: Weg frei für Schutz durch das Völkerrecht
KINDERRECHTE Mit 18 Jahren Verspätung erkennt die Bundesregierung die UN-Kinderrechtskonvention vollständig an
VON OLE SCHULZ
Es ist eine schier unendliche Geschichte politischen Versagens: 1990 ist die UN-Kinderrechtskonvention in Kraft getreten, die zwei Jahre später auch von der damaligen CDU/FDP-Koalition ratifiziert wurde. Doch dabei wurde aus Gründen der Abschreckung auch eine Vorbehaltserklärung verabschiedet, in der sich Deutschland das Recht vorbehielt, Inländer und Ausländer unterschiedlich zu behandeln.
Die Folgen für Flüchtlingskinder und Kinder ohne Aufenthaltstitel sind fatal. Ihnen wird dadurch verwehrt, was ihren deutschen Altersgenossen selbstverständlich zusteht: Schulbesuch, Studium, Zugang zum Arbeitsmarkt sowie medizinische, psychologische und soziale Versorgung. Das sei eine gravierende Verletzung der Fürsorge- und Obhutspflicht des Staates gegenüber Kindern, argumentieren Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen. Deutschland stehe „international isoliert und blamiert“ da, sagt etwa Albert Riedelsheimer, kinderrechtspolitischer Sprecher des Forums Menschenrechte.
Im Laufe der Jahre hat es unzählige Anstrengungen von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen gegeben, den fortdauernden Skandal der Missachtung der Kinderrechte für Flüchtlings- und Migrantenkinder zu beenden. Es gab dutzende Anfragen der Parteien zur Umsetzung der Konvention und zwölf Entschließungsanträge im Bundestag. Doch die jeweiligen Bundesregierungen schoben stets den angeblich unwilligen Bundesländern den schwarzen Peter zu.
Achtzehn Jahre später ist es nun endlich so weit: Nachdem sich der Bundesrat Ende März für eine Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung ausgesprochen hat, wurde er in dieser Woche per Kabinettsbeschluss der CDU/FDP-Koalition, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, tatsächlich zurückgenommen. Für Pro Asyl, das seit Jahren gegen den Vorbehalt gekämpft hat, ist das ein großer Erfolg: „Damit ist endlich der Weg frei, auch Kindern nichtdeutscher Herkunft den vollen Schutz des Völkerrechts angedeihen zu lassen“, sagt Marei Pelzer, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
Betroffen sind laut Pelzer immerhin etwa 8.000 Kinder, die auf ihre Entscheidung im Asylverfahren warten, und rund 30.000 Minderjährige, die lediglich „geduldet“ sind.
Doch auch nach der lange überfälligen Rücknahme des Vorbehalts gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention werden asylsuchende und geduldete Kinder weiterhin benachteiligt: So werden Flüchtlingskinder und Kinder ohne Aufenthaltstitel ab 16 Jahren im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Das sei eine „eklatante Ungleichbehandlung gegenüber allen anderen deutschen Rechtsverfahren“, sagt Pelzer. In der Praxis führe das dazu, dass ein Asylverfahren häufig ohne jegliche Beratung und noch bevor ein Vormund bestellt wurde, eingeleitet werde.
Ebenso fragwürdig ist laut Pelzer die weiterhin praktizierte Abschiebehaft für Kinder. „Es kommt immer noch vor, dass unbegleitete Flüchtlingskinder im Flughafen-Transitbereich unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden.“ Nach oftmals dramatischen und traumatisierenden Fluchtumständen stelle jede Form von Inhaftierung dieser Kinder eine nicht verantwortbare Belastung dar. „Oft wissen sie nicht einmal, warum sie überhaupt inhaftiert sind.“ Zudem seien sie nur selten für die Umstände verantwortlich, die zur Haft geführt haben.
Ein weiteres Problemgebiet sind die Sozialleistungen für die rund 40.000 Kinder von Asylbewerbern – für Kinder unter acht Jahren liegen sie zum Beispiel bei monatlich 220 DM. Der Gesetzgeber hat seit Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 1993 weder eine Umrechnung in Euro-Beträge vorgenommen noch die Sätze geändert.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar entschieden hat, dass die seit 2005 geltenden Hartz-IV-Regelsätze gegen das Grundgesetz verstoßen, fordert Pro Asyl auch ein Ende der „diskriminierenden Sondergesetze“ für Asylsuchende: „Nicht nur Hartz IV, sondern auch das Asylbewerberleistungsgesetz ist verfassungswidrig“, sagt Marei Pelzer. Die darin vor 17 Jahren willkürlich festgelegten Sätze seien seither noch nicht einmal der Inflationsrate angepasst worden. Asylsuchende wie Geduldete würden dadurch mindestens vier Jahre unter Mangelversorgung leiden. „Mit der Menschenwürde ist das nicht vereinbar“, so Pelzer.