: Der Klang von Mehl und Rosinen
EIN WEITES FELD Die Künstlerinitiative „The Knot“ interagiert mit dem Tempelhofer Park, indem sie Kuchen backt, Ausgrabungen vornimmt und Hindernislauf trainiert. Alles dient dem „weichen Agieren“ im öffentlichen Raum
VON ANDREAS HARTMANN
Immer wenn man Gäste von irgendwoher zu Besuch hat, weiß man nicht recht, was man ihnen eigentlich zeigen soll in der weltberühmten Stadt Berlin. Die traurigen Reste der Mauer voller grässlicher Graffiti mag man nicht so recht empfehlen, für die sterile Simulation von Urbanität am Potsdamer Platz schämt man sich, und Paris bietet in seiner trostlosesten Ecke mehr Pracht als Unter den Linden. Bewährt hat sich deswegen die Methode: Man leiht seinem Gast ein Fahrrad und lässt ihn umherschweifen. Ein verrotteter Vergnügungspark im Plänterwald, Bongo spielende Biertrinker auf der Admiralsbrücke, das sind die verrückten Dinge in Berlin, bei denen die Gäste komplett durchdrehen vor Begeisterung.
Und seit Kurzem gibt es ein berlintypisches Highlight mehr: den Tempelhofer Park, ein stillgelegter Flughafen mitten in der Stadt, vorerst ohne jeden Sinn und Zweck. Das ist Berlin total. Noch hat sich nicht wirklich herumgesprochen, wie genial dieses Gelände ist. Riesig, unüberschaubar, ein Möglichkeitsraum, dessen Potenzial erst noch ausgelotet werden muss, auch um zu belegen, dass die BZ falsch liegt, die hier nicht mehr als „Ödnis, Leere, Perspektivlosigkeit“ ausgemacht hat.
Kunst im Freien
Noch ist der Tempelhofer Park ein Ort ohne Bestimmung. Nur einen konkreten Plan gibt es bisher: 2017 soll hier die Internationale Gartenschau stattfinden; immerhin muss sich der Senat diesbezüglich nicht vorwerfen lassen, weit in die Zukunft zu planen. Und ab 2012 sollen hier Projekte von Zwischen- und sogenannten Pioniernutzern zugelassen werden, von denen allerdings noch niemand weiß, wie sie aussehen könnten.
Für das Projekt „The Knot“, das sich als „mobile Plattform“ versteht, die mit dem öffentlichen Raum interagiert, ist dieser Tempelhofer Park als Experimentierfläche geradezu ideal. „The Knot“, eine international besetzte Künstlerinitiative, hat sich laut Selbstdefinition vorgenommen, zu untersuchen, wie Kunst auch außerhalb etablierter Institutionen funktionieren kann. Nicht innerhalb geschlossener Räume möchte man agieren, sondern draußen, im Freien, mit dem Publikum interagieren. Einen Monat lang war „The Knot“ nun in Berlin mit Installationen und Performances an verschiedenen Orten präsent, seit Mitte Mai auch im Tempelhofer Park, demnächst wird sie nach Warschau und dann Bukarest weiterziehen, um dort weiter Raumforschungen zu betreiben.
Lauter witzige und kuriose Aktionen sind im Rahmen von „The Knot“ in den letzten Tagen auf einer kleinen Grünfläche, in der Nähe vom Columbiadamm, über die Freiluftbühne gegangen. In der mobilen Küche, die man neben dem „The Knot“-Mobil aufgestellt hat, wurde Kuchen gebacken und verzehrt, die Geräusche, die beim Backen entstanden, wurden gesampelt und zu einer Art Kuchenbacksoundart verarbeitet. Pseudowissenschaftliche Archäologie wurde in dem Gelände betrieben, dabei hat man eine „deutsche Freiheitsstatue“ entdeckt und ausgegraben, erklärt Markus Bader, einer der Kuratoren, mit einem süffisanten Grinsen. Das Wetter war in den letzten Tagen wirklich nicht optimal, allein die Witterung hat „The Knot“ so einiges an Improvisationstalent abgerungen, zumal eine Überdachung, die diesen Namen verdient, fehlt. Dennoch ist Bader recht zufrieden mit dem, was in dem „freien Begegnungs-, Austausch- und künstlerischem Versuchsraum“ passiert ist. Eine klare Themenstellung gebe es nicht, erklärt er, um „weiches Agieren im öffentlichen Raum“ gehe es, und das „in einer Phase, in der der Ort noch nicht weiß, was er sein will“.
Billig in Paris
Noch bis Ende dieser Woche zeigt „The Knot“, was man auf dem Gelände eines stillgelegten Flughafens noch alles machen kann an skurrilen Dingen außer inlineskaten auf der Landebahn oder grillen auf den Grünflächen. Beispielsweise „Ticket Gate Jumping“. Hierbei soll trainiert werden, wie man am besten über U-Bahn-Kontrollstellen springt, wie es sie in London oder Paris gibt. Zuerst wird geprobt, dann wird es einen kleinen Wettbewerb geben. Das Finale ist am Samstagnachmittag. Auch dieses „Ticket Gate Jumping“ hilft wohl dem, der sich in London oder Paris billiger bewegen möchte, beim angestrebten „weichen Agieren im öffentlichen Raum“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen