Das Schweigen im Sessel

Eine Schriftstellerin und ihre Analytikerin haben ein Buch geschrieben – über ihre Psychoanalyse

Allerhand Kuriositäten werden in diesen Tagen zum Thema Freud ausgegraben. So zeigte 3sat kürzlich die Analystenkomödie „Eine Couch in New York“: Juliette Binoche residiert nach einem Wohnungstausch im Apartment eines Psychoanalytikers, dem die Patienten die Bude einrennen. Juliette ersetzt den absenten Fachmann, und eine bereits analysierte Freundin erklärt ihr, wie’s funktioniert: Sie dürfe nicht sprechen, nur ab und an ein „Hmm“ äußern.

Wie es zu dem Schweigen des Analytikers kam, ist eine der kleinen historischen Anekdoten, die das Buch „Die Wette auf das Unbewusste“ lesenswert machen: Eine von Freuds Hysteriepatientinnen, Emmy von N., litt an einer „schmächlichen Liebesenttäuschung“ und ermutigte den Arzt, nicht so viel zu fragen. Er folgte dem Rat, und noch heute gilt das Schweigen des Analytikers als wesentlicher Unterschied zwischen Therapie und Analyse.

Wie so eine Analyse funktioniert, ob man danach noch zum Revolutionär taugt und warum man dabei liegen muss – das klären die Autorinnen Iris Hanika und Edith Seifert in einer Art FAQ. Manchmal sind die Antworten simpel: „Woher weiß man, ob die Analyse das Richtige für einen ist?“ – „Dass man gerne eine machen würde.“

Die Journalistin und Autorin Iris Hanika litt seit der Pubertät an Depressionen – bis sie Edith Seifert traf. „Von Mai 1991 bis Dezember 1997: sechseinhalb Jahre, 823 Sitzungen, 67.570 Mark“, resümiert sie schroff. Diese Ehrlichkeit zieht sich durch all ihre Texte. Es geht darin um sehr wenig Elternliebe, die Sehnsucht nach Depression – und ein verkorkstes Verhältnis zu Männern.

Das Buch mit dem lakonisch an den Couchlieger Woody Allen verweisenden Untertitel „Was Sie schon immer über Psychoanalyse wissen wollten“ erzählt nicht nur die Geschichte einer Depression mit ihren Ursachen und der Überwindung durch die Analyse. Koautorin Edith Seifert erklärt darin Grundbegriffe der Psychoanalyse, und zwar in der Art Jacques Lacans; in den Achtzigerjahren wurde sie zur Anhängerin des Franzosen mit den umstrittenen Methoden. So erfährt der Laie, dass eine Sitzung bei einer Lacanianerin so lange dauert, wie sie eben dauert, und dass der Patient die Analyse von der ersten bis zur letzten Stunde selber zahlen muss.

An manchen Stellen strengt die Lektüre an – wenn Hanika selbst die kleinste Gemüts- oder Körperregung quasiöffentlich durchanalysiert. So wird ab einer Sonnenallergie die Angst kenntlich, sich zu exponieren, auch als Autorin. Und auf die Überlegung der Patienten, selbst Analytikerin zu werden, sagt Seifert, diesen Wunsch solle sie analysieren. Das Kapitel „Wie spricht das Unbewusste? Beispiele aus dem Alltag“ erinnert an gesunde Küchenpsychologie.

Mut hat Iris Hanika, weil sie uns so tief in ihre Seele blicken lässt – man kommt nicht umhin, an die Offenbarung eines anderen Autors zu denken: Jörg Böckems Leben als Journalist und Junkie. Doch manchmal wünschte man, sie wäre nicht so explizit. Der 60-Jährige, der seine Zunge in ihren Hals steckt, gehörte beispielsweise herausredigiert, dafür wünschte man sich lieber noch eins der kleinen Fallbeispiele aus alten Zeiten. Wie das des Fräuleins Elisabeth R., die sich im 19. Jahrhundert ungehörigerweise in ihren Schwager verliebte und deren Bein daraufhin – hysterisch oder psychosomatisch – erlahmte.

Jubiläumspünktlich erscheint die Hommage an die Psychoanalyse zur perfekten Zeit. Ein bisschen Ratgeber und ein bisschen Entblößung. Es könnte sein, dass der eine oder andere Leser etwas Angst vor dem Schweigen im Sessel verliert. KIRSTEN REINHARDT

Iris Hanika, Edith Seifert: „Die Wette auf das Unbewusste“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, 173 Seiten, 9 Euro