: Vorsprung durch Kuhfladen
Den Brennstoff liefern Felder und Wälder in der Umgebung, der produzierte Strom bringt Geld in die Kassen: Jühnde ist Deutschlands erstes Bioenergiedorf. Das kurbelt nicht zuletzt den Tourismus an
von REIMAR PAUL
Aus der Ferne sehen die weiße Kuppel und der Schornstein auf dem Hügel wie ein kleines Atomkraftwerk aus. Doch mit Kernenergie hat Jühnde nichts am Hut. Der kleine Ort im Kreis Göttingen ist Deutschlands erstes „Bioenergiedorf“: Die Gemeinde hat ihre Energieversorgung vollständig auf Biomasse umgestellt und produziert seit dem Winter mit ihrem Blockheizkraftwerk sogar mehr Strom, als die 800 Bewohner verbrauchen. Ende vergangener Woche, am Freitag, wurden die Anlagen offiziell in Betrieb genommen – bei Bier, Suppe und Politikeransprachen.
„Strom und Wärme werden aus dem erzeugt, was Felder, Wiesen und Wälder hergeben“, sagt der Vorsitzende der kommunalen Betreibergenossenschaft, Eckhard Fangmeier. Auf den Äckern um Jühnde bauen sechs der neun Landwirte des Dorfes so genannte Energiepflanzen an: Sonnen- und Kornblumen, Raps und ein Getreide namens Triticale. Auch Kuhfladen und Gülle, Schweinemist und Speisereste seien bestens als „Futter“ für die Biogasanlage geeignet, erläutert Fangmeier.
Rund vier Millionen Kilowattstunden Strom soll das benachbarte Blockheizkraftwerk jedes Jahr erzeugen – viel mehr, als das Dorf verbraucht. Für die eingespeiste Energie erhält die Genossenschaft dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 17 Cent pro Kilowattstunde, insgesamt fast 700.000 Euro im Jahr. Damit sollen die Kredite für die Anlagen getilgt werden.
Aufwändiger als die Erzeugung ist die Verteilung der Energie: Die Jühnder mussten ein ganz neues Leitungsnetz mit Wärmetauschern, Messuhren und Heizkesseln installieren. 30.000 Arbeitsstunden wurden dafür freiwillig geleistet, erzählt Bürgermeister August Brandenburg (SPD). Immerhin drei Viertel der Haushalte sind an das neue Nahwärmenetz angeschlossen. Sie bekommen die umweltfreundlich erzeugte Energie nun deutlich günstiger als die aus Öl- und Gaskraftwerken. „In den Vorverträgen wurden nämlich vor drei Jahren die damals üblichen Preise festgeschrieben“, sagt Fangmeier.
Nach einem monatelangen Auswahlverfahren hatten Wissenschaftler der Göttinger Universität Jühnde vor mehr als vier Jahren zum künftigen Bioenergiedorf bestimmt, vor allem wegen der großen Zahl an Bauernhöfen: Sie können die Biogasanlage mit den nachwachsenden Rohstoffen beliefern. Laut einer Umfrage fanden dann 85 Prozent der Jühnder die Idee „gut“ oder „sehr gut“.
Die Göttinger Forscher, die das Projekt wissenschaftlich begleiten, sind davon überzeugt, dass es einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann. Die bisher zur Energieerzeugung genutzten Rohstoffe wie Öl, Gas oder Uran würden immer knapper, sagt der Sprecher der Wissenschaftlergruppe, Volker Ruwisch. Gleichzeitig steige der Ausstoß von Kohlendioxid weiter, drastische Klimaveränderungen seien die Folge. Bei Holz und anderer Biomasse, so Ruwisch, handele es sich dagegen in dieser Beziehung um „neutrale Ressourcen“. Für die Umstellung sprächen aber auch ökonomische Gründe. Anstatt an die großen Energiekonzerne fließe das Geld in die Region, in der Land- und Forstwirtschaft, beim Handwerk und in der Biogasanlage selbst könnten neue Arbeitsplätze entstehen.
Auch in der Gastronomie: Jede Woche kämen drei bis vier Busse mit Besuchern, erzählt Landwirt Reinhard von Werder von der kommunalen Betreibergenossenschaft. Außerdem besichtigten zahlreiche Fachleute aus dem In- und Ausland die Anlagen. „Die alle“, sagt Werder, „müssen ja irgendwo essen, trinken und schlafen.“ Um den Andrang zu bewältigen, hat die Genossenschaft bereits 14 Gästeführer ausgebildet. Sogar auf englisch und französisch werden Rundgänge angeboten.
Eckhard Fangmeier, der das Projekt mit angeschoben hat, träumt schon vom Aufbau eines „Kompetenzzentrums Bioenergie“ mit angeschlossener Tagungsstätte. „Wir wollen ein richtiges Modelldorf werden“, sagt er. Im Kreis Göttingen hat das Beispiel schon Schule gemacht. Landrat Reinhard Schermann (CDU)kündigte nun den Aufbau von fünf weiteren Bioenergiedörfern innerhalb der kommenden drei Jahre an: „Wir wollen die Bioenergie-Region Nummer eins in Deutschland werden.“