenthäuser mit viel Klinker befinden sich auf dem Areal – für rund 200 Menschen, viele junge Familien, die ab 2009 eingezogen sind.
„Schön, dass Sie da sind“, ruft der Geschäftsführer des Bauträgers Ticoncept Maik Renner und winkt wenig später am Eingang seines Lofts im ehemaligen Fabrikgebäude: dem wuchtigsten Gebäude auf dem überaus aufgeräumten Gelände, das direkt an den großen jüdischen Friedhof grenzt.
Spricht es eher für oder gegen diese Anlage, dass einer wie Maik Renner selbst mit Frau und drei Kindern eingezogen ist?
Maik Renner ist ein verschmitzter Mann in den Vierzigern, der ein wenig an den Filmemacher Detlev Buck erinnert, und sei es auch nur wegen der sportlichen Föhnfrisur. Er lädt an den riesigen, gläsernen Tisch seiner Wohnung, der Blick geht auf ein riesiges rotes Sofa, auf einen riesigen Flachbildfernseher, auf eine hochpreisige Einbauküche, in der Ehefrau Gabriela für Mann und Gäste Kaffee kocht. Sie kam vor 18 Jahren aus Ecuador und ist inzwischen Berlinerin geworden, sagt ihr Mann – verliebter in diese Stadt, als es jeder gebürtige Berliner sein könnte. „Stimmt’s, mi amor?“
Einer der Hauptgründe, warum Maik Renner es so mag, hier zu wohnen, ist der: Im Spreewald groß zu werden wie er, immer im Wald zu rennen, das ist etwas, das prägt. Nun kann er auch die eigenen Kinder laufen lassen, muss sie nicht immer an der Hand über die Straße führen und auf dem Spielplatz nachsehen, ob wieder Scherben herumliegen – so wie früher, als die Familie noch in Friedrichshain wohnte.
Aber deshalb die Hofgärten gleich eine Gated Community nennen?
Ausdrücklich betont Maik Renner, für wen er baut: „Für den ganz normalen Berliner“, wie er sagt, der ein bisschen Geld verdient, aber nicht übermäßig, wie er meint. Damals gingen die Wohnungen, die nicht alle so luxuriös daherkommen wie die der Renners, ab 2.500 Euro den Quadratmeter weg. Das ist heute tatsächlich selbst im Vergleich mit kaum sanierten Altbauwohnungen in der Gegend lächerlich wenig.
Warum aber muss Maik Renner in einer geschlossenen Anlage leben?
Auch, wenn er nicht darüber redet: Er war Anfang zwanzig, als die Mauer fiel. Die meisten im Osten hatten damals von Haus aus weniger Geld als viele derselben Generation im Westen. „Wenn wir Schickimicki wollten, dann hätten wir in ein richtiges Ghetto ziehen müssen, in den Grunewald zum Beispiel“, sagt er zu Recht. Und fügt an, dass Weißensee mit seiner Tram, seinen Ein-Euro-Läden und dem Woolworth um die Ecke trotz der Aufwertungstendenzen der letzten Zeit lange noch nicht schick genug ist für die Reichen, die sich anderswo abschirmen.
Andererseits sagt er auch: „Ich will hier nicht Oma Möller von drüben mit ihrem Hund Gassi haben.“
Aber mal unter uns, Herr Renner: Was wäre daran so schrecklich, dieser Oma Möller zu begegnen?
Matthias Kalle, ehemaliger Zitty-Chef und heute stellvertretender Chefredakteur des Zeit Magazins, hat 2012 ein ganzes Buch mit dem Titel “Normal hält das“ über seinen „Hausbau“ veröffentlicht.
Die Tatsache, dass Kalles neu erworbenes Haus auf einer umzäunten Anlage steht, wird nur zweimal am Rande erwähnt.
Matthias Kalle ist ein schnell aufgestiegener Topjournalist. Und trotzdem hat er einen Beruf, der als bedroht gelten darf – Stichwort Krise der Printmedien. Es ist nachvollziehbar, dass einer wie er viel darüber schreiben muss, warum er sich „einen Schutz für die Familie“ baut. Einen, wie er schreibt, „Schutz vor all den Idioten, dem Pack und dem Gesocks, das über mir durch die Mietwohnung trampelt“.
Die Puccini-Höfe sind eine Art Gated Community in Sparversion. Sie kommen recht bescheiden daher im Vergleich mit teuren Prestige Communities wie in Amerika oder der viel diskutierten Community Arkadien in Potsdam, wo die Quadratmeterpreise bei 5.500 Euro lagen.
Und doch treiben die Bewohner auch hier Abstiegsängste um, es geht ihnen nicht nur ums entspanntere Leben mit Kindern, sondern auch um Distinktion, um Abgrenzung: im Falle Renners um Abgrenzung von den Oma Möllers, die zu sehr an die eigene Herkunft erinnern können – im Falle Kalles um Abgrenzung von der eigenen Generation, die sich inzwischen auch mal „Generation Laminat“ oder Generation „Wir müssen leider draußen bleiben“ nennt, wenn es beruflich mal nicht mehr so rund läuft.
Wohnen am Urban
Einen Tag später, dasselbe sonnige Herbstwetter. Ein Wohnprojekt auf dem parkähnlichen Areal des alten Urban-Krankenhauses mitten in der Stadt, mitten im Kreuzberger Graefekiez. Anders als in Weißensee kann das Gelände hier, im Karree zwischen Urban-, Grimm- und Dieffenbachstraße, jeder betreten: es gibt keinen Zaun.
Und doch geben sich die Bewohner der schönen alten Klinkerbauten mit den idyllischen Gärten und Spielplatz im Zentrum zunächst nicht halb so offen wie Maik Renner von den Puccini-Hofgärten.
„Ich bin nur die Babysitterin“, wehren die ersten beiden mit dunklen Haaren und blonden kleinen Kindern die Fragen der Presse ab.
„Wir werden hier von den Nachbarn beschimpft“, sagt eine Frau, in jeder Hand eine Tüte vom Biomarkt. „Es hieß, wir würden die Mieten in die Höhe treiben, wir hätten uns hier eine kleine Toskana gebaut“, fügt sie an und verweigert sich dann jedem weiteren Gespräch.
„Wir wollen ja, dass auch mal die Nachbarn kommen“, sagt ein Mann, der gerade mit dem Lastenrad die Kinder aus der Kita abholen will. „Aber das Hoffest konnte da nichts ausrichten. Die Leute trauen sich kaum rein“, lächelt er bedauernd und muss dann weiter.
Und wirklich: Das Gelände ist so idyllisch, dass es weh tut. Überall blühen Sonnenblumen, Cosmea und Dahlien. Überall liegen auch vergessene Kindermützen, stehen Laufräder und Bobbycars herum. Die Terrassen sind weniger umfriedet als in den Puccini-Höfen. Vielen Familien kann man direkt in die geschmackvoll eingerichteten Wohnküchen sehen. Bullerbü lässt grüßen.
Und: Einer Oma Möller wird man hier ebenso wenig beim Spaziergang begegnen wie in den Puccini-Höfen. Die Nachbarin aus der Türkei oder aus Lateinamerika, wie man sie drei Straßen weiter beim Bäcker trifft, ist hier nicht mehr Nachbarin. Stattdessen kommt sie zum Putzen oder schickt die Tochter als Babysitterin.
Fast wie im Dorf
Die erste Bewohnerin mit kleinem Kind, die sich bereit erklärt zu sprechen, ist Hebamme und will nur beim Vornamen genannt werden: Eva.
Sie erzählt vor allem vom Stress, den der Einzug machte: dem Preis zum Beispiel, der vor allem wegen der übersteigerten Vorstellungen vieler Eigentümer immer mehr anstieg – von anfangs 2.200 Euro auf später 2.500 Euro den Quadratmeter.
Aber dann kommt Eva auch auf den Sozialstress und die klaustrophobischen Aussetzer zu sprechen, die es verursacht, wirklich hier zu leben: auf das Kind, das sich nicht mehr zurückziehen kann wie in der Mietskaserne, das kaum mehr zur Ruhe kommt, weil es entweder rauswill oder Freunde reinlässt – auf die vielen Nachbarn mit allzu ähnlichen Interessen, Einkaufsgewohnheiten und Biografien, noch dazu auf engem Raum. Wie im Dorf, nur ohne ausreichend Platz zwischen den Häusern.
Und schließlich geht Eva die Luft aus und sie gibt weiter an eine befreundete Nachbarin, die gerade in Gummistiefeln im Gemüsegarten steht, Unkraut zupft und die Tomaten verjüngt.
Almut Staude, eine lässige Frau Anfang vierzig, hat drei lässige Töchter im Alter von sieben bis fünfzehn Jahren – und einen Mann aus Italien, der es selbst hier schafft, die geliebte Anonymität der Großstadt zu leben, der weder mit den harmoniesüchtigen Nachbarn noch mit der Presse Kontakt will.
Staude wohnt vor allem deshalb gern hier, weil sie ihre Wohnung mag und bezahlen kann, denn die Schwiegereltern haben sie gekauft und verlangen eine moderate Miete. Vier Zimmer und eine große Wohnküche, stattliche vier Meter Raumhöhe, ein gigantischer Blick in alte Baumwipfel und auf den Park des neuen Urban-Krankenhauses: So etwas könnte sie sonst heute nirgends mehr zahlen in Kreuzberg.
Übrigens: Almut Staude, aufgewachsen in Zehlendorf, ist eingeschworen auf Kreuzberg. Auch auf das dreckige, das kaputte, laute und bunte Kreuzberg. Sie ist Erzieherin in einem Waldorf-Kindergarten. Es ist bekannt, dass Erzieher in Berlin selbst mit Zusatzausbildung lebenslang nicht viel verdienen, dass sie aber auch nie Probleme haben werden, einen Job zu finden.
Das ist es wohl auch, was Almut Staude eine so angenehme Lässigkeit verleiht. Eine Lässigkeit, wie sie einem Maik Renner und einem Matthias Kalle in den Puccini-Hofgärten eher abgeht.
Almut Staude sind ihre direkten Nachbarn herzlich egal, die „Urbanis“, wie sie es mit reichlich süffisantem Lächeln ausdrückt. Sie ist hier eher Außenseiterin, und zwar aus Überzeugung.
Sie hat einfach nur eine große, lichte und günstige Wohnung erwischt. Einen kleinen Gemüsegarten. Und so viel Vogelzwitschern, wie man es in dieser zentralen Lage nirgendwo sonst bekommt.
„Irgendwo muss man schließlich wohnen“, sagt sie.
Anmerkung der Redaktion:
Gegen diesen Bericht hat der Journalist Kalle vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkt, weil er der Auffassung war, daß die Öffentlichkeit sich nicht dafür zu interessieren habe, daß er in der Wohnanlage wohnt. Die taz hat sich gegen dieses gerichtliche Verbot mit dem Argument gewehrt, dass Kalle selbst in dem Buch „Normal hält das vom Hausbau und anderen Katastrophen“ umfangreich zu seinem Buchprojekt publiziert hat, dass jeder Leser mühelos die Anschrift ermitteln kann. Kurz vor der mündlichen Verhandlung hat Kalle seine Klage zurückgezogen. Die taz darf jetzt also weiter unzensiert berichten.
Das Buch ist nicht empfehlenswert: Unser Anwalt hat sich durch gequält und neben allerlei Nichtigkeiten über angebliche Gespräche zwischen Kalle und seiner besseren Hälfte folgendes vorgefunden, das er in einem Schtiftsatz wie folgt beschrieb: „Auf S. 38 beschimpft Kalle eine Nachbarin, die ihn angeblich gestört hat, als mit mittelmäßigen Talent ausgestattet und quantitativ beachtlichen Freundeskreis. Aus S. 40 beschimpft er ein anderes Nachbarpaar, das „Klassikhits aus der Werbung“ hört, bzw. andere von ihm für schlecht gehaltene Musik, und die sich über Eheprobleme und Sexprobleme flüsternd unterhalten (die Kalle belauscht). Er stilisiert die Kritiker an der Gentrifizierung unverhohlen zu den Nationalsozialisten, die „kauf nicht bei Juden“ schreien. Er verhöhnt andere Wohnungssuchende und macht sich auf deren Kosten lustig. Er beleidigt und verhöhnt die Handwerker, die für ihn arbeiten müssen.
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