Rassistische Morde erregen Belgien

Skinhead erschießt afrikanisches Au-pair und Kleinkind. Tatort Antwerpen gilt als Hochburg der extremen Rechten

BERLIN taz ■ Hans Van Themsche hatte seinen Terrorfeldzug gut vorbereitet. Der 18-jährige belgische Internatszögling, der wegen Drogenmissbrauchs vor dem Schulverweis stand und sich vor kurzem einen Skinheadlook zugelegt hatte, legte Donnerstag früh auf sein Bett einen wirren Brief an seine Eltern und Brüder, denen er erklärte, er wolle so viele Ausländer töten wie möglich und es werde seiner Familie besser gehen, wenn er nicht mehr da wäre. Dann fuhr er, schwarz gekleidet, in das Stadtzentrum von Antwerpen, kaufte sich einen Karabiner und ging auf die Suche nach seinen Opfern. Erst schoss er auf eine 46-jährige Türkin, die auf einer Parkbank saß und las. Sie erlitt einen Bauchschuss. Dann lief er weiter und eröffnete das Feuer auf eine 18-Jährige aus Mali, das die kleine zweijährige Tochter Luna ihrer Gastfamilie an der Hand führte. Beide waren sofort tot. Passanten alarmierten die Polizei; ein zufällig anwesender Zivilpolizist forderte den Mörder schließlich zum Aufgeben auf und schoss ihn in den Bauch, als er seine Waffe zog.

 Nun erregt der rassistische Doppelmord, der nur durch Zufall nicht noch mehr Opfer forderte, ganz Belgien. 300 Menschen demonstrierten gestern mit einem Schweigemarsch im Zentrum von Antwerpen, angeführt von Angehörigen des erschossenen Au-pair-Mädchens aus Mali, Mata N’Doyie. Mehrere lokale Politiker nahmen an der Kundgebung teil. Regierungschef Guy Verhofstadt erklärte: „Jeder in unserem Land sollte wissen, wohin ein Klima der Intoleranz führen kann.“

 Offiziell weigert sich die Staatsanwaltschaft, von einem rassistisch motivierten Mord auszugehen, weil der Täter noch nicht vernommen werden konnte. Ein Augenzeuge sagte der Zeitung De Morgen, die Augen des Täters hätten vor Hass gefunkelt, „als wollte er alle vernichten, die ihm in den Weg kamen“.

 Van Themsche kommt aus altem belgischem Nazimilieu. Sein Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg mit der deutschen Wehrmacht. Seine Tante Frieda Van Themsche ist Abgeordnete der rechtsextremen flämischen Partei Vlaams Belang (VB), einer Nachfolgepartei des für seine Verbindungen zu Neonazis berüchtigten Vlaams Blok, die in der flämischen Handelsstadt Antwerpen bis zu 30 Prozent der Stimmen erzielt und von lokalen Medien für ein Klima zunehmender Intoleranz verantwortlich gemacht wird. In Antwerpen, Zentrum des internationalen Diamantenhandels, leben eine große Gemeinschaft orthodoxer Juden sowie starke türkische und marokkanische Minderheiten.

 Belgische Zeitungen berichteten gestern von engen Verbindungen zwischen VB und Nazi-Skinhead-Gruppen. „Flandern und insbesondere Antwerpen sind ein fruchtbares Terrain für die Thesen der extremen Rechten“, erklärte Marco Van Haegenborgh, Leiter der Antirassismusabteilung im belgischen Antidiskriminierungszentrum CPLEC. Es sei bereits der vierte rassistische Gewaltakt in der flämischen Hälfte Belgiens in vier Wochen.

 Erst am Mittwoch war in Antwerpen die Leiche eines jungen Marokkaners gefunden worden, der nach einem Streit in einer Diskothek verschwunden war. Seine Familie geht von einem rassistischen Motiv aus. In Brügge wurde vergangenes Wochenende ein dunkelhäutiger Franzose von Nazis schwer verletzt.

Neben der Empörung über zunehmenden Rassismus hat der Doppelmord auch eine Debatte über die nötige Verschärfung der Waffengesetze ausgelöst. Bislang ist Waffenkauf in Belgien noch durch ein laxes Gesetz von 1933 geregelt, das praktisch jedem Bürger den Kauf von Schusswaffen ermöglicht, und entspricht nicht einmal gültigen EU-Normen. Eine Neuregelung war bereits im März 2005 vom belgischen Kabinett verabschiedet worden, aber die parlamentarische Lesung begann erst am Mittwoch dieser Woche und war auf den 24. Mai vertagt worden.DOMINIC JOHNSON