Anschwellender Handke-Gesang

VON GERRIT BARTELS

Der Ärger um Peter Handke geht weiter: Gestern haben sich die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen im Düsseldorfer Stadtrat darauf verständigt, die Vergabe des von der Stadt gestifteten Heinrich-Heine-Preises an Handke zu verhindern. Damit hat der Streit um die Vergabe des Preises an Handke einen neuen, unrühmlichen Höhepunkt erreicht, nachdem am Dienstag letzter Woche von der Jury des Preises Handke als Preisträger bekannt gegeben worden war. Der Streit wird seit einer Woche nicht nur in den Feuilletons heftigst geführt, und zwar so, als hätte es ihn nicht schon vor zehn Jahren gegeben, als Handke seinen Reisebericht „Gerechtigkeit für Serbien“ veröffentlichte. Unschwer vorzustellen, dass er auch in der Jury ausgefochten wurde, die die Entscheidung für Handke getroffen hat – mittels einer Mehrheitsentscheidung, wie in einer Demokratie üblich, und zwar, wie man jetzt weiß, mit zwölf gegen fünf Stimmen, die in einem dritten Wahlgang die nötige Zweidrittelmehrheit erbracht hat.

Man stellt sich also vor, dass die Jury darüber diskutiert hat, ob Handke, der im März bei Milosević’ Beerdigung zugegen war, der eine befremdliche Sympathie für den serbischen Diktator hegte und sich auch schon mal mit unglücklichen Äußerungen den Vorwurf des Antisemitismus einbrachte, ob dieser Peter Handke den Heinrich-Heine-Preis bekommen soll und darf. Oder ob Handke diesen Preis gerade deshalb bekommen soll und darf, weil es im Fall von Serbien und des Jugoslawienkrieges um eine andere Wahrnehmung ging, um eine Wahrnehmung, die quer zum herrschenden Medienkonsens stand und steht. Und dem es um andere, dann auch poetisch umgesetzte Wahrheiten ging als die, die täglich in unseren Medien verkündet wurden.

Bizarr waren nun die Begleitumstände der öffentlichen Diskussion um Handke und den Preis: Die Jury, zumindest der Teil, der gegen Handke war, hielt sich an keine Gepflogenheiten und plauderte aus, was nur auszuplaudern ging. Die Jury vermittelte den Eindruck, überrollt worden zu sein von ein, zwei Mitgliedern, ja, sich gar nicht für Handke entschieden zu haben. „Handke war nicht mein Kandidat“, sagte Christoph Stölzl am Wochenende, als sich erstes Gegrummel in der Düsseldorfer Stadtpolitik regte. Die Handke-Befürworterin und Literaturkritikerin Sigrid Löffler habe ein „Trommelfeuer“ für den „Weltliteraten“ abgeschossen, sagte ein Jurymitglied, das ungenannt bleiben möchte; und der Historiker Julius H. Schoeps gestand gestern der Welt: „Ich bin der Einzige, der für Amos Oz gestimmt hat. Aber was wollen Sie machen, wenn Sie in einer Jury sitzen? Da entscheidet die Mehrheit. Ich hätte kein Problem damit, wenn Handke den Preis nicht bekäme.“

Genau, die Jurymehrheit hat entschieden, und als solche sollte Schoeps jetzt schon ein Problem damit haben, dass Handke den Preis vom Düsseldorfer Stadtrat, der ja selbst für die Zusammensetzung und Unabhängigkeit der Jury verantwortlich ist, nicht bekommt. Und das unter verbaler Mithilfe von scheinbaren Handke-Spezialisten wie Daniel Cohn-Bendit („der helle Wahn“) und Fritz Kuhn („Skandal“), die auch um schräg-zweifelhafte Vergleiche (man hätte den Preis gleich Irans Ahmadinedschad verleihen können, so Cohn-Bendit) nicht verlegen waren.

Der Heine-Preis ist „eindeutig ein politischer, kein Literaturpreis“, begründete Karin Trepke von Düsseldorfs Grünen, das „einhellig“ ablehnende Votum ihrer Partei: „Der Preis kann nicht an jemanden verliehen werden, der sich wie Handke in die Nähe Milosević’ begeben hat.“ Die Ablehnung sei der „einzige Weg“, auf einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zu reagieren, sagte Annette Steller von der SPD. Handke könne nicht mit einem Preis ausgezeichnet werden, mit dem eine Persönlichkeit geehrt werden soll, die sich um Grundrechte und Völkerverständigung verdient gemacht hat.

Ein wenig wundern muss man sich trotzdem: darüber, wie Politiker auf einmal so genau wissen, dass man es beim Heine-Preis mit einem rein politischen Preis zu tun habe. Heine war nicht zuletzt Dichter, einer, der mit der Trennung zwischen Literatur und Politik nichts anzufangen gewusst hätte. Und darüber, was die städtischen Politiker einfach so ignorieren: den Werdegang eines Schriftstellers, der sich seit Mitte der Achtzigerjahre mit Jugoslawien auseinander gesetzt hat, der hier die bessere, poetischere Welt fand, und der später im Jugoslawienkrieg vor Ort nach anderen Wahrheiten als den westlichen Medienwahrheiten suchte, der nicht nur die bösen Serben sehen wollte, die es in Schutt und Asche zu bomben galt, sondern Landschafts- und Menschen- und Dingbeschreibungen vornahm.

Und der Düsseldorfer Stadtrat missachtet mit seiner eindeutigen Gegenposition, dass die Jury ihre Entscheidung durchaus politisch und nicht allein literarisch begründet hatte: „Eigensinnig wie Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit“, und rücksichtslos setze er seinen poetischen Blick „gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale“. Diese Meinungsrituale gelten anscheinend jetzt wieder. Gerade die heftigen Reaktionen, die immergleichen Reflexe auf Handke zeugen nicht von großer Souveränität. Man muss Handkes Stellungnahmen für Milosević mehr als befremdlich finden, seinen Starrsinn – aber man sollte schon zu verstehen versuchen, wie es dazu gekommen ist, wie Handke sich gewissermaßen konsequent verrannt hat, um vielleicht über diesen – auch zweifelhaften – Weg, Gehör zu finden. Man müsste es aushalten, ja, in bester demokratischer Tradition akzeptieren können, dass ein Peter Handke den Heine-Preis erhält.